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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Musik sehen / Positionen

Künstlerische Strategien für eine Rauminszenierung

Die Jurymitglieder Sandra Naumann, Sandeep Bhagwati und Lars-Christian Koch sowie die Kuratorin Elke Moltrecht im Gespräch zur Bewertung der beiden Ausstellungen „lichtklangphonogramm – eine Ausstellung von historischen und erfundenen, optischen und mechanischen Klangmaschinen aus dem Zeitalter des Wachszylinderphonographen“ und „participants and objectives – 8 takes on filming music“.

Moderation: Uli Aumüller. Bearbeitung: Barbara Schindler


Was waren Ihre Eindrücke von der Ausstellung „lichtklangphonogramm“ des Teams von Cruz, Kolkowski, Marangoni und Wellmer?

Sandra Naumann: Ich fand, dass die Arbeit als Rauminszenierung sehr gelungen ist. Sie hat das Magische, das mit alten Medienapparaten verbunden ist – man denke nur daran, dass Geräte wie die Camera Obscura oft von Magiern verwendet wurden –, ganz wunderbar transportiert. Bei dieser medienhistorischen Perspektive haben einzelne Stimmen aus dem Publikum bemängelt, dass keine Originalgeräte verwendet wurden. Wir mussten daher immer wieder betonen, dass es eine künstlerische „Reinvention“ ist, die Elemente von diesen Originalgeräten (Episkope, Phonogramme etc.) aufnimmt, sie aber zweckentfremdet und neu kombiniert. Die Arbeit hat vor allem das Mechanische dieser Gerätschaften sehr anschaulich gemacht, indem die Zahnräder, Rillen oder die Tonschrift auf den Walzen vergrößert wurden. Für ein Publikum, das im digitalen Zeitalter aufgewachsen ist, also mit haptischen Trägermedien gar nichts mehr zu tun hat, fand ich es sehr charmant, all diese Dinge auf so spielerische Art fassbar zu machen.

Und wie schätzen Sie das andere Projekt „participants and objectives – 8 takes on filming music“ des Teams Kötter, Klein, Beck und raumlaborberlin ein?

Naumann: Ihrer Idee lag die Frage zugrunde: Wie rezipieren wir eigentlich fremde Kulturen? Weil sich ja nicht nur Ethnologen, sondern auch wir uns selbst in eine extrem voyeuristische Position begeben, wenn wir uns im Schlafzimmer mit Zentralheizung und Flatscreen das Leben in einem afrikanischen Dorf anschauen. Mit der Analyse dessen, wie musikethnologische Filme schnitt- und kameratechnisch funktionieren, sollte so gleichzeitig auch der Blick des Zuschauers zuhause herausgeschält werden. Aber leider ging es mir in der Umsetzung nicht weit genug. Vielleicht hätte es eine größere Materialdichte und einen präziseren Schnitt gebraucht – was in der Kürze der Zeit allerdings nicht zu leisten war – um die Idee wirklich transportieren zu können. So haben viele Besucher die Arbeit vor allem als medientechnische Analyse wahrgenommen.

Was kann und soll an Erkenntnissen aus dem Humboldt Lab-Projekt in die Planung für das Humboldt-Forum übernommen werden?

Sandeep Bhagwati: Das Humboldt-Forum müsste das gleiche Projekt – und zwar beide Ausstellungen von „Musik sehen“– noch einmal machen dürfen, mit mehr Zeit. Was wir jetzt haben, ist eine „Demo-Version“. Wir haben nach einer Möglichkeit der Präsentation gefragt, und jetzt muss es weitergehen.

Sie stellen sich eine wissenschaftliche und künstlerische Kuratierung und ein Weiterexperimentieren vor?

Bhagwati: Ich könnte mir ein Symposium vorstellen, das man mit KünstlerInnen, KuratorInnen und WissenschaftlerInnen zusammen einberuft. Diese sollten sich die Originalfilme der Musikethnologen und die geschnittenen Filme der Künstler anschauen und anschließend fragen: Okay, was sind die Reaktionen der WissenschaftlerInnen und der KünstlerInnen? Als Komponist würde ich sagen, dass manche dieser Filmschnitte sehr gelungen sind, das Tonmaterial allerdings eher brutal und nicht zielfördernd geschnitten wurde. Ein Symposium wäre auch deshalb nützlich, weil wir in der heutigen künstlerisch ästhetischen Welt nicht mehr davon ausgehen, dass ein Einzelkünstler, der ein Kunstwerk macht, ein Genie ist, sondern dass die Prozesse so komplex sind, dass sie nur im Team gelöst werden können. Diese Teams waren bei diesen Projekten ad hoc zustande gekommen – das war ja eine wahnsinnig kurzfristige Ausschreibung. Aber sie wären noch besser gewesen, …

Naumann: … wenn sie mehr Zeit gehabt hätten.

Elke Moltrecht: Man muss dazu sagen, dass die ambitionierte Zeitschiene Absicht der Probebühnen ist. Sie verstehen sich als Spielbein und wollen keine fertigen Resultate aufweisen, sondern Fragen aufwerfen und das Prozesshafte sichtbar machen.

Wie beurteilen Sie die beiden Installationen hinsichtlich Inhalt, Form und Innovation?

Lars-Christian Koch: Die Frage ist eher: Was machen wir in der wirklichen, späteren Ausstellung mit unseren Erkenntnissen aus dieser Probebühne? Die Vorbereitungen zu den Ausstellungen von „Musik sehen“ waren arbeitsintensiv und erforderten eine thematische Auseinandersetzung. In die Ausstellungen zu gehen und eine schöne Atmosphäre zu genießen, genügt nicht. Wir haben als ethnologisches Museum einen Vermittlungsauftrag. Wir sind kein Kunstmuseum. Wenn wir ernsthaft vermitteln wollen, was andere Musikkulturen sind, wie sie in ihren Prozessen mit Klang umgehen, wie sie Klang gestalten, dann ist die Frage eher, wie viel an Kunst oder künstlerischer Gestaltung wir brauchen, damit die Vermittlung optimiert wird.

Bhagwati: Woran es beiden „Musik sehen“-Projekten aus der Perspektive der Museumsvermittlung mangelte, ist, dass den ZuschauerInnen das Referenzmaterial überhaupt nicht zugänglich gemacht wurde. Ich vergleiche das mit der Ausstellung „Spiel der Throne“ der Probebühne 2, die in einem Raum des Humboldt Lab vier Aneignungen eines chinesischen Kaiserthrons präsentierte, den man sich im Original nebenan im Museum für Asiatische Kunst ansehen konnte. Wenn man zum Beispiel die Originalfilme gesehen hätte, ungeschnitten, und danach die Metafilme, dann hätte man wahrscheinlich „mehr“ gesehen.

Naumann: Es hätte also eine Umgebung hergestellt werden sollen, in der die Ausstellungsobjekte nicht solitär, losgelöst aus diesem Sammlungskontext präsentiert worden wären, sondern eingebettet zum Beispiel in eine Ausstellung von Originalwalzen? Aber im Humboldt Lab hatten wir nur einen Raum zur Verfügung und der war außerhalb der eigentlichen Musikabteilung.

Koch: Das Phonogramm-Archiv und die Geräte, die Medienarchäologie, alles, was in diese Sammlung gehört, wird im Humboldt-Forum einen eigenen Ausstellungsbereich von 150 Quadratmetern bekommen. Der muss gestaltet werden, auch inhaltlich. Es muss eine bestimmte Vermittlungsstruktur für die Inhalte geben. Wir werden Medienstationen in jedem Ausstellungsbereich haben. Aber wie soll das Ganze aussehen? Gibt es dort einfach nur einen Screen oder haben wir andere Vermittlungskonzepte? Generell stehen wir da vor ganz zentralen Fragen, die für mich teilweise mit diesen beiden Ausstellungen beantwortet sind, zum Teil aber auch wieder neue Fragen eröffnet haben, was auch sehr positiv ist.

Moltrecht: Und wie ist das Ihrer Ansicht nach bei „8 takes“ aufgegangen?

Koch: Bei „8 takes“ frage ich mich immer mehr, wie viel ich mit Videos unmittelbar vermitteln kann? Ein ganz langes Video laufen zu lassen, ist auf Grund der Tatsache, dass die Verweildauer in den meisten Fällen nicht mehr als zwei Minuten beträgt, an sich schon mal schwierig. Interessanter wäre es eher zu fragen, wie ich mit kurzen Clips die Leute dazu animieren kann, das komplette Originalmaterial anzusehen. Ja, das wäre für mich unter dem Aspekt der Vermittlung eigentlich die interessante Frage.

Naumann: Bedeutet das im Endergebnis, dass das Humboldt Lab Dahlem als Fundgrube für verschiedene Vermittlungsansätze dient?

Koch: Ja, ohne die künstlerischen Aspekte zu vernachlässigen. Aus verschiedenen Diskussionen, die sich anlässlich ethnologischer Ausstellungen sehr häufig ergeben, geht klar hervor: Die Kontexte, aus denen die Exponate kommen, sind nicht herstellbar. Ich kann die Objekte auch nicht einfach so ausstellen. Also stelle ich sie – sehr verkürzt und übertrieben ausgedrückt – als Kunstobjekte aus. Damit habe ich allerdings generell ein Problem, weil in den Objekten sehr viel mehr drin steckt als nur das. Aber wenn ich beide Aspekte zusammenbringe, dann wird es wieder interessant. Das heißt, ich benutze die Kunst, um diesen Vermittlungsaspekt ein bisschen zu fokussieren. Warum auch nicht? Warum soll Kunst nicht dazu dienen?

Naumann: Das heißt, es geht bei den Humboldt Lab-Projekten nicht primär um künstlerische Interpretation, sondern um die Nutzbarmachung künstlerischer Strategien für die Ausstellungsgestaltung. Wir versuchen in diesem Gespräch zu bewerten, ob die Projekte gelungen sind oder nicht. Aber als was sind sie gelungen? Als eigenständige Kunstwerke oder im Hinblick auf neue Vermittlungsstrategien? Sind sie als Rauminszenierungen gelungen oder als wissenschaftliche Erläuterungsstrategien und Verständnishilfen?

Koch: Es hat sich im Planungsprozess für das Humboldt-Forum schon einiges geändert. Meiner Ansicht nach ist daran nicht ganz unerheblich die Probebühne beteiligt. Wir werden zum Beispiel im Bereich der Musikethnologie zwei Räume, die als abgeschlossen geplant waren, in der Form nicht mehr haben. Wir werden den gesamten Raum öffnen, um Aktionsräume zu schaffen, in denen Produktionen im Bereich der Vermittlung stattfinden können. Das allein ist schon ein positives Resultat.

Moltrecht: Auch dass alle diese Fragen aufgeworfen wurden, ist meines Erachtens ein sehr gutes Resultat dieser Probebühne.


Sandeep Bhagwati ist Komponist, Theatermacher und Wissenschaftler im Bereich künstlerische Forschung. Nachdem er Professor für Komposition und Multimedia an der Hochschule für Musik Karlsruhe war, ist er seit 2006 Canada Research Chair für interdisziplinäre und intertraditionelle Kunst an der Concordia University, Montréal. Seine Werke und Inszenierungen werden weltweit auf Festivals gezeigt, seine akademischen und journalistischen Publikationen erscheinen regelmäßig in Deutschland, Indien, USA, UK, Frankreich und Kanada.

Prof. Dr. Lars-Christian Koch ist Leiter der Abteilung Musikethnologie, Medientechnik und des Berliner Phonogramm-Archivs am Ethnologischen Museum Berlin. Er ist außerplanmäßiger Professor für Musikethnologie an der Universität zu Köln und Honorarprofessor an der Universität der Künste Berlin. Seine Forschungsschwerpunkte sind Theorie und Praxis der indischen, insbesondere der nordindischen Raga-Musik, Instrumentenkunde, Musikästhetik im interkulturellen Vergleich, Interpretationen außereuropäischer Musik im historischen Kontext und Musikarchäologie.

Elke Moltrecht ist seit März 2014 Geschäftsführerin bei der Akademie der Künste der Welt in Köln, zuvor war sie Geschäftsführerin beim landesweiten Netzwerk Neue Musik „Musik 21 Niedersachsen“ und beim Projekt „Hybride Musik“. Sie studierte Musikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und war Leiterin des Musikbereichs im Podewil – Zentrum für aktuelle Künste und Leiterin vom Ballhaus Naunynstraße in Berlin. 2013 gründete sie das Ensemble Extrakte für transtraditionelle musikalische Praxis und Forschung.

Sandra Naumann ist Kuratorin und Medienhistorikerin und lebt in Berlin. Sie hat Programme für die transmediale, CTM, Werkleitz, sound:frame, Shift, Elektra und andere Festivals kuratiert. Als Wissenschaftlerin hat sie an Projekten wie „See this Sound“ und „aux écoutes des images“ gearbeitet. Zusammen mit Dieter Daniels ist sie Herausgeberin der zweibändigen Publikation „See this Sound – Audiovisuology“.

Uli Aumüller lebt als freier Autor und Regisseur von Hörfunkfeatures über zeitgenössische Musik in Berlin.

 

Das Gespräch fand am 23. September 2013 statt; es wurde im September 2014 für die Online-Veröffentlichung von Barbara Schindler überarbeitet.