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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Aneignungen / Projektbeschreibung

Choreografien von Nähe und Ferne

von Florian Malzacher

Aneignung, auch kulturelle Aneignung ist immer ein gewaltsamer Akt. Die (direkte oder strukturelle) Gewalt, mit der sich ethnologische Sammlungen viele Objekte angeeignet haben, wiederholt sich in den immer neuen Aneignungen dieser Gegenstände durch Interpretation und Kontextualisierung. Aneignung bedeutet aber auch eine Annäherung, die denjenigen, der sich etwas aneignet, nicht unverändert lässt.

Die performative Konferenz „Aneignungen“ am 16. November 2014 in den Museen Dahlem reflektierte die Schwierigkeiten der Aneignung von – dem Westen – fremdem Wissen und fremden Kulturen über den Weg der performativen Rekonstruktion, der Reformulierung, des Reenactments. Ein Zugang, den der Charakter der Sammlung nahelegt: Ein Großteil der Objekte, vor allem des ethnologischen Museums, scheinen danach zu verlangen, genutzt zu werden und verweigern sich gleichzeitig aus ethischen, politischen aber auch aus konservatorischen Gründen dem Gebrauch. Das Performative liegt in ihrer ursprünglichen Verwendung – ob im Ritual, in der Kunst oder in Alltagshandlungen. In der Logik der Performance-Theorie sind diese Objekte Performance Remains.

Wie aber kann man sich solch verloren gegangenen oder sich verweigernden performativen Akten annähern, seien sie profan, künstlerisch oder sakral? Diese Frage der Ethnologie ähnelt jener im Bereich der performativen Künste: Wie rekonstruiert man eine Performance oder Choreografie, die man nicht gesehen hat, von der es vielleicht nur einige Fotos, Notationen, Zuschauerbeschreibungen oder Requisiten gibt? Kann man den Akt des Erlebens nachvollziehen? Kann man sich eine zeitlich, vielleicht auch kulturell entfernte Aufführung aneignen, ohne die Lücken des nicht Bekannten, des nicht Verständlichen einfach aufzufüllen und zu negieren? Und wie vermeidet man dabei falsche Repräsentationen?

Reenactment als Besitznahme und Annäherung

Während Reenactment landläufig das möglichst naturgetreue Nachstellen historischer Ereignisse bezeichnet, hat sich in den letzten Jahren in den performativen Künsten ein differenzierter Diskurs um den Begriff gebildet. Im Tanz bezeichnet er vor allem die kritische Auseinandersetzung mit der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Rekonstruktion oder Neuinterpretation zentraler choreografischer Werke der Moderne. Im Zentrum steht dabei die Anerkennung der Differenz, des Nicht-nachvollziehen-Könnens, des Nicht-Wissens. Aneignung wird in der Doppeldeutigkeit gesehen, die dem Wort innewohnt: Besitznahme und Annäherung in einem.

Auch mit dem Rekonstruktions-Diskurs in der Architektur gibt es Überlappungen: David Chipperfields nachdenklicher Umgang mit dem Neuen Museum in Berlin ist eines der prominentesten Beispiele für die Betonung der Lücke, des Nicht-Rekonstruierbaren. Dem gegenüber steht mit dem Wiederaufbau des nahegelegenen Stadtschlosses der Wunsch, historische und architektonische Wunden möglichst narbenlos zu schließen, preußische Geschichte zu reformulieren und unliebsame Erinnerungen zu übermalen: Mit dem Umzug ins Humboldt-Forum übersiedeln das Ethnologische Museum und das Museum für Asiatische Kunst in eine unkritische Rekonstruktion voller Hidden Agendas.

Ethnologische Museen sind einerseits Symbole für die koloniale Vergangenheit des Westens und zugleich konkrete Manifestationen dieser Geschichte, die längst nicht vergangen und in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern bestenfalls in Ansätzen aufgearbeitet ist. Im Prozess der Vorbereitungen für „Aneignungen“ stellte sich immer wieder die Frage, ob es überhaupt möglich ist, im Kontext des Humboldt Lab und des Ethnologischen Museums künstlerisch verantwortungsvoll zu arbeiten. Können kritisch hinterfragende Positionen von innen heraus produktiv formuliert werden oder dienen sie im Gegenteil ausschließlich der institutionellen Legitimation? Die künstlerische und kuratorische Überzeugung war, dass es notwendig ist, sich immer wieder aufs Neue mit diesen kontaminierten Nachlässen westlicher kolonialer Vergangenheit auseinanderzusetzen – und dies gerade auch in und mit den Sammlungen selbst. Das Erbe kolonialer Vergangenheit bleibt, es verschwindet nicht, es ist Teil unserer Gegenwart, mit dem wir offensiv umgehen müssen.

Der performativen Konferenz „Aneignungen“ ging eine fast einjährige Recherchephase mit den beteiligten KünstlerInnen und zahlreiche, oft sehr produktive, zuweilen auch sehr schwierige Gespräche mit den WissenschaftlerInnen und KuratorInnen der Museen voraus. Im Rahmen eines Workshops im Mai 2014 wurden erste Zwischenergebnisse skizziert. Am Ende dieses Prozesses dann markierte „Aneignungen“ ein agonistisches Feld, auf dem sich unterschiedliche ästhetische und diskursive Positionen mit der Sammlung konfrontierten: Die TeilnehmerInnen wanderten von Lecture Performances von Dorothea von Hantelmann, Ulf Aminde & Shi-Wei Lu und Kapwani Kiwanga über Alexandra Piricis immaterielle Sammlungsergänzungen zur theatralischen Installation von Ant Hampton und Britt Hatzius, begegneten berühmten Fälschungen im Depot, begleiteten Yael Bartana auf einem visuellen Trip in das Amazonasgebiet und wurden selbst zu PerformerInnen in der Choreografie von deufert&plischke. Zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr 2015 wird die Künstlergruppe Politique Culinaire das Verbrechen der sogenannten Kongo-Konferenz von 1884/85 im Rahmen der Umwidmung eines historischen Dinners auf die Tagesordnung bringen.1

Produktive Räume des Dazwischen

Positionen, Ideen, Vorschläge – manchmal überlappend, manchmal einander widersprechend. „Aneignungen“ war eine performative Konferenz nicht nur dadurch, dass die Beiträge performativ waren, sondern weil sie selbst performt wurde: indem die BesucherInnen das Museum in verschiedenen Gruppen durchwanderten, indem die Präsenz ihrer Körper ein wesentlicher Bestandteil der Konferenz wurde, indem Zeit und Dauer bewusst zur Choreografie beitrugen und Erregung, Erschöpfung, Kollektivität und Vereinzelung, Momente der Eile und Zeiten der Entspannung eine eigene Dramaturgie der Aufmerksamkeit erzeugten.

„Aneignungen“ war nicht nur orts-, sondern auch in hohem Maße zeitspezifisch: Vor allem das Ethnologische Museum befand sich 2014 in einem Zwischenstadium, in dem Begegnungen möglich waren, die es vorher so nicht hätte geben können und es bald so nicht mehr geben wird. „As Never Before / As Never Again“, wie Hampton & Hatzius ihre Arbeit benannt haben. Es ist eine Sammlung auf Abruf, ihre Zeitlichkeit ist greifbar. Und auf Abruf ist nicht nur das konkrete Museum, auf Abruf ist auch die historische, ideologische, philosophische Grundlage, auf dem es basiert. Ethnologische Museen sind ein Symbol für die Krise von Moderne, Aufklärung, westlichem Selbstverständnis und gleichzeitig ihr Symptom – was im Berliner Stadtteil Dahlem, wo der ehemalige Westen ein mit Würde getragener Phantomschmerz ist, besonders sichtbar wird.

Diese unsichere Lage führt zu einer Grundstimmung der Irritation, die alle Arbeiten im Rahmen von „Aneignungen“ prägte und erst ermöglichte. Nur in diesem Kontext konnte die künstlerische Soft Power (Alexandra Pirici) eine Wirkung erzeugen: „We are strong in our weakness“ (wie es Yael Bartana in einer anderen Arbeit formuliert). Eine Fragilität, die deshalb eine Stärke sein konnte, weil jenseits aller Rhetorik „staatlicher Museen“ und „preußischen Kulturbesitzes“ die hegemoniale Erzählung der Museen Dahlem porös ist und sich nur als ein Dazwischen formulieren kann. Das Humboldt Lab Dahlem (das in dieser Hinsicht eben entgegen aller politischen Intentionen kein Vorläufer des Humboldt-Forums ist) siedelt sich genau in diesem Dazwischen an und ist deshalb ein problematischer, aber oft auch produktiver Raum.

Nur wo es ein Bewusstsein um Zeitlichkeit gibt, kann Performance, deren eigene Vergänglichkeit eines ihrer wesentlichen Themen ist, ansetzen: Die von Hatzius und Hampton reproduzierten Sammlungsobjekte werden mit dem Umzug des Museums vielleicht für immer in die Depots verdammt. Kiwangas Installation besteht aus Gegenständen, die wiederum diese Sammlung erst erreichen sollen. deufert&plischke lassen uns flüchtige Positionen einnehmen, Aminde zeigt die ratlose Vergeblichkeit westlicher Vereinnahmungsversuche, und Pirici möchte ohnehin nicht mehr als immaterielle Ergänzungen bieten...

Hinter den sandsteinverkleideten Betonmauern des Humboldt-Forums im neuen Berliner Stadtschloss wird solche Soft Power der Kunst keine Wirkung mehr haben – eine Soft Hegemony, die alle Kritik gekonnt integriert und zugleich ihre Stellung in Zement gießt, kann wirkliche Irritation nicht gebrauchen.

1 Aus verschiedenen Gründen konnte der Beitrag von Politique Culinaire für das Humboldt Lab Dahlem nicht realisiert werden (A. d. Red.).


Florian Malzacher ist freier Kurator, Dramaturg und Autor, sowie Künstlerischer Leiter der Impulse Theater Biennale. Für das Humboldt Lab Dahlem kuratierte er „Aneignungen. Eine performative Konferenz".


Das Programmheft der performativen Konferenz können Sie hier als PDF-Datei abrufen (auf Englisch).


Weiterführende Texte zu diesem Projekt finden Sie hier.