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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Süd sehen / Projektbeschreibung

Objektwelten im Spiegel des ethnografischen Films

von Andrea Rostásy

Das Archiv für Visuelle Anthropologie des Ethnologischen Museums besitzt etwa 1700 Filme. Bis vor kurzem waren diese so gut wie unzugänglich. Erst 2014 ermöglichte es das Humboldt Lab-Projekt „Sichten“, den filmischen Bestand des Museums systematisch zu begutachten und in die Museumsdatenbank einzupflegen. So liegt heute eine ausführliche Filmliste vor, die über Inhalte, Techniken und Materialzustand Auskunft gibt – und durchaus als Einladung zur Ausstellung der Filme oder des Einsatzes von Filmen in Ausstellungen verstanden werden kann.

„Süd sehen“ nahm diese Einladung bzw. Herausforderung an. Mit einer Auswahl von zehn Filmen erforschte und realisierte das Projekt beispielhaft Möglichkeiten der Integration von Film in Objektausstellungen. Leitend war die Frage, ob Filme einen mehrperspektivischen Zugang zu ethnologischem Wissen herstellen können – also ob das Medium auf Bedeutungen und Zusammenhänge verweisen kann, die durch eine Objektpräsentation allein nicht zu erschließen sind. Vor allem ging es dabei um einen Gegenwartsbezug, der die Zeitdifferenz zwischen der Herstellung der Objekte, ihrer Sammlung und ihrer musealen Präsentation nicht ausblendet. Welche Art von Dialog lässt sich durch die Kombination eines filmisch umgesetzten Themas mit einem ausgestellten Objekt in Gang setzen? Wie gelingt es, inhaltliche oder formal-assoziative Bezüge nachvollziehbar zu präsentieren, ohne diese den Sammlungsobjekten überzustülpen? Und genauso: Wie können die Filme innerhalb von Objektinstallationen gezeigt werden, ohne dass sie ihre Geschlossenheit verlieren?

Ein offener Film-Objekt-Parcours

Markus Schindlbeck, damaliger Leiter der Sammlung Australien und Ozeanien am Ethnologischen Museum, und die Filmemacherin und Ethnologin Ulrike Folie, die das Projekt gemeinsam kuratierten, entwickelten für „Süd sehen“ in der Dauerausstellung Südsee und Australien einen Film-Objekt-Parcours mit zehn Stationen. Für jede Station galt es, eine adäquate Präsentationssituation zu entwickeln, die die notwendige Verweildauer für das Verstehen des Filmausschnitts berücksichtigt und dessen Beziehung zu den Objekten auf den ersten Blick verdeutlicht. Jede Station war so gestaltet, dass sie durch grafisch und textlich gestaltete Präsentationselemente deutlich zu erkennen war. Entlang des offenen Parcours konnten die BesucherInnen Film-Objekt-Installationen entdecken, die unterschiedliche thematische Felder eröffneten, von Fragen der Repräsentation über Folgen des Klimawandels bis hin zu touristischen Begegnungen. Die Filme wurden hier in Ausschnitten gezeigt, in voller Länge waren sie im Obergeschoss der Ausstellung in einem eigens eingerichteten Kino zu sehen. In der Galerie des Treppenhauses und im Obergeschoss wurden begleitend zeitgenössische Fotografien von Santiago Engelhardt und Jörg Hauser präsentiert.

Den Anfang des Parcours bildete der Film „Taking Pictures“ von Les McLaren und Annie Stiven (1996), der die politischen, ethischen und praktischen Aspekte sowie die Ästhetik ethnologischer Filmarbeit erkundet. Ausschnitte des Films wurden auf einem zweiten Screen mit kurzen Aussagen („Grenzen des Verstehens“) oder Fragen („Filmen – für wen?“) in Beziehung gesetzt. Die aufgeworfenen Fragen zur Repräsentation und kritischen Betrachtung ethnologischer Filme sollten die BesucherInnen auf dem weiteren Gang durch die Ausstellung begleiten.

Die nachfolgenden Stationen stellten stets eine inhaltliche oder formale Beziehung zwischen Filmausschnitten und Objekten her. „In der Verantwortung“ lautete beispielsweise der Titel einer Station, die aus dem 73-minütigen Film „The Disappearing of Tuvalu. Trouble in Paradise“ von Christopher Horner und Gilliane Le Gallic (2004) nur eine einzige Einstellung zeigte, in der Wasser gegen die Leinwand zu schwappen scheint. Gleichzeitig hörte man Stimmen von Menschen aus Tuvalu, die über die für sie deutlich spürbaren Folgen des Klimawandels sprechen. In der Vitrine sah man dazu einen Fischhaken aus Tuvalu. Welche Bedeutung hat dieses Objekt heute, vor dem Hintergrund des steigenden Meeresspiegels und der bedrohten Umwelt Tuvalus?

Ausschnitte aus dem Film „Paikeda. Man in Stone“ von Ineke de Vries (2002) in Kombination mit Steinfiguren bildeten die Station „Grenzen des Verstehens“. Der Film zeigt die gegenwärtige Umnutzung mysteriöser prähistorischer Steingeräte bei den Me in Papua. Mit der Station „Faszinosum Erstkontakt“ und dem in voller Länge gezeigten Film „Zur Erinnerung. Ein Kulturzentrum in Eipomek“ von Ulrike Folie und Gugi Gumilang (2014, 11:03 Min.) schloss sich der Kreis zur ersten Station und „Taking Pictures“: „Zur Erinnerung“ berichtet über die Rückführung von altem Wissen und von Geschichten der BewohnerInnen von Eipomek durch die Gründung eines Kulturzentrums dort im Jahr 2014 – unterstützt von deutschen WissenschaftlerInnen, die 40 Jahre zuvor im Rahmen eines Forschungsprojekts des Ethnologischen Museums eben dieses Wissen gesammelt hatten. Der Film thematisiert damit die Verbindungen des Ethnologischen Museums Berlin zu den Eipo und die Verantwortung des Museums in diesem Zusammenhang.

Gestalterische Herausforderungen

Der Einsatz des Mediums Film ermöglichte es „Süd sehen“, mit aktuellen Themen zusätzliche Ebenen des Wissens über die Objekte zu vermitteln. Sie wurden aus rein textlich nicht zu vermittelnden Perspektiven erfahrbar und vielschichtiger wahrgenommen.

Gleichzeitig erhöht der Einsatz von Film die Komplexität der Ausstellungsarbeit erheblich, denn er verlangt die Bearbeitung des Filmmaterials. Das wirft inhaltliche, gestalterische, rechtliche und technische Fragen auf. Ob es sich um die Präsentation der Filme in voller Länge, um einen Ausschnitt, gar ein Umschneiden des Films, das Verändern des Präsentationsformats oder um eine Digitalisierung handelt – die Nutzung muss von den AutorInnen explizit freigegeben werden. Ebenso müssen auch die Filme selbst kritisch reflektiert werden; das bedeutet, auch der spezifische historische und soziale Kontext ihrer Entstehung muss in der Präsentation deutlicher werden, als es bei „Süd sehen“ möglich war.

Ein zentraler Aspekt der Ausstellungsgestaltung ist die Herstellung der Beziehung zwischen Film und Objekt. Sie ist gut zu erfassen, wenn Monitore und Objekte auf ein und derselben Blickachse des Betrachters liegen und innerhalb der Ausstellung einheitlich, also wiedererkennbar zueinander positioniert werden. Dies war in der Dauerausstellung nicht zu verwirklichen und führte dazu, dass sich die BesucherInnen an jeder Station neu orientieren mussten.

Der als steigender Meeresspiegel zu interpretierende Ausschnitt der Station „In der Verantwortung“ wirkte in seiner Reduktion von allen Stationen am stärksten. Die Wirkung verdichtete sich mit den dem Film entnommenen und neu eingesprochenen Statements aus dem Off, welche die von Verlust und Zerstörung geprägte Gegenwart der Bewohner Tuvalus förmlich in die Ausstellung trugen. In diesem eher gestalterischen denn dokumentarisch korrekten Ansatz wurde nicht nur die Gegenwart und ihre Beziehung zu den gezeigten Objekten spürbar, er funktionierte in seiner Reduktion fast wie ein Filmplakat – und so als Verweis auf die im Obergeschoss zu sehende Langfassung.

Im Humboldt-Forum wird die Kombination von Filmen, Bildern und Dokumenten als durchgehendes Element eingesetzt werden und dabei mit einheitlich gestalteten Medientischen, Touchscreens oder iPads arbeiten. Mit Hilfe spezieller technischer Medien wird es künftig auch möglich sein, Filme in ganzer Länge oder Hintergrundinformationen abzurufen, die nicht nur die Erschließung der Objekte, sondern auch der Filme selbst anbieten. Im Rahmen der Probebühne 4 war eine solche Präsentation nicht realisierbar.

Auch wenn sich bei „Süd sehen“ die Vielzahl der Möglichkeiten des Einsatzes von Filmen innerhalb von Objektpräsentationen erst erahnen lässt – durch das Projekt wird das große Potenzial des Mediums im Ethnologischen Museum sehr deutlich.


Andrea Rostásy ist bildende Künstlerin und Medienkuratorin.


Ein Gespräch zu diesem Projekt finden Sie hier.