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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Waseem Ahmed – Dahlem Karkhana / Projektbeschreibung

Ein junger Künstler, eine alte Sammlung, ein Raum für Begegnung

von Martina Stoye

Die Kunstsammlung Süd-, Südost- und Zentralasiens des Museums für Asiatische Kunst ist bislang vor allem archäologisch-kunsthistorisch ausgerichtet. Der Sammlungsbestand (2. Jh. v. Chr. bis 19. Jh. n. Chr.) wird als historisch abgeschlossenes Kapitel präsentiert; immer noch werden die BesucherInnen aus der Dauerausstellung entlassen, ohne dass ihnen auch nur ein Wort zum Fortleben dieser Kunsttraditionen in der Gegenwart mitgegeben wird. Die zeitgenössischen Kunstbewegungen in den Herkunftsländern der alten Objekte werden nicht thematisiert, obwohl seit Eröffnung der Bornemann’schen Fassung des Museums im Jahr 1970 die stark gestiegene interkontinentale Mobilität und das Internet eine völlig neue Qualität in die Interaktion zwischen europäischen und nichteuropäischen Kulturen gebracht haben.

Im zukünftigen Humboldt-Forum soll diese lebendige Gegenwart verstärkt in den Blick genommen werden. Im Museum für Asiatische Kunst ist daher angedacht, den jüngeren Entwicklungen des süd-, südost- und zentralasiatischen Kunstschaffens durch ein Artist-in-Residence-Programm Rechnung zu tragen, in dem junge KünstlerInnen aus der Herkunftsregion der alten Sammlungsobjekte verstärkt eine Bühne finden. In Abgrenzung zu Institutionen der zeitgenössischen Kunst soll dies in einer Weise geschehen, wie es nur in einem Haus mit einer solchen Sammlung wie in Berlin-Dahlem möglich ist: mit Bezug auf die klassischen Meisterwerke und im Vergleich mit ihnen.

Pilotprojekt: Contemporary Miniature Painting mit Waseem Ahmed

Als ersten Testlauf realisierte das Humboldt Lab Dahlem das Projekt „Dahlem Karkhana“, zu deutsch etwa „Miniaturenatelier Dahlem“. Es bestand aus zwei Phasen: einer Atelierphase während der Probebühne 4 und einer Ausstellung während der Probebühne 5. Als Artist-in-Residence wurde Waseem Ahmed eingeladen, ein herausragender Vertreter des Contemporary Miniature Painting, einer gesellschaftskritischen Bewegung in der zeitgenössischen Miniaturmalerei Pakistans. Der Absolvent des National College of Arts in Lahore beherrscht nicht nur die traditionellen südasiatischen Maltechniken meisterhaft, sondern wird auch vom postmodernen Diskurs und aktuellen gesellschaftlichen Themen bewegt. Seine Bilder thematisieren subtil Missbrauch, religiöse Indoktrination und fundamentalistische Gewalt. Auf den ersten Blick wirken sie idyllisch, beeindrucken durch technische Meisterschaft und harmonische Komposition. Doch der zweite Blick deckt irritierende, bewusst eingefügte Verfremdungseffekte auf: Aus den Wurzeln eines Baumes trieft Blut, seine Blätter werden zu Schriftzeichen eines imaginierten Textes. Die Idyllen werden brüchig.

Für die MuseumsbesucherInnen entsteht so eine überraschende Verknüpfung zwischen den alten Miniaturen des Museums (scheinbar einer vergangenen Epoche angehörig) und den aktuellen, absolut kunstfernen, meist katastrophalen Nachrichtenbildern aus der Region. Zu den Stimmen der MedienkorrespondentInnen, die trotz intensiver Recherche meist „Außensichten“ vermitteln, addiert sich in künstlerischer Bildsprache eine (kritische) „Innensicht“.

Atelier und Ausstellung als Raum der Begegnung

Für die Residency wurde im Museum für Asiatische Kunst ein pakistanisch anmutendes temporäres Miniaturenatelier eingerichtet: an den Wänden umlaufend Teppiche, darauf Kissen für potenzielle Schüler; an prominenter Stelle ein durch einen besonders schönen, großen Teppich herausgehobener Arbeitsplatz für den Ustad, den Meister, mit südasiatischem Bodenschreibtisch. Hier erstellte Ahmed in täglicher, stundenlanger Arbeit vier fantastische neue Arbeiten, in denen er sich auf vier Kunstwerke der Berliner Sammlungen bezog (drei aus dem Museum für Asiatische Kunst, eins aus der Gemäldegalerie).

Sehr zum Erstaunen der KuratorInnen entschied sich Ahmed trotz intensiver Auseinandersetzung mit der Sammlung in Berlin-Dahlem nicht dafür, mit den reichlich vorhandenen hauseigenen Miniaturmalereien zu arbeiten. Der Künstler zeigte sich vielmehr sehr fasziniert von den ihm bis dahin völlig unbekannten mittelalterlichen buddhistischen Wandmalereien aus Zentralasien. Deren besondere Farb- und Motivpalette bezauberte ihn, die altersbedingten Leerstellen (also großflächige Beschädigungen) inspirierten ihn als Places of Void zu eigenwilliger Ergänzung. Sie boten ihm ein reiches, neues Motiv-Repertoire für seine angestammten Themen, zumeist Auseinandersetzungen mit Formen des religiösen Fundamentalismus’, die er auch im Dahlemer Projekt weiterverfolgte. Für die vierte Dahlemer Miniatur schließlich ließ er sich von „Der Mann mit dem Goldhelm“ in der Berliner Gemäldegalerie anregen. So entstand einen ganz neue Werkgruppe.

Dem Publikum wurde durch mehrere Atelieröffnungen und einen einwöchigen Intensivworkshop die Gelegenheit geboten, Einblick in die Kunst der Miniaturmalerei mit ihren traditionellen Techniken zu gewinnen und darin selbst erste Schritte zu tun. Gleichzeitig konnte es an dem ganz und gar gegenwärtigen Schaffen des Künstlers teilhaben und mit ihm in persönlichen Austausch treten. Für die Workshop-TeilnehmerInnen war es zutiefst beeindruckend zu erfahren, wie viel kontemplativer Ruhe und geduldigster Etüden es bedarf, dem Eichhörnchenhaarpinsel, dem Hauptwerkzeug des Miniaturenmalers, die für die Vorzeichnung erforderlichen kontrollierten Linien abzugewinnen oder die Farbtöne aus Pigmenten, Gummiarabikum und saphed (weißer Grundfarbe) anzumischen, um später das Bild Schicht um Schicht in immer neuem mühsamen Bemühen vom Groben zum Feinen hin aufzubauen.

Die während der Residency ebenfalls erarbeitete Ausstellung zeigte Ahmeds in Berlin-Dahlem neu gefertigte Werke zusammen mit 33 älteren Schöpfungen aus seiner Hand. Hierfür stellten 18 LeihgeberInnen aus Pakistan, England, Belgien und der Schweiz Arbeiten zur Verfügung. Präsentiert wurden wichtige Themenkreise des Ahmed‘schen Werks von seinem Studienabschluss bis in die Gegenwart, vom Künstler persönlich kommentiert. Gleichzeitig verband die Schau sein Werk explizit mit der alten südasiatischen Sammlung, indem den zeitgenössischen Miniaturen motivisch verwandte alte Albumblätter des Museums für Asiatische Kunst gegenübergestellt wurden. Diese traten mit den Bildern Ahmeds in einen vielschichtigen Dialog. Die Filmemacherin Lidia Rossner, Universitäts-Dozentin im Fach Visual Anthropology an der Freien Universität Berlin, begleitete den Maler während seiner Residency. Dem daraus resultierenden Kurzfilm „Sound of Painting“ gelingt es, wichtige Aspekte des Projekts zu bewahren.

Ausblick

Für die Kuratorin war der Austausch mit Ahmed von höchstem Wert, erschlossen sich durch die Dialoge mit dem Künstler doch nicht nur die von ihm geschaffenen Bilder, sondern darüber hinaus viele Aspekte alter Tradition. Durch die Gespräche über zeitgenössisches Kunstschaffen sowie über Kunstbetrachtung an sich, erscheinen auch die alten Miniaturen der Sammlung nun in neuem Licht. Das Publikum war, neben der Möglichkeit zur unmittelbaren Begegnung mit dem Künstler, vor allem von der Vitalität einer tot geglaubten Meisterschaft beeindruckt, von der Verbindung jener alten Tradition mit der hohen gesellschaftskritischen Aktualität der Bildthemen. Genau in diesem Segment könnten Auftrag und Erfolg eines zukünftigen Artist-in-Residence-Projekts im Humboldt-Forum liegen.


Martina Stoye ist Kuratorin für die Kunst Süd- und Südostasiens am Museum für Asiatische Kunst Berlin.


Weiterführende Texte zu diesem Projekt finden Sie hier.