HINWEIS

Diese Website nutzt für statistische Erhebungen und zur Verbesserung des Internetauftritts das Webanalysetool Piwik. 

Aktuell wird ihr Besuch von der Piwik Webanalyse erfasst.

Nein, ich möchte nicht, dass mein Besuch erfasst wird.

ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Verzauberung / Beauty Parlour / Projektbeschreibung

Narrative Räume in der Vermittlung

von Paola Ivanov und Andrea Rostásy

Die Ästhetik der muslimischen Küstengesellschaften Ostafrikas („Swahili“) vereint die Sinnesempfindungen – Sehen, Hören, Fühlen, Riechen, Schmecken, kinästhetischer Sinn – und spricht zugleich den Geist an. Eine wichtige Entfaltungsform findet diese Ästhetik in der weiblichen Sphäre der Swahili-Kultur, in der sich innere und äußere, spirituelle und körperliche Schönheit sowie Reinheit in der Produktion und Präsentation der ästhetischen Vervollkommnung der Braut realisieren.

Als Prototyp für einen Teil des künftigen Afrika-Ausstellungsbereichs im Humboldt-Forum widmete sich das Projekt „Verzauberung / Beauty Parlour“ der Frage, wie die ästhetischen Prinzipien und Praktiken, in deren Kontext die Artefakte von der ostafrikanischen Swahili-Küste eingebettet waren und sind, für BesucherInnen des Museums erfahrbar gemacht werden können. Wie kann man dabei auch die theoretischen Grundvoraussetzungen der Repräsentation nicht-europäischer Erfahrungswelten in europäischen ethnologischen Museen sowie die mit einer solchen Übersetzung verbundenen Fragestellungen kritisch reflektieren? Und: Kann im Museum durch das Eintauchen in Duft, Musik, Farben, Glanz, Haptik und Bewegung überhaupt jene Verzauberung nachempfunden werden, wie sie in Mombasa, Lamu oder Sansibar als Wirkung von Schönheit beschrieben wird?

Idee und Ziel von „Verzauberung / Beauty Parlour“ war es, eine Rezeptionssituation zu schaffen, die synästhetisch alle Sinne anspricht und eine unmittelbare Erfahrung ermöglicht. Der Regisseur und Szenograf Dominic Huber, der für die Konzeption und Realisation des Projekts gewonnen werden konnte, übertrug dafür das aus dem Theaterkontext bekannte Konzept der sogenannten narrativen Räume auf das Museum. Er entwickelte eine experimentelle Rauminstallation, in der die BesucherInnen in eine subjektive Erzählung eintauchen sollten, und er baute mit seinem Team einen hyperrealistischen, voll ausgestatteten Schönheitssalon zwischen privater Atmosphäre und Beauty Salon an der Straße. Beraten und begleitet von Paola Ivanov, Kuratorin der Afrika-Sammlung am Ethnologischen Museum und Initiatorin des Projekts, und von Jasmin Mahazi, Spezialistin für die Kultur und Literatur der Swahili, wurden Stoffe, Materialien, Utensilien, Farben und Düfte, Lieder und Gedichte ausgewählt. Die Erzählung entwickelte Dominic Huber mit der von der Swahili-Küste stammenden Verschönerungsexpertin Maimuna Abdalla Said Difini zunächst in schriftlichen Interviews. Diese bildeten die Grundlage für Filmaufnahmen, die in einem zweiten Schritt der Produktion direkt im Beauty Salon im Museum entstanden. Über eine Steuerung wurden Film, Licht, Ton und Duft in eine durch die jeweilige BesucherIn auszulösende Ereignisabfolge gebracht.

Verzauberung auf Abruf

„Verzauberung / Beauty Parlour“ war eine frei im Raum stehende Installation, die durch ihre nach außen hin klar erkennbare Holzkonstruktion sowie eine transparente Umhüllung skulptural und kulissenhaft zugleich wirkte. Gesang, Straßengeräusche, Vogelgezwitscher und Meeresrauschen drangen leise aus dem Inneren. Gingen die BesucherInnen um die Konstruktion herum, entdeckten sie den verhüllten Eingang. An der Tür stand „Beauty Salon“. Eine Lampe zeigte an, ob der Raum frei oder besetzt war. „Fotografieren verboten“, signalisierte das entsprechende Symbol. Wer sich – das ist im Museum ungewöhnlich – allein auf eine siebenminütige Auseinandersetzung mit dem Werk einlassen wollte, teilte den Vorhang im Türrahmen und betrat einen Warteraum, der mit einem Schemel, Bildern, einem Spiegel und einem hölzernen Schriftzug mit der Swahili-Begrüßung „karibu“ (willkommen) bestückt war. Ein altes Radio stand auf einem kleinen Bord, aus dem eine Stimme begrüßte. Sie forderte auf, über einen Schalter an der Wand eine Sprachauswahl zu treffen und nach Anweisung in den eigentlichen Salon einzutreten. Dieser sah aus, als wäre er in Betrieb und nur zufällig niemand da. Nun hielt die Stimme von Maimuna, der Schönheitsexpertin, dazu an, sich in den Behandlungsstuhl zu setzen. Währenddessen war es möglich, einen Blick auf eine Papierrosette aus Geldscheinen, eine Packung Goldmaske oder auf Blütenschmuck fürs Haar zu erhaschen. Plötzlich erwachte der Raum zum Leben. Das Licht wechselte, wurde farbig, im Fernseher liefen Szenen einer Swahili-Hochzeit, der Ventilator drehte sich, eine Frau sang ein altes Lied, es duftete nach Parfum. Auf dem großen, halbdurchlässigen Spiegelscreen über dem Behandlungstischchen erschien nun eine Projektion von Maimuna. Daneben wurde die Silhouette einer Frau erkennbar, die in demselben Behandlungsstuhl saß wie die BesucherIn und mit dem eigenen Spiegelbild zu verschmelzen schien. Die Verschönerung begann.

Mit Maimuna und ihren Geschichten, die sie während der Behandlung erzählte, war es möglich, in eine Umgebung einzutauchen, die den meisten BesucherInnen unbekannt ist: die der Schönheitspraktiken und Hochzeitsrituale an der Swahili-Küste Ostafrikas. Maimuna erzählte von ihrer Kindheit, ihrer Entscheidung Verschönerungsexpertin zu werden und von der Bedeutung eines Lieds, das im Raum zu hören war. Nach sieben Minuten war der Zauber – das Geschenk Maimunas an die fremden Gäste – vorbei. Im Kopf noch ihre letzten Worte: „Möge Dir alles gelingen und trage Sorge für deine Ehe“, verließ die BesucherIn den Raum über eine zweite Tür und fand sich in einer Art Gang zwischen der hölzernen Außenwand der Salons und der transparenten Umhüllung wieder. In sechs in die Holzkonstruktion eingelassene Vitrinen waren die Objekte wie bei einem Blick in eine Kommode oder Schublade präsentiert. Sie brauchten keine Auratisierung, denn im Kontext der Nutzung präsentiert, vermittelten sie ihren kulturellen Zusammenhang ganz nebenbei. Manche Objekte für die Verschönerung, wie Knöchelringe und Sandalen aus Silber oder Kämme aus Ebenholz, stammten aus der Sammlung, andere waren in Lamu und Mombasa neu erworbene Objekte wie Kanga-Wickeltücher oder üppiger Strassschmuck. Am Ende des gebogenen Gangs trat man wieder in den normalen Museumsraum und schaute hinaus auf die Terrasse draußen im Grünen.

Partizipation und Interpretation im Dauerbetrieb

„Verzauberung / Beauty Parlour“ zeigte, dass in dem Format „narrative Räume“ großes Potenzial für die Vermittlung kultureller Praxis liegt. Der Salon war Skulptur, Kulisse und Verführung – er war Irritation und sprach alle Sinne an. Wer sich hinein getraute, ließ sich auf sieben Minuten Verweildauer ein. Diese Zeit zu einer intensiven Erfahrung zu verdichten, gelang nicht nur durch den detailreichen Salon und den virtuellen Auftritt von Maimuna, sondern auch durch die direkte Ansprache der BesucherIn als Gast und Kundin für die Verschönerung. Diese medial gesteuerte Interaktion, inklusive Duft, Licht und Ton, verzauberte so manche von ihnen.
Die Intensität und Reflexivität der exklusiven Einzelbesuche entstand, indem anstelle einer musealen (Pseudo-)Objektvität den BesucherInnen eine bewusst subjektive Präsentation und Erfahrung angeboten wurde. Ob alle Gäste dabei das Moment der Intimität der Verschönerung oder ihre spirituelle Tragweite rezipierten, ist nicht zu beantworten. Anhand der Publikumsreaktionen wurde jedoch klar, dass die Bedeutung des hier gewährten privilegierten Einblicks in die Kultur der Swahili als ein „Geschenk der Schönheit“, in der Präsentation nicht deutlich genug zum Ausdruck kam.
Im Museum sind – im Unterschied zu stärker theatralisch ausgerichteten narrativen Räumen – keine SchauspielerInnen anwesend, die mit den BesucherInnen interagieren und die inszenierte Erfahrung in eindeutigere Bahnen lenken. In diesem Zusammenhang wurde während der Entwicklung des Projekts darüber diskutiert, ob das Innere des Beauty Salons, wie an der Swahili-Küste üblich, nur für Frauen zugänglich sein sollte, letztendlich aber entschieden, dem musealen Kontext zu entsprechen und die Installation allgemein zugänglich zu machen.
Bei einem Umzug ins Humboldt-Forum und damit in den Dauerbetrieb muss sich „Beauty Parlour“ noch einmal diesen Aspekten sowie den Anforderungen der Zugänglichkeit für größere BesucherInnenzahlen widmen, die den Einzelpräsentationen entgegenstehen. Eine Bereicherung und Erweiterung der Ausstellungspraxis stellt „Beauty Parlour“ aber schon jetzt dar.


Dr. Paola Ivanov ist seit 2012 Kuratorin der Sammlung Afrika im Ethnologischen Museum in Berlin. Andrea Rostásy ist bildende Künstlerin und Medienkuratorin.


Weiterführende Texte zu diesem Projekt finden Sie hier.