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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Sammlungen schauen / Projektbeschreibung

Fülle als Schatz und Herausforderung

von Nicola Lepp und Nina Wiedemeyer

Um einen möglichst großen Teil der über Jahrhunderte geschaffenen, wertvollen Sammlungen des Ethnologischen Museums sowie des Museums für Asiatische Kunst dem Publikum zugänglich zu machen, sind in der Planung für das Humboldt-Forum Areale mit hohen und dicht gefüllten Vitrinen vorgesehen. Für die Schaudepotareale im Ethnologischen Museum gibt es drei Standorte: in der Amerika-Sammlung, der Afrika- und der Südsee-Sammlung. Es handelt sich dabei jeweils um bis zu 30 Meter lange Schrankvitrinenelemente, die in jedem der drei Bereiche in einer bestimmten Weise angeordnet sind. Die Elemente haben einen hohen Wiedererkennungswert und sind für die BetrachterInnen deutlich als übergreifende Einheit wahrnehmbar.

Notwendigerweise tritt in solchen Vitrinen die Bedeutung des einzelnen Objekts hinter die des jeweiligen Sammlungsbestands zurück. Vielmehr ist es die Fülle der Sammlungen in all ihrer Vielfalt, die den BesucherInnen vorgeführt werden und sie im besten Fall begeistern soll. Doch bei der Größe und Ausdehnung der Schaudepotareale ist Monotonie vorprogrammiert. Die Fülle will präzise eingerichtet sein.

Überlegungen für die Einrichtung der Vitrinenareale

Welches Potenzial liegt für das Publikum in der Dichte und Fülle von Objekten in den Schaudepoteinheiten? Was kann gerade hier gezeigt und vermittelt werden – im Unterschied zur thematischen Ausstellung? Welche besonderen Möglichkeiten der Präsentation und der Erzählung bieten sich an? Und schließlich: Was können Schaumagazine leisten und was nicht?

Auf der Grundlage umfangreicher Recherchen zur international verbreiteten Präsentationsform „Schaudepot“ schlägt „Sammlungen schauen“ eine übergreifende Dramaturgie für die Schaudepotareale im Humboldt-Forum vor. Die Probebühne 7 im Humboldt Lab Dahlem wurde genutzt, um in einer Slideshow unterschiedliche Vorschläge für die mögliche Umsetzung abzuleiten. Dafür wurden die musealen und medialen Herausforderungen verdichteter Präsentation gebündelt und als Ausgangspunkt der Ideenfindung gesetzt.

Für eine inhaltlich präzise, ästhetisch hochwertige und für die BesucherInnen nachvollziehbare Ordnung der Schaudepotflächen ist eine deutliche Grenzziehung zu den Präsentationsweisen der eigentlichen Ausstellung eine zentrale Voraussetzung. So steht eine thematische Argumentation der Logik eines Schaudepots vermutlich entgegen. Während die ständigen wie die temporären Ausstellungen in ihrer kulturgeografischen oder auf bestimmte thematische Zusammenhänge bezogenen Organisation der Objekte einem narrativen Zugang verpflichtet sind, setzen die Schaudepotareale auf die Fülle der Sammlungen und Objekte. Das bedeutet für die Planung dieser Ausstellungseinheiten, weniger von Themen auszugehen als konsequent von den Objekten aus zu denken und zugleich die Sammlungen und das Sammeln selbst zum Thema zu machen.

Die Fülle der Objekte und deren verdichtete Präsentation folgen also anders als die thematischen Einheiten zunächst grundlegend der Logik der Sammlungen, sei sie nach Objektgattungen und Materialien, nach Sammlern oder chronologisch organisiert. Doch reicht dies allein nicht aus, um die serienhaften, bis zu 30 Meter langen Vitrinenareale abwechslungsreich zu bespielen.

„Sammlungen schauen“ stellt daher einen konzeptuellen Ansatz vor, in dem die Präsentation der Sammlungsfülle immer wieder unterbrochen wird: und zwar durch Fragen, die sich konsequent von den Gegenständen selbst ableiten. In die großen Ausstellungsflächen der Schränke sind an verschiedenen Stellen kleine, mittlere und große Rahmungen oder Kästen in unterschiedlichen Formen und Formaten eingefügt, die kleine inhaltliche Einheiten, Argumente und Zusammenhänge aufnehmen können. Sie funktionieren im großen Vitrinenzusammenhang wie Sonderausstellungsflächen im Miniaturformat, auf denen Einzelfragen und Beobachtungen beispielhaft verhandelt werden – als Einzelepisoden auf einer großen Bühne. Die Einheiten können medial divers sein, sind aber immer direkt abgeleitet aus den Darstellungszusammenhängen des Schaudepots. Diese Unterbrechungen, Kommentare und Widerlager durchziehen die Sammlungspräsentationen und befragen, konterkarieren oder hinterfragen die ausgestellten Objekte. Hier wäre auch der Ort, Ergebnisse der Probebühnen des Humboldt Lab und je aktuelle Forschungsprojekte einfließen zu lassen. In der Slideshow für die Probebühne 7 sind beispielhaft einige Szenarien ausgearbeitet worden. Das Projekt ist ein Work in Progress, das in der weiteren Ausarbeitung eines Handbuchs sowie in Workshops fortgesetzt wird.

Eigene Logiken der Sammlungen stärken

Die „Fülle der Objekte“ als Darstellungsprinzip der Schaudepoteinheiten und die kommentierenden Unterbrechungen tragen der Polysemie der Objekte und dem Anspruch der Multiperspektivität ihrer Präsentation Rechnung. Die im thematischen Ausstellungszusammenhang notwendige inhaltliche Verkürzung und Zuspitzung auf eine bestimmte Bedeutung wird in den Schaudepoteinheiten relativiert und als lediglich eine mögliche Perspektive unter anderen greifbar. Zugleich bleibt in den Schaudepots eine sammlungsgeschichtliche Perspektive auf die Objekte präsent, die in den thematischen Dauerausstellungen zumeist nicht zum Tragen kommt. So entsteht hier ein strategisches Wechselspiel aus Argument und Anschauung, aus Präsenz und Bedeutung der Objekte. In ausstellungspraktischer Hinsicht erlaubt es die minimalistische Form der Unterbrechungen, mit wenig Aufwand und Vorlauf neue Sichtweisen und Forschungsergebnisse zu integrieren.

Insgesamt ist auch denkbar, dass die geplanten drei großen Schaudepotmodule (Afrika, Amerika, Südsee) jeweils andere Schwerpunkte setzen, sodass zwischen den Modulen eine Binnendramaturgie entsteht. So wären die Schaudepotmodule wie ein eigener Ausstellungsrundgang rezipierbar.

Grundlegend für die Inszenierung der einzelnen Rahmungen ist, dass die inhaltlich präzise entwickelten Einheiten auch ästhetisch überzeugend gestaltet sind. Sie sollen Lust machen zu schauen, vorgeschlagene Sichtweisen auf andere Objekte zu übertragen und Fragen zu stellen. Die Sehenswürdigkeit eines Schaudepots in der Logik der Fülle der Objekte steht und fällt nicht zuletzt mit seiner sorgfältigen Einrichtung.


Prof. Nicola Lepp ist Kulturwissenschaftlerin und Ausstellungsmacherin und seit 2015 Professorin für Kulturvermittlung an der FH Potsdam; sie kuratiert seit 2001 thematische Ausstellungen in verschiedenen Konstellationen. Wichtige Projekte waren u. a.: GRIMMWELT Kassel, 2015; Arbeit. Sinn und Sorge, Dresden 2009; PSYCHOanalyse, 2006; Der Neue Mensch. Obsessionen des 20. Jahrhunderts, 1999; Forschungsschwerpunkte sind u.a. Theorien und Praxen der Dinge sowie eine kritische Bildungs- und Vermittlungstheorie des Museums.

Dr. Nina Wiedemeyer ist Kunst- und Medienwissenschaftlerin. Sie arbeitet seit 1998 als Autorin und Kuratorin für Museen und Ausstellungsbüros, u.a. für prauth (Ausstellungsprojekt „Arbeit. Sinn und Sorge“, Deutsches Hygiene-Museum Dresden, 2009/2010) und bei den exponenten. Seit 2012 ist sie Post-Doc an der UdK Berlin im Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ mit einem Projekt zur prekären Wissensgeschichte des Kunstgewerbes. Zuletzt erschienene Publikation: „Buchfalten: Material, Technik, Gefüge der Künstlerbücher“, Zürich/Berlin 2013.


Einen weiterführenden Text zu diesem Projekt finden Sie hier.