HINWEIS

Diese Website nutzt für statistische Erhebungen und zur Verbesserung des Internetauftritts das Webanalysetool Piwik. 

Aktuell wird ihr Besuch von der Piwik Webanalyse erfasst.

Nein, ich möchte nicht, dass mein Besuch erfasst wird.

ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Bedeutungen schichten / Positionen


Die hohe Qualität des Prozesses

Neue Fragestellungen, vielfältige Lernprozesse und diverse Missverständnisse: Die beiden Kuratorinnen Maria Gaida und Martina Stoye sowie der Ausstellungsdesigner und Architekt Andreas Heller im Gespräch mit Martin Heller über das Experiment „Bedeutungen schichten“.
Aufzeichnung: Barbara Schindler

Martin Heller: Unser Gespräch möchte ich mit einer für mich entscheidenden Frage beginnen: Was haben Sie alle aus diesem Projekt gelernt, im Guten wie im Schlechten?

Martina Stoye: Das war erstmalig ein Ausstellungsprojekt, dessen Konzeptionierung nach außen gegeben wurde. Wir hatten keinen Einfluss, welches Büro das machen soll und mussten abwarten. Anschließend wurde mit uns die Suche nach Objekten gestartet, die besonders vielschichtig sind und an denen man dies gut darstellen kann. Allein schon diese Aufgabenstellung war für mich schön – also die Objekte unter diesem Aspekt anzuschauen.

Das Team von Andreas Heller hatte dann Fragen formuliert, die ein großer Gewinn für mich waren, da sie in der historischen Wissenschaftsdisziplin normalerweise nicht gestellt werden. Zum Beispiel, ob möglicherweise die Beatles dabei eine Rolle gespielt haben, dass das Krishna-Bild aus dem 19. Jahrhundert von unserem Museum angekauft wurde. Ich hab das zuerst entsetzt von mir gewiesen, auch im Gedanken an die Fachkollegen. Da habe ich gemerkt, wie sehr man – aus einer archäologischen Disziplin kommend – sich bei den Fragstellungen immer wieder allein auf den Gleisen des Fachdiskurses bewegt. Das war gesund, dass jemand mal so eine ganz andere Frage gestellt hat. Ich habe die dann verfolgt und gemerkt, dass tatsächlich in der Zeit des Ankaufs das gesteigerte Interesse an Krishna-Bildern ganz stark mit den Beatles und der im Westen aufblühenden Hare-Krishna-Bewegung zu tun hatte.

M. Heller: Dann hat Ihnen das Projekt eigentlich drei Dinge gebracht: die offene Herangehensweise, das Auswählen von Objekten unter nicht herkömmlichen Fragestellungen und die neuen, nicht-wissenschaftlichen Fragen, die von Andreas Heller und seinem Team im Sinne des Publikums an Sie herangetragen wurden.

Stoye: Ja, das waren gegen den Usus der Fachdisziplin gebürstete Fragen, die aber auch in der Kürze der Zeit nicht wirklich lösbar waren. Das war für mich als Wissenschaftlerin zunächst ein Problem.

M. Heller: Warum?

Stoye: Weil man Angst hat, etwas, was nicht fertig recherchiert ist, einer Fachöffentlichkeit zu präsentieren.

Andreas Heller: Was heißt fertig recherchieren? Ich behaupte einfach, dass es das gar nicht gibt. Diese Angst vor dem Kontrollverlust! Nicht nur die Wissenschaftler, sondern das ganze museale System glaubt immer, dass das auch ein Qualitätsverlust ist. Wir alle wissen aber doch, dass der Prozess eine hohe Qualität hat. Deswegen ist ja auch dieser Titel gewählt worden. Das ist wie eine Zwiebel, die man immer weiter häutet. Wobei ich nicht glaube, dass man zum Kern kommt, sondern dass es immer wieder von vorne losgeht. Ich finde es ganz wichtig, dem Publikum zu sagen, dass Wissenschaft ein Prozess ist. „Bedeutungen schichten“ war ein ganz kleiner Beitrag. Ob wir das alles richtig oder gut gemacht haben, ist eine andere Frage. Man hätte noch viel weiter gehen können.

M. Heller: Also war Ihr Lernmoment so etwas wie eine Bestätigung, dessen, was Sie schon wussten?

A. Heller: Ja, eine Bestätigung, solche Diskussionen in Museen wieder intensiver aufzunehmen.

M. Heller: Haben Sie auch etwas gelernt, was Sie vorher nicht wussten?

A. Heller: Was ich bei diesem Projekt gelernt habe, ist, dass die Wirkung, die wir eigentlich erzielen wollten, teilweise vom Publikum nicht verstanden wurde. Wobei das natürlich immer die Frage ist, wie viele Leute man überhaupt erreichen kann. Reicht ja schon, wenn 20 Prozent sagen, ich hab’s verstanden – oder muss man 80 Prozent oder 100 Prozent erreichen?

M. Heller: Was haben Sie, Frau Gaida, als distanzierte Beobachterin gelernt?

Maria Gaida: Ich war an der Suche eines Objekts nicht beteiligt, weil ich zu dem Zeitpunkt keine Zeit hatte. Und das bedauere ich. Mir wurde dann irgendwann gesagt, es ist der Mayakopf, weil irgendjemand – oder vermutlich mehrere – von diesem Objekt fasziniert waren. Und der ist auch faszinierend. Was mich wirklich freut an diesem Projekt ist, dass in den 44 Jahren, in denen dieses Stück ausgestellt ist, es sich mit Sicherheit noch nie so viele Leute so intensiv angeschaut haben. Und das ist dieser Ausstellung geschuldet. Aber unter dem Thema „Bedeutungen schichten“ hätte ich ihn nicht genommen – das habe ich auch gesagt –, weil man eigentlich so gut wie nichts dazu weiß.

M. Heller: Und gibt es etwas, wovon Sie bei dem Projekt sagen würden: das habe ich vorher nicht gewusst? Wir sprechen ja hier von „Lernen“.

Gaida: Nein, da ist eigentlich nichts dabei. Also für mich nicht. Das heißt ja nicht, dass für tausend Andere sehr viel dabei gewesen sein könnte.

Stoye: Ich glaube, man weiß Vieles, von dem man nicht weiß, dass man es weiß, weil man nicht danach fragt. Oder? So war jedenfalls meine Erfahrung.

M. Heller: Das ist doch eine gute Erfahrung.

Stoye: Ja, wobei ich zustimmen würde, dass man noch mehr erforschen, in die Tiefe hätte gehen müssen, wenn mehr Zeit gewesen wäre.

M. Heller: Die Erforschung der Indien-Mode in den 1960er Jahren gehört ja nicht unbedingt zu Ihrem Fachgebiet.

Stoye: Überhaupt nicht, ich bin ja Archäologin. Für mich war es aber ein wahnsinnig wichtiger Impuls. Jetzt schwingt diese Fragestellung immer mit, wobei, wie gesagt, leider die Zeit fehlt, sich damit mehr zu befassen.

A. Heller: Die größte Provokation war ja dieses Video, wo eine blutähnliche Flüssigkeit über den Mayakopf läuft. Das ist eine Idee, die in einer Sekunde entstanden ist, als wir vor den großen mächtigen Stelen im Eingangsbereich standen...

Gaida: ... die nichts mit den Maya zu tun haben.

A. Heller: Ja, aber die stehen direkt vor dem Mayakopf und zeigen Kriegs- und Tötungsmotive.

Stoye: Das passiert häufig zwischen Publikum und Museumswissenschaftlern: Die Besucher sehen etwas – zum Beispiel Krieg - und denken an Opfer. Sie nehmen es auf dieser Ebene wahr, packen es in andere Gruppierungen, ordnen es für sich anders. Für die Wissenschaftler ist es sehr, sehr schwer, diese „einfache“ Wahrnehmung immer mitzudenken. Es wäre schön, wenn man das besser miteinander verbinden könnte.

Gaida: Das liegt aber auch an der Ausstellung, die in der 1960er Jahren konzipiert worden ist, und im Prinzip genau so steht wie vor 45 Jahren. Da ist das praktisch überhaupt nicht herausgearbeitet worden. Und so nimmt man auch nicht wahr, dass die Stelen aus einer ganz anderen Kultur sind, als der Kopf, den Sie dann ausgewählt haben.

M. Heller: Gibt es einen Trick für Sie als Wissenschaftlerin für einen Moment herauszutreten und sehr naiv auf dieses Objekt zu schauen? Also die eigene Biografie völlig zu vergessen und neu drauf zu gucken?

Gaida: Kann sein, dass ich bei bestimmten Dingen nicht mehr wirklich unbefangen schauen kann, wobei ich den Mayakopf nicht dazu zählen würde. Die Tatsache, dass Sie suggeriert haben, der Mayakopf stünde in einem Leben und Tod-Zusammenhang, die hat mich zuerst irritiert. Es gibt dafür überhaupt keinen Hinweis.

Stoye: Das ist eben eine Assoziation.

Gaida: Na gut, wenn das ihre Assoziationen waren, weil sie vorher diese Stelen sahen, die damit nichts zu tun haben, fügt sich eben eine Assoziation an die andere und am Ende wird der Kopf so präsentiert. Ich frage mich nur, was der Besucher damit macht. Denn er weiß ja nicht, ob das eine Information ist, die auf etwas fußt, oder eine Assoziation von irgendeinem oder irgendeiner – Sie, Andreas Heller, nennen es AusstellungsmacherIn oder KuratorIn – ist. Was kommt da beim Besucher an? Denn es war ja nicht gekennzeichnet, dass das Ihre Assoziation ist.

Stoye: Das Thema Autorschaft war extrem verschwommen, was Vor- und Nachteile hatte.

A. Heller: Ich sage ja, wir haben Fehler gemacht. Was auch dazu geführt hat, dass das Design zu steady war, obwohl es Werkstattcharakter haben sollte.

M. Heller: Das Design hat zum Ausdruck gebracht: Hier spricht die Autorität.

A. Heller: Ja, und genau das war nicht gewollt.

Gaida: Genauso ist es aber angekommen.

A. Heller: Das eigentliche Thema war Kontemplation. Und deswegen stimmt das mit autoritär, denn eigentlich hätten wir am liebsten abgeschlossen! Nach einer halben Stunde lassen wir Dich wieder raus. (alle lachen)

M. Heller: Schlussendlich ist eine Ausstellung entstanden, die zum einen autoritär aufgetreten ist, obwohl Sie etwas Anderes intendiert hatten. Und zum anderen wurde es eine Textausstellung, die für viele etwas Exzessives, Überbordendes hatte.

A. Heller: Ich würde sagen: Text per se ist nichts Schlimmes. Intellektuelles ist es ebenfalls nicht. Aber wenn ein ganzes Museum so wäre, dann würde ich auch sagen, dass das nicht geht.

Mir ist noch eins wichtig: wir haben die Objekte ausgesucht, weil sie so überhaupt nichts miteinander zu tun haben. Für uns sind während der Arbeit Verbindungen entstanden, die natürlich überhaupt nicht wissenschaftlich sind. Aber toll. Und das finde ich am Museum auch gut, dass man Synapsen herstellen kann zwischen Dingen, die eigentlich nicht zusammengehören. Aber wir wissen ja, eigentlich gehören sie doch zusammen. Das zufällige oder halbwegs von Ideologien getragene Zusammenfinden von Gegenständen in einer Sammlung, und sei es über eine halbe Million, das lädt ein zum Spiel und zum Herstellen neuer Beziehungen, die es vorher in der real existierenden Wirklichkeit nicht gab. Das ist für manche Menschen gerade in solchen Museen das Spannende, für andere ein „No Go“.

M. Heller: Vielen Dank – das war doch ein passendes Schlusswort!


Dr. Maria Gaida studierte Altamerikanistik, Ethnologie sowie Vor- und Frühgeschichte an der Universität Hamburg und promovierte 1983. Nach einem Volontariat am Ethnologischen Museum Berlin ist sie dort seit 1993 Leiterin der Sammlung Mesoamerika und zusätzlich Leiterin der Abteilung Sammlungen seit 1998. Gaida ist Mitherausgeberin der Museums-Zeitschrift „Baessler-Archiv“ und war zusammen mit Nikolai Grube AutorIn von „Die Maya. Schrift und Kunst“ (Köln 2006).

Andreas Heller, Architekt aus Hamburg, arbeitete zunächst als Bühnenbildner und Filmarchitekt. Seit Mitte der 1980er Jahre gestaltet er Ausstellungen und Museumseinrichtungen für zahlreiche Institutionen und Museen in Deutschland. 1989 gründete er die Studio Andreas Heller GmbH, ein interdisziplinär zusammengesetztes Planungsbüros für Kultur-, Freizeit- und Bildungseinrichtungen.

Martin Heller ist Mitglied der Leitung des Humboldt Lab Dahlem und verantwortlich für die inhaltliche Konzeption des Humboldt-Forums.

Martina Stoye ist seit 2008 Kuratorin für die Kunst Süd- und Südostasiens im Museum für Asiatische Kunst Berlin. Nach kuratorischer Tätigkeit für das Haus der Kulturen der Welt in Berlin war sie von 1995 bis 2001 Dozentin für Indische Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin. Danach forschte sie zur buddhistischen Gandhara-Kunst und arbeitete 2007/2008 an einer großen Gandhara-Ausstellung für die Kunst- und Ausstellungshalle Bonn mit.

Barbara Schindler ist im Bereich Kunst-PR tätig. Für das Humboldt Lab Dahlem betreut sie gemeinsam mit Christiane Kühl die Online-Dokumentation der Projekte.

Das Interview wurde im Juli 2014 in Berlin geführt.


Kontexte ausstellen: Aber wie?

von Daniela Bystron

Das Humboldt Lab-Projekt „Bedeutungen schichten“ hat sich den Informationen, Kontexten und Erzählungen ausgewählter Exponate verschrieben. In diesem Kommentar soll überprüft werden, welcher Vermittlungsansatz hinter dem Versuch steckt und wie dieser umgesetzt wurde. Dabei werden unter anderem folgende Aspekte befragt: Gestaltung, Multiperspektivität, Transparenz und AutorInnenschaft.

Gestalteter Raum

Betritt man die Ausstellung, steht man vor vier wuchtigen, schwarzen Quadern. Sie wirken im Gegensatz zu ihrer Zielsetzung – „Kontextualisierung von Museumsobjekten auf eine Weise zu leisten, die für das Publikum ebenso attraktiv wie zugänglich ist“, wie es im Ausstellungsflyer heißt – hermetisch und geheimnisvoll. Die Kuben dienen als Informationsräume für die ausgewählten Exponate Kalligrafieblatt, Mayakopf, Khipu und Picchvai. Schwarze Wände, weiße Schrift – die Gestaltung ist sehr reduziert und dunkel. Die Wände sind gefüllt mit Texten, die einer Wandzeitung mit wenigen Fotos und Illustrationen ähneln. Zusätzlich ist in jedem Raum ein Tisch mit Schrift und Bildmaterial bedruckt; alle Informationen sind ähnlich gestaltet und erhalten damit eine Gleichförmigkeit, eine homogene Oberfläche; nur die Schriftgröße variiert.

Es ist toll, dass den Kontexten der Objekte so viel Raum gegeben wird. Aber ist es solch statischen Quadern mit ihren Wandtexten möglich, die komplexen Inhalte und deren Bezüge zueinander abzubilden? Die Texte sind chronologisch und hierarchisch fest strukturiert; unser Wissen bildet sich aber in beweglichen Netzstrukturen ab. Mind-Maps, Übersichts-Pläne und Rhizome könnten vielschichtige Inhalte und deren Bezüge besser wiedergeben.

Obwohl vereinzelt Bildmaterial, Filme und eine Audiostation den überwiegend schriftlichen Informationen zur Seite gestellt wurden, haben die Informationsräume wenig experimentellen, spielerischen Charakter: Es fehlt die Möglichkeit, selbst vertiefende Informationen nachschauen oder eigenes Wissen, Kommentare oder Fragen beisteuern zu können. In der konstruktivistischen Pädagogik gilt unter anderem das Mehr-Sinne-Prinzip, es wird auf Erfahrungen der Lernenden und die Prozesshaftigkeit des Lernens gesetzt. Nicht jeder Lerntyp1 liest gerne Texte; manche bevorzugen mediale oder interaktive (Handlungs-)Formen. Die Objekte selbst laden doch dazu ein, selbst aktiv zu werden – wie beispielsweise das Kalligrafieblatt zum Schreiben oder das Khipu zum Erfinden eigener Botschaften. Obwohl Tische signalisieren, hier könne gearbeitet werden, dienen diese nur als statische Text- und Bildträger; gerne hätte man hier Karteikästen, Schubladen, Nachschlagemöglichkeiten mit weiterführenden Informationen oder Tools für eigene Kommentare. Positiv an einer analogen Gestaltung ist gerade die Möglichkeit der Verlangsamung des Betrachtungsprozesses und der sinnlichen Haptik, die man noch stärker hätte ausarbeiten können.

Mehrere Perspektiven

„Jeder der 500.000 Gegenstände, die hier im Museum versammelt sind, hat seine eigene Geschichte. Wir eignen sie uns nicht an, sondern versuchen, sie mit Fragen zu verstehen (…)", heißt es im einführenden Wandtext von „Bedeutungen schichten“. Die Idee, jeden Quader am Eingang mit einführenden Fragen zu beschriften, lädt zum eigenen Forschen ein.2

Dieser Ansatz, sich selbst Wissen anzueignen und Antworten zu suchen, könnte durch die Erweiterung der Informationsformen noch verstärkt werden. Um die Abwechslung zu fördern und der Aufnahmefähigkeit unterschiedlicher Lerntypen entgegenzukommen, könnte die Präsentation anders organisiert werden: durch eine größere Vielfalt der Medien – mehr Objekte, Filme, Audiodokumente, Bilder, Illustrationen; durch eine Aufhebung der Informationshierarchie – netzartig angeordnete Einführungstexte, Hintergrundinformationen und Definitionen; durch eine Erweiterung der Textformen – Interviews, Kommentare, Essays, Zitate, Comics, Porträts.

Wie bereits erwähnt haben Kontextinformationen selten einen so großen Stellenwert erhalten wie in dieser Ausstellung. Informationen über die Objekte – das ist es, was die meisten BesucherInnen immer wieder in Gästebüchern, auf Kommentarkarten und in persönlichen Gesprächen einfordern. Doch wie sollen Museen mit dieser Erwartung umgehen? Sollen sie hard facts liefern und damit eine Interpretation zu einem Objekt geben, oder können sie möglicherweise in offenerer und kritischerer Form Kontexte vermitteln? „Bedeutungen schichten“ präsentiert viele Informationen, die den Blick auf die Objekte lenken, könnte dies jedoch wie in britischen Museen um den multiperspektivischen Ansatz erweitern: Zu einem Objekt, einer Ausstellung, einem Thema schildern mehrere Personen ihre persönliche oder wissenschaftliche Sicht. Im Ethnologischen Museum in Berlin sucht man alternative Perspektiven, kritische Ansätze und postkoloniale Fragestellungen bisher vergeblich – das Humboldt Lab bietet hier aber eine mögliche Bühne.

Prozesse offenlegen

Der Kulturjournalist Stefan Koldehoff zitierte auf einer Tagung zur Kunstvermittlung in Münster 2007 eine Studie über Informationspolitik. Sie untersuchte, welchen Institutionen die Öffentlichkeit vertraut: An erster Stelle stand die „Tagesschau“, an zweiter die Museen. Diesen Vertrauensvorsprung sollten diese ernst nehmen und immer wieder überprüfen.

Folgende Worte am Eingang von „Bedeutungen schichten“ signalisieren eine Transparenz der Informationen. „Was ist das? Woher kommt es? Wozu war es da? Wie kommt es hierher? Wir stellen unsere Fragen an die Kuratoren und Wissenschaftler. So beginnt im Dialog von Frage und Antwort eine gemeinsame Reise, die zu immer neuen Fragen und Entdeckungen führt. Nicht Ergebnisse werden gezeigt, sondern der Weg, den wir zu den ausgestellten Objekten hin zurückgelegt haben. Sie stecken noch immer voller Rätsel. Unsere Präsentation ist eine Einladung an Sie, auf dem von uns zurückgelegten Weg jetzt selbst auf Entdeckungsreise zu gehen.“

Den Frage-und-Antwort-Prozess zwischen den MacherInnen, KuratorInnen und WissenschaftlerInnen hätte man als BesucherIn gerne mitverfolgt: Es wäre spannend gewesen, bei der Suche nach Kontexten und unterschiedlichen Perspektiven auf die Objekte dabei sein zu können. Diese Prozesse werden im Ausstellungsraum leider nicht deutlich genug – auch hätte man gerne erfahren, wen man wie und warum am Wissensprozess beteiligt hat, welche Informationen die Institution hat, welche ihr fehlen, wo sie andere ExpertInnen hinzuzieht oder wo die aktuelle Meinung einer historischen Forschung abweicht.

Wer spricht?

AutorInnenschaft ist eine wichtige Frage, wenn es um Glaubwürdigkeit und Transparenz geht. Gibt man den RezipientInnen die Gelegenheit, sich zwischen mehreren Perspektiven zu entscheiden, nimmt man sie als mündige BesucherInnen wahr. Mit einer solchen Offenheit und Distanz den Inhalten im Museum gegenüber könnte man bestehende Diskussionen und kritische Ansätze abbilden und würde ein diverses Publikum ansprechen.

Ebenso könnten Museen partizipative Tendenzen3, die sich in Methoden wie in User-Generated-Content oder Co-Creating-Prozessen zeigen, in ihre Vermittlungspraxis einbinden. Besonders ein Versuch wie „Bedeutungen schichten“ hätte auch Leerstellen lassen und Tools für Meinungen des Publikums bereitstellen können.

Was tun?

Kontexte stehen ihren Objekten gut! Wenn ihnen dann noch so viel Raum gegeben wird wie hier, umso besser. Ich wünsche mir mehr solch räumliche Datenbanken; auch, dass sie Archivmaterialien und Wissen der Institutionen offenlegen und kontinuierlich Perspektiven von außen – ExpertInnen und Publikum – zulassen beziehungsweise einladen. Wissenschaftliche und subjektive alltägliche Informationen schaffen so Beziehungen zwischen den Objekten und ihren BetrachterInnen und damit eine stärkere, vielstimmige gesellschaftliche Relevanz.

Entgegen der aktuell viel zitierten Studie zur Verweildauer im Museum4, deren Ergebnis unter anderem war, dass BesucherInnen durchschnittlich einem Werk nur elf Sekunden widmen, setzt „Bedeutungen schichten“ auf Fokussierung und Verlangsamung des Betrachtungsprozesses. Die Gestaltung eines Rahmens für intensive Auseinandersetzung, Austausch und eigenes Recherchieren sind ebenfalls für das Humboldt-Forum empfehlenswert.

„Bedeutungen schichten“ hat sich der bisher seltenen Gattung der Vermittlungsformate angenommen: nämlich den Informations- oder Rechercheräumen. Für das zukünftige Humboldt-Forum wünsche ich mir mehr dieser Raum-Experimente, die ausloten, wie man sichtbar im Ausstellungsraum mit komplexen Informationen und Fragestellungen umgehen und diese transparent, multiperspektivisch, kritisch und spielerisch mit seinem Publikum umsetzen kann.

 

1 Vgl. David Kolb: Experiential Learning. Experiences as the Source of Learning and Development. New Jersey, 1984.
2 Als Beispiel zitiere ich die Fragen zum Mayakopf: „Woher kommt der Kopf? Gott- oder Menschenkopf? Ein Kultobjekt? Wieso eine Maske? Wann wurde er hergestellt? Wie und woraus wurde er hergestellt? Wer hat ihn entdeckt? Was ist an den Maya so faszinierend? Auf welchem Weg kam er ins Museum? Immer noch ein Rätsel?“
3 Vgl. aktuelle Publikationen wie: Angela Jannelli: Wilde Museen. Bielefeld, 2012; Susanne Gesser, Martin Handschin, Angela Jannelli, Sibylle Lichtensteiger (Hg.): Das partizipative Museum. Bielefeld 2012; Nina Simon: The Participatory Museum. Santa Cruz, CA 2010.
4 E-Motion Studie von Martin Tröndle, Fachhochschule, Basel, mapping-museum-experience.com/ergebnisse/kuenstlerische (aufgerufen 15. Juli 2013)


Daniela Bystron studierte Rehabilitations- und Kunstpädagogik in Köln und Zürich sowie Kunstgeschichte, Medienwissenschaften und Pädagogik in Düsseldorf und Köln. Seit 2006 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin für Bildung und Vermittlung bei den Staatlichen Museen zu Berlin und verantwortlich für die Kunstvermittlung im Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart – Berlin und der Neuen Nationalgalerie. Sie ist Lehrbeauftragte der Freien Universität Berlin, der Universität der Künste Berlin sowie Dozentin der Bundesakademie für kulturelle Bildung Wolfenbüttel und des Instituts für Kulturkonzepte in Wien.