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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Waseem Ahmed – Dahlem Karkhana / Positionen


Die Zartheit der realistischen Details

Sieben Wochen arbeitete Waseem Ahmed im Museum für Asiatische Kunst in einer eigens für ihn eingerichteten Miniaturbildwerkstatt. Allein, konzentriert, ohne Tageslicht. Es war eine gute Zeit, sagt der Künstler: Er sei sowieso ein Nachtmensch, und zur Inspiration gab es die zentralasiatischen Wandmalereien der buddhistischen Ära in der benachbarten Sammlung.
Interview: Sarah Khan

Waseem Ahmed, die Museen Dahlem befinden sich inmitten einer großbürgerlichen Nachbarschaft. Wie haben Sie diese Arbeitsumgebung in Dahlem empfunden?

Ich brachte mir sehr viel Material aus Lahore mit, deshalb sah es hier gleich aus wie in meinem Atelier zu Hause. Ich bin es gewohnt, an unterschiedlichen Orten zu arbeiten und hatte zuvor schon einige Aufenthaltsstipendien.

Aufgewachsen sind Sie in Hyderabad?

Ja. Mein Vater war ein Metallschmied, meine Mutter Hausfrau, beide sind Analphabeten, die nie zur Schule gingen. Aber die Kinder bekamen alle eine Ausbildung: Ein Bruder wurde Physiotherapeut, eine Schwester Radiologin, ich wurde Künstler. Mein Vater hatte jedoch große Bedenken gegenüber meinem Beruf. Vor 20 Jahren gab es praktisch keine Galerien in Pakistan, und in Hyderabad war niemand Künstler. Mein Vater war sehr aufgebracht über meine Berufswahl und sprach während meiner gesamten Studienzeit am National College of Arts (NCA) in Lahore kein einziges Wort mit mir. Ich wohnte in einem Hostel, dort war man untergebracht wie ein Tier. Ich bekam ja keine Unterstützung und konnte kaum Rechnungen bezahlen. Erst nach dem Studium verkaufte ich meine Malerei, ab da ging es mir besser. Deshalb sage ich mir immer, ich bin ein Glückskind: Ich habe alle möglichen Lebensumstände kennengelernt und durchgestanden.

Wie haben Sie Berlin erlebt?

Mein Terminkalender war sehr voll, und ich habe vor allem gearbeitet, aber ich konnte auch einiges über die Berliner Geschichte lernen. Gestern waren wir bei der Feier des Mauerfalls vor 25 Jahren, das war sehr berührend für mich. Mit den Museumsleuten habe ich durchweg gute Erfahrungen gemacht. Ich habe nicht nur wie ein Gefangener im Museum gelebt.

Aber ein bisschen schon wie ein Gefangener?

Ein Gefangener des Zeitplans. Es gab viele Termine, und es wurde ein Film mit mir gedreht.

Der Film war überraschend, man hat sie beim Kochen gefilmt. Ein Pakistaner, der kocht, da erwartet man ja eine besondere Spezialität, ein tolles Curry. Aber man sieht Sie bei der Zubereitung eines einfachen Omelettes.

Es war das erste Mal, dass ich etwas kochte. Ich wusste nicht, wie das geht. Meine Frau erklärte es mir vorher am Telefon.

Sie haben sich in Dahlem mit der Sammlung Asiatischer Kunst beschäftigt. Im Archiv gibt es 25.000 Artefakte. Welche Objekte interessierten Sie besonders?

Die Fresken, zentralasiatische Wandmalereien aus der buddhistischen Ära.

Das Gebiet des heutigen Pakistans hat eine multireligiöse Geschichte, geprägt von Buddhismus und Hinduismus. Nun ist Pakistan eine Theokratie, die auf dem Islam basiert. Die Miniaturmalerei wiederum bedient sich der Vorstellung einer prächtigen Moghul-Ära, einer Blüte islamischer Kultur. Ist dies ein Grund, sich der Miniaturmalerei zuzuwenden: Weil sie eine positive Energie verleiht, die man sich in der heutigen, schwierigen Zeit nutzbar machen kann? Erklärt das die Mode der Miniaturmalerei?

Als ich zu studieren begann, waren andere Zeiten als heute. Alles war sehr unaufgeregt, es gab keine Handys, kein Internet, man hatte kaum Kontakte nach außen. In dieser Zeit studierte ich Ölmalerei nach westlichem Vorbild. Ich ließ meine Haare lang wachsen und versuchte, wild zu malen. Europäische Maler waren mein Vorbild, vor allem Manet, dessen Farben mich faszinierten. Mein Lehrer besaß einige Bücher über ihn, die sah ich mir an. Aber ich war ein schlechter Maler, mein Lehrer kritisierte, dass ich die Leinwand mit zu vielen Details ausfüllte. Erst nach sechs Jahren Malerei entdeckte ich am National College of Arts die Miniaturmalerei als Nebenfach. Ich merkte, dass mir der Detailreichtum und die Zartheit der realistischen Details gefielen, darin konnte ich mich versenken. Das hatte nichts mit einer Mode zu tun. Heute wollen viele Studenten die Miniaturmalerei belegen, die Studienplätze sind begehrt und werden eingeschränkt vergeben, denn nun gibt es einen internationalen Markt dafür.

Lassen Sie uns über die europäischen Gemälde sprechen, mit denen Sie sich in Ihrer Arbeit auseinandersetzen. Sie beziehen sich unter anderem auf Edouard Manets „Olympia“. Das Bild löste seinerzeit einen Skandal aus, es thematisierte auf neue Weise die Prostitution. Welche Verbindung gibt es zur pakistanischen Miniaturmalerei?

In Old Lahore gibt es den Prostitutionsbezirk Heera Mandi, den gab es schon in der Moghulzeit. Heera Mandi bedeutet Diamantenmarkt, was eigentlich Frauenmarkt bedeutet. Prostitution war immer verboten und fand trotzdem statt. Als Zia-ul-Haq in den 1970er Jahren an die Macht kam, wurde Heera Mundi geschlossen, was aber nur bewirkte, dass die Prostitution sich auf alle Stadtteile verteilte.

Was haben Sie als Maler mit Manets Vorlage gemacht?

Ich malte der Figur der Frau einen durchsichtigen Körperschleier. Das ist ein großer Unterschied. Es geht nicht um Prostitution, es geht um den Gedanken, den alle Männer haben, wenn sie eine Frau in einer Burka sehen. Sie fragen sich immer, welchen Körper hat die Frau wohl darunter, wie sieht sie nackt aus.

Die Alte Nationalgalerie in Berlin besitzt einige Manets. Haben Sie die gesehen?

Ja, die Manets und vor allem den Rembrandt in der Gemäldegalerie, „Der Mann mit dem Goldhelm“. Ich war vollkommen verblüfft, das Bild des Soldaten hier zu sehen, ich saß stundenlang davor. Ich bin dem Bild schon lange verbunden, der Leiter des Instituts für Miniaturmalerei am NCA hatte das Poster in seinem Büro, und jeden Tag sah ich es. Er hatte es während eines Restaurierungsworkshops in Berlin gekauft.

Das im Dahlem Karkhana in Auseinandersetzung mit dem Gemälde entstandene Bild heißt „Golden Bullets“, im oberen Bildfeld sind Geschosse zu sehen. Goldene und silberne Patronen sind ein wiederkehrendes Motiv bei Ihnen.

Sie stehen für die Gewaltbereitschaft der Taliban. Leider reicht diese so weit, dass sie Menschen selbst zu Waffen macht. Indem sie der Gewalt einen Glorienschein verpassen. Der Glanz des Goldhelms ist auf die modernen Geschosse übergegangen. Dort, wo ich aufwuchs, hatten alle Waffen, sogar die Jugendlichen. Man bot auch mir Waffen an, aber ich lehnte ab. Ich mag Waffen nicht.

Sie nutzen Gold- und Silberblattauflagen. Entspricht das der Tradition der Miniaturmalerei?

Ja, das Material wurde auch früher verwendet. Man sieht es auch auf den Bildern im Lahore Museum, nur dass auf den alten Bildern das Silber schwarz angelaufen ist.

Zufällig kenne ich Ihren Gold- und Silberblatt-Händler vom Old Bazaar in Lahore, er verkauft die Blattauflagen vor allem als festliches Dekorationsmaterial, für Süßspeisen und Gewürze. Er glaubt ja auch, dass der Verzehr gut für die Gesundheit ist. Viele bekannte pakistanische Künstler sind seine Kunden, aber Kunst interessiert diesen Mann nicht besonders, oder?

Ja, er ist nicht leicht zu beeindrucken (lacht). Er will mich immer überreden, pulverisiertes Gold und Silber für meine Gesundheit zu essen, aber ich antworte ihm jedes Mal, dass ich daran nicht glaube.

Ich habe fast den Eindruck, dass einige pakistanische Miniaturmaler das Blattgold verwenden, um zu beeindrucken, da wird geklotzt, nicht gekleckert, als wäre man beim Juwelier.

Im Dahlem Karkhana habe ich Goldblatt nur für ein Bild verwendet, für die Patronen. Sonst verwende ich Gold- und Silberblatt selten. Ich ziehe es vor, Gold als Farbe zu verwenden, damit zu malen. Ich will niemanden damit beeindrucken; „seht her, ich bin reich“ – nein.

Sie arbeiteten im Dahlem Karkhana zwei Monate in einem Museumsraum ohne Tageslicht. Wie haben Sie das ausgehalten?

Ich bin ein Nachtmensch. In Pakistan arbeite ich am liebsten nachts, ich bin es also gewohnt, unter Kunstlicht zu arbeiten. Ich kenne das Problem, dass man die Farben nicht richtig beurteilen kann, wenn man unter Weißlichtlampen arbeitet. Da kommt es oft zu Fehlern bei den Weiß- und Gelbtönen und allen hellen Farben. Aber ich bekam für die Werkstatt Tageslichtlampen, die ein Lichtspezialist installierte. Die Wände wurden zuvor weiß gestrichen, damit es keine störenden Reflexionen gibt. Es waren gute Arbeitsbedingungen.

Wie war der Miniaturbild-Workshop mit den Berliner Teilnehmern?

Eine wirklich schöne Erfahrung. Am Anfang waren die Teilnehmer nervös, sie sollten am ersten Tag Quadrate malen und mit feinen Linien ausfüllen. Ich dachte erst, die laufen bestimmt ganz schnell weg, so wie sie auf die Uhren sahen. Bis zwölf Uhr nur Quadrate und Linien? Aber dann merkten sie, dass es gar nicht so einfach ist, und die Zeit verflog schnell. Die wollten nachher gar nicht mehr weggehen, auch nach 17 Uhr nicht.

Wie geht es Ihnen damit, dass Sie in Berlin asiatisches Kulturerbe antreffen? Wie stehen Sie zum Restitutionsgedanken?

Ich denke, die Artefakte sind hier besser konserviert. Bei uns wäre die Hälfte davon längst verloren. Im Lahore Museum läuft das Wasser von den Wänden, man hat nicht genug Geld, das Dach zu sanieren. Da werden die Artefakte an Privatsammler verkauft oder sie gehen einfach kaputt.

Wäre es wichtig, dass mehr pakistanische Künstler kommen, um sich ihr Kulturerbe anzusehen?

Für mich war es wichtig, die Skulpturen und Fresken zu sehen. Andere Dinge hingegen, die in ethnologischen Museen gezeigt werden, wie Kleidung oder Haushaltsgegenstände, sind sicher nicht wichtig für uns, die sehen wir im Alltagsleben ständig. Aber die alte Kunst zu entdecken, wäre sicher auch für andere Künstler von Bedeutung.

Die letzte Frage ist vielleicht etwas verfrüht gestellt, aber welche Bedeutung wird dieser Berlinaufenthalt einmal in Ihrer Biografie einnehmen? Haben Sie etwas Bleibendes für das Leben oder für die Kunst gelernt?

Ich habe gelernt, einen Stadtplan zu benutzen, einen Fahrplan zu lesen und U-Bahnen und Busse zu nehmen. Das ist auch für einen Künstler eine sehr wichtige Erfahrung (lacht).


Sarah Khan lebt als freie Journalistin in Berlin.

Das Gespräch fand am 10. November 2014 in Berlin statt.


Einöde

Die Anthropologin und Kunsthistorikerin Virginia Whiles über das Potenzial des interdisziplinären Dialogs zwischen Kunst und Anthropologie – anhand einiger Beispiele aus ihrer Praxis der Lehre und des Kuratierens zeitgenössischer Kunst.

Meine Bewegung von der Kunstgeschichte zur Anthropologie hat sich graduell vollzogen. Über 40 Jahre habe ich in Europa und Südasien sowohl westliche als auch asiatische Kunstgeschichte gelehrt, vor 15 Jahren aber einen Kurs zu „Ethnografie als Werkzeug für Künstler“ in meinen Unterricht an diversen Kunsthochschulen in England, Frankreich, Indien und Pakistan eingeführt.

Im Rahmen meiner Lehrtätigkeit und als Kuratorin von nicht-westlicher Kunst in Frankreich und England hatte ich milde, dennoch hartnäckige Vorurteile erfahren. Trotz der neuen Perspektiven, die sich der Kunstgeschichte durch Semiotik, Psychoanalyse und Feministische Filmstudien eröffneten, klaffte eine große Lücke in der kritischen Kunstgeschichte des Westens, da sie schlicht und ergreifend den „Rest“ ausließ: afrikanische, asiatische und indianische Kulturen. Die Postmoderne hatte das moderne ethnozentrische Konzept des „Internationalismus“ noch kaum beeinflusst, das nach wie vor auf politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verbindungen zwischen Europa und Nordamerika basiert. Der Künstler und Kurator Rasheed Araeen hatte das in „The Other Story“ (1989) hinterfragt: „Warum ist die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts ein weißes Monopol geblieben?“ Verärgert durch diesen Mangel und begeistert von meinen eigenen Begegnungen mit der südasiatischen Kultur in den 1960er Jahren (als ich das erste Mal quer durch Indien reiste), entschied ich mich, meinen ersten Hochschul-Kurs zu nicht-westlicher Kunstgeschichte anzubieten.

Signifikant ist, dass zwar die Fakultät für Textilien diesen Schritt als wichtig ansah, die Fakultät für Bildende Künste hingegen dies jedoch als unnötige „Option“ wertete – Facetten hegemonialer Strukturen einer kolonialistisch geprägten Kunstausbildung, wie sie die in Britisch-Indien errichteten Kunstinstitutionen bezeugen, die teilen und herrschen, indem sie verwestlichte bildende Kunst über die „indigene“ Kunst stellen und letztere dann als Kunsthandwerk reklassifizieren. Die Indifferenz aufseiten der Institutionen hinsichtlich derartiger Probleme des Ethnozentrismus spiegelte sich jedoch nicht in der Studentenschaft wider. Zunehmend multikultureller werdend, machte diese längst ein verändertes Curriculum erforderlich.

Die westliche Kunst der Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts erweiterte die Idee einer orientalisierenden „Selbst-Andersartigkeit“ (self-othering) durch den Modus des „Neo-Primitivismus“. Das führte, mehr oder weniger bewusst, in eine Beziehung mit der Anthropologie und der Psychoanalyse – den zwei Feldern, die Foucault als „die privilegiertesten modernen Diskurse“ beschreibt. Mit zunehmender Globalisierung gab es verschiedene westliche, postmoderne Bemühungen‚ „die Welt zu kuratieren“, vor allem die Dritte Welt, wie es der kubanische Kunstkritiker Gerardo Mosquera beschreibt: „Die Welt ist praktisch aufgeteilt, in kuratierende Kulturen und kuratierte Kulturen“.

Ich wandte mich der Anthropologie zu, in der Hoffnung, in der dort vorherrschenden Kritik des Ethnozentrismus ein Mittel für ein „ent-orientalisiertes“ Verständnis dafür zu finden, wie sich verschiedene Repräsentationsweisen zu ihrem jeweiligen kulturellen Kontext verhalten. Und um zu zeigen, wie ethnografische Theorie und Praxis das Verständnis für diverse kulturelle Formationen erforschen kann. Aufgrund der wechselnden Dynamik kultureller Produktion und der Veränderungen kultureller Identität in der Diaspora erwies sich das Seminar für die multikulturelle Studentenschaft als ebenso beliebt wie nützlich. Seitdem der kulturelle Diskurs im Westen die Prozesse und das Marketing, durch die kulturelle Werte produziert werden, dominiert und manipuliert, wird das Bedürfnis dafür, derartige Prozesse anzufechten, von Kunststudenten überall wahrgenommen: aus einem Gefühl heraus, dass postkoloniale Globalisierungskritik von Bedeutung ist.

Der Kontext der derzeitigen Kunstwelt wird als global beschrieben, obwohl die Produktion immer lokal ist und indigenen kulturellen Entwicklungen wenig Aufmerksamkeit geschenkt wird. Betrachtet man eine Kunstpraxis innerhalb ihres besonderen sozialen Umfelds, zeigt das, inwieweit Ethnografie ein Werkzeug sein kann für das Verständnis von „anderen“ Kunstgeschichten, nämlich solchen, die die ethnozentrische Sicht der westlichen Kunstgeschichte stören. Ethnografie bezeichnet die empirische Beschreibung bestimmter Kulturen. Meiner Erfahrung nach motiviert dieser Fokus auf Kontext und Agency zu einer Selbstreflektion, die entscheidend ist für das Studium und die Praxis von Kunst als sozialer Tatsache.

Die ursprüngliche Überlegung zum Anthropological Turn formulierte Hal Foster in seinem Text „The Artist as Ethnographer“ (The Return of the Real, 1996), der auch meinen Turn bewirkte. Die Fragen, die sich aus den von mir kuratierten Ausstellungen ergaben, und die anhaltenden Debatten dazu sind in den Kurs eingeflossen, in dem verschiedene Themen diskutiert werden.

In der jüngsten Kunst findet sich eine Anzahl von Praktiken, die ethnografische Methoden anwenden, insbesondere teilnehmende Beobachtung, aber auch soziologisches Mapping oder Dokumentation. Künstler nutzen diese Methoden, oft in Installationen unmittelbar vor Ort. Die wichtigen Fragen, die Hal Foster stellte, verweisen auf das oft diskutierte Problem der „autoritären“ Rolle, sei sie ethnografisch oder akademisch. Das Problem der „Spezialisierung“ zeigt die feine Linie zwischen dem Spezifischen und dem Allgemeinen auf, dem Besonderen und dem Universellen. Das führt zur Frage, wie sich eine solche Methodologie in die kritische Kunstpraxis integrieren lässt, die die Drohung der postkolonialen Theorie vermeidet, ihr „wieder die westliche kulturelle Autorität“ einzuschreiben (Aijaz Ahmad, In Theory: Classes, Nations, Literatures, 1992). Ich glaube, eine positive Seite davon ist, dass ethnografische Feldforschung und der durch sie zuletzt ausgelöste Schwerpunkt auf Selbstreflektion helfen kann, verallgemeinernde Behauptungen zu reduzieren, wie sie in Schriften von westlichen Kunstkritikern über die Kunst unterschiedlicher Kulturen zu finden sind.

Ironischerweise wird ein Beispiel für das Risiko des Autoritarismus durch eine kuratorische Tendenz veranschaulicht, die seit den Kritiken an den Ausstellungen „Primitivism“ im MoMA (New York, 1989) und „Magiciens de la Terre“ im Centre Georges Pompidou (Paris, 1989) Werke „anderer“ Kulturen innerhalb eines ethnografischen Diskurses zeigt. Sally Price warnt dabei vor einem Fehlschlag, da das Ziel, die Ausstellung zu „legitimieren“ oder akademisch zu kontextualisieren, nichtsdestotrotz auf einer Auswahl basiere, die von westlicher Ästhetik bestimmt sei und vor allem von der Faszination für das „Primitive“ oder „Exotische“, wie sie manche Kuratoren an den Tag legen. Jean-Hubert Martin behauptete einmal, dass, da jedes Objekt durch dessen Platzierung im Museum ohnehin „dekontextualisiert“ sei, die Frage nach dessen Ursprung folglich irrelevant wäre. Später kehrte er diese Haltung mit seiner Ausstellung „Partage d’Exotismes“ (Lyon, 2000) um, indem er Anthropologen einlud, ausgewählte rituelle Artefakte auszusuchen, die dann neben westlichen Kunstwerken platziert wurden. Dennoch blendete der Fokus auf visuelle Ähnlichkeiten zwischen Kunstwerken und Artefakten deren kulturelle und historische Unterschiede weitgehend aus. Nancy Sullivan schrieb, dass, obwohl die Arbeiten durch die Präsentation am selben Ausstellungsort zeitgenössisch wirkten, „es das Fehlen einer gemeinsamen Geschichte [ist], das ‚Authentizität’ produziert. Je weniger Geschichte geteilt wird, desto unverfälschter wirkt der Outsider.“

Es ist in der Tat merkwürdig, wie wenig ernsthafte Aufmerksamkeit Anthropologen der zeitgenössischen Kunst entgegenbringen; weit mehr Raum wird der materiellen Kultur und ihrem Fokus auf Artefakte und kunsthandwerkliche Produktion gegeben. Wie Everlyn Nicodemus, afrikanische Künstlerin und ehemalige Anthropologin, schrieb: „Überlebende rituelle Bildwerke und folkloristische Artefakte ohne Bezug zur Zeit, in der wir leben, wurden auf den Status authentischen kulturellen Ausdrucks erhöht.“ Das ist das Schreckgespenst jeder Bewegung, die mit „Tradition“ spielt – so wie es auch meine Arbeit zur zeitgenössischen pakistanischen Miniaturmalerei aufzeigte. Der Einsatz traditioneller Technik in der zeitgenössischen Miniaturmalerei beruht auf der Anerkennung ihrer potenziellen Funktion als Zeichen für echte religiöse Toleranz. Dies wird begründet, indem reklamiert wird, die Atmosphäre des Mogulreichs sei durch Eklektizismus und kulturelle Diversität geprägt gewesen; Werte, die heute bedroht sind durch die zielgerichtete Politik des „Arabist shift“.1

1 „Arabist shift“: Hinwendung zu vermeintlich ur-arabischen Werten, wie sie die pakistanische Politik in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrieben hat. (Anm. d. Übersetzerin)

Übersetzung aus dem Englischen von Angela Rosenberg


Dr. Virginia Whiles ist Kunsthistorikerin und Anthropologin. Sie arbeitet seit über vierzig Jahren als Kritikerin, Kuratorin und Dozentin für Kunstgeschichte und Kulturwissenschaften in Großbritannien, Frankreich und Südasien. Von 1999 bis 2002 konzipierte sie einen Master-Studiengang in der theoretischen Ausbildung am National College of Art in Lahore.

Der Text ist ein von der Autorin überarbeiteter Teil des Vortrags „Wastelands: Between Art and Anthropology“, den sie am 22. Januar 2015 im Rahmen des Projekts „Waseem Ahmed – Dahlem Karkhana“ in den Museen Dahlem hielt.