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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

EuropaTest / Projektbeschreibung

Europa – eine wirkmächtige Fiktion

von Helmut Groschwitz

Der Ausgangspunkt der Ausstellungsintervention „EuropaTest“ ist eine Leerstelle. Die beharrliche Betonung der in Berlin-Mitte zu präsentierenden „außereuropäischen“ Sammlungen in den Konzepten des Humboldt-Forums schafft eine Trennung in „Wir“ und „die Anderen“, die Unbehagen bereitet. Spielt Europa tatsächlich keine Rolle im Humboldt-Forum? Sowohl durch den Modus der Erwerbungen, als auch durch die Formen der Wissensproduktion und der Präsentationen ist „Europa“ sehr tief in ethnologische Sammlungen und Objekte eingeschrieben. Auch wenn die Ausstellungen vorgeben, das „Fremde“, das „Ferne“, das „Andere“ darzustellen, wird tatsächlich vor allem der eigene, „europäische“ Blick sichtbar. Die Frage muss also lauten: Wie lässt sich „Europa“ in die außereuropäischen Ausstellungen integrieren, wie das „implizite Europa“ in den Exponaten darstellen?

Als Vorläufer des „EuropaTest“ startete im Oktober 2013 das Teaserprojekt „Warum nicht?“. Objekte aus allen drei Dahlemer Museen sowie einige Leihgaben wurden an überraschenden Stellen zwischen die Exponate in den Dauerausstellungen platziert und traten dort miteinander in Dialog: provozierend, ergänzend, kontrastierend. Ein Überschreiten von Sammlungsgrenzen, das interessante Fragen aufwarf, in seiner knappen Umsetzung aber auch Ratlosigkeit erzeugte und auf Ausarbeitung drängte.

„EuropaTest“ ist diese Weiterentwicklung, entstanden als ein Gemeinschaftsprojekt, in das KuratorInnen aus allen drei Dahlemer Museen ihre Ideen eingebracht haben. Für die Probebühne 4 entstanden sechs in den Räumen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst dezentral verteilte Themeninseln. Um diese im Raum gut als „Hinzutretendes“ zu markieren und gleichzeitig die Raumarchitekturen nicht zu stören, wurden sie durch türkisfarbene Boden- und Frontflächen markiert. Angesichts der Fülle an Objekten und Zugängen sollen im Folgenden nur einige zentrale Aspekte des Projekts genannt werden.

Konstruktionen entlarven, Instrumentalisierungen aufdecken

Europa ist keine Tatsache, sondern eine wirkmächtige Fiktion. Weder geografisch noch geologisch, weder historisch, symbolisch oder kulturell lässt sich Europa als eine Einheit abgrenzen, nicht nur politisch ist „Europa“ weltweit präsent. Aber es lassen sich die dahinterliegenden Konstruktionen, Diskurse und Instrumentalisierungen aufdecken und entlarven. Die Themeninsel „Making Europe(s)“ machte dies unter anderem mit unterschiedlichen Europa-Karten sichtbar, die alle ein anderes Europa – oder Möglichkeiten von Europa – zeigen. Das „Europa in den Köpfen“ wurde durch eine „wachsende Vitrine“ sowie ein Pinterest-Board verdeutlicht. Während der Ausstellungsdauer konnten hier Objekte hinzugestellt beziehungsweise Fotos gepostet werden, die jeweils ganz persönliche Bilder von „Europa“ repräsentieren.

Die Sammlungsgeschichte und die Objektbiografien zeigen, dass die Grenzziehungen in den Museen und Sammlungen ebenso wie die Kategorisierungen der Objekte keiner inhärenten Ordnung der Dinge entsprechen. Unter wechselnden politischen Vorgaben und organisatorischen Veränderungen wurden Abgrenzungen mehrfach geändert – und sie sind auch weiterhin verhandelbar. „Europa gesammelt“ verdeutlichte dies mit verschiedenen Exponaten, die mehrfach ihre Zugehörigkeiten in den Dahlemer Museen wechselten. Ein Zeitstrahl machte sichtbar, wie „europäische“ und „außereuropäische“ Sammlungen in Museen zusammengefasst und wieder neu aufgeteilt wurden.

Die Rede von den „außereuropäischen Sammlungen“ suggeriert, dass sich die Welt nach Regionen ordnen ließe. Doch die Aufteilungen der Welt in Regionen, „Kulturkreise“ oder „ethnische Repräsentationen“ sind überholt. Oft genug beruhen sie auf kolonialen Techniken der hegemonialen Ordnung, dienten der Legitimation von Übergriffen. Entscheidend für einen zeitgemäßen Zugang zu den Sammlungen ist hingegen das Aufzeigen der entangled history, also der gemeinsamen und miteinander verflochtenen Geschichte(n), einer gleichberechtigten Historizität kultureller Formen sowie der transkulturellen Beeinflussungen und Zusammenhänge. Es gibt keine europäische Kulturgeschichte (welchen Raum man auch dazu rechnen wollte) ohne außereuropäische Beziehungen, Kulturkontakt und Kulturaustausch – und umgekehrt. In der Ausstellung ließen sich solche Verflechtungen etwa am „Beziehungskästchen“ ablesen: Ein Elfenbeinkästchen aus dem 16. Jahrhundert, das ceylonesische Schnitzer mit Motiven aus französischen Stundenbüchern versahen, war ein Diplomatengeschenk im Werben um die Unterstützung der Portugiesen, die als neue Akteure in den Handel und die Beziehungen im Indischen Ozean traten.

Es war eine koloniale Technik, die kulturellen Narrative getrennt zu halten. Jetzt stehen wir vor der Aufgabe, die Narrative zu verbinden und eine gemeinsame Geschichte zu schreiben. So konfrontierte „Europa provinzialisieren“ unter anderem eine Statue des Kulturheros Chibinda Ilunga, der im 19. Jahrhundert bei den Chokwe in Zentralafrika zur Legitimation ihrer Herrschaft diente, mit der Reproduktion eines Gemäldes Napoleons. Das Nebeneinander sollte das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Geschichte afrikanischer Gesellschaften in globale Entwicklungen eingebunden ist und keine „zeitlose, traditionelle Kultur“ darstellt. Die Moderne ist kein europäisches Produkt, sondern durch die Zunahme weltweiter Austauschbeziehungen als globales Gemeinschaftsprojekt entstanden – das in verschiedenen Weltregionen starke Veränderungen und Krisen hervorrief. Solch komplexe Zusammenhänge bedürfen jedoch weiterer gestalterischer Ergänzungen, um die vielschichtigen Inhalte zu vermitteln.

Auf einer weiteren Rezeptionsebene stand den Museumsbesuchern die eigens entwickelte App „BorderCheck“ zum Download bereit, die die „Grenzen“ zwischen den nach Weltregionen strukturierten Abteilungen im Ethnologischen Museum sichtbar machte. An jedem Übergang ließ sich über Quizfragen das eigene Wissen über Grenzen und Migration prüfen und verbessern.

EuropaTest – und jetzt?

Ein Paradox war „EuropaTest“ eingeschrieben: Es wurde beharrlich nach etwas gefragt, das gar nicht existiert, nämlich die Unterscheidbarkeit von Europa und Außereuropa. Dabei wurden verschiedene Zugänge erprobt, mit denen „Europa“ in den „außereuropäischen“ Sammlungen – und vice versa! – sichtbar gemacht und Bezüge zwischen Weltregionen hergestellt werden können. Das Potenzial, das in der Kombination europäischer und außereuropäischer Ethnografika liegt, trat deutlich zutage. Doch zeigte sich auch, dass allein die physische Dialogisierung von Objekten dem Betrachter kaum Möglichkeiten zur Decodierung bietet. Entscheidend ist die Kontextualisierung, das Sichtbarmachen von Zusammenhängen durch weitere Medien oder Exponate. Die Objekt-Kombinationen sind als epistemische Konfrontationen in jedem Fall als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung geeignet.

Ohne europäische Ethnografika würde im Humboldt-Forum die koloniale Unterscheidung des „Wir und die Anderen“ weiter vertieft – was den aktuellen akademischen und museologischen Diskursen diametral entgegen liefe. Die museumsgeschichtliche Reflexion sowie die Offenlegung der Erwerbungen und der Forschungsprämissen ist unerlässlich. Ebenso müssen die historischen Hintergründe von (europäischen) Konzepten wie „Europa“, „Naturvolk“, „Ethnie“ sowie die willkürliche Unterscheidung von „Kunst“ und „Kultur“ kritisch reflektiert und dekonstruiert werden. So wie Völkerkundemuseen einst den kolonialen Blick geprägt haben, so könnte das Humboldt-Forum helfen, diese Blickregime zu revidieren.

Will das Humboldt-Forum seinen Anspruch auf Aktualität und Partizipation einlösen, bedarf es des Aufzeigens von Beziehungen, Beeinflussungen und Parallelitäten, von kategorialen Entsprechungen und dem Eingewobensein in eine gemeinsame Geschichte. Dazu werden entsprechende Objekte aus Europa benötigt. Diese sind in Berliner Museen, allen voran dem Museum Europäischer Kulturen, vorhanden. Daher gilt es, Strukturen für einen unkomplizierten Austausch und gemeinsame Präsentationen zu schaffen. Die Form der Ausstellungsintervention ist als Notlösung durchaus geeignet, Europa zu „ergänzen“; sie erfordert aber auch den nötigen Raum in den Dauerausstellungen, Mittel für die Infrastruktur und die Einbeziehung aller zukünftig Beteiligten in die laufenden Planungen.


Dr. Helmut Groschwitz ist Kulturanthropologe und Kurator mit den Arbeitsschwerpunkten Wissenschaftsgeschichte, Kulturerbe, Museumstheorie und Erzählforschung. Für das Humboldt Lab Dahlem kuratierte er das Projekt „EuropaTest“.


Weiterführende Texte zu diesem Projekt finden Sie hier.