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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Springer / Positionen

Die drei Springer

von Richard Price und Sally Price

Im Juni 2013 hatten wir das Vergnügen, in den Depots des Ethnologischen Museum Dahlem durch die Maroon-Sammlungen aus Surinam geführt zu werden. Aufgrund eigener Untersuchungen verschiedener Museumssammlungen weltweit waren uns von den Hunderten Objekten die meisten vertraut, anderen Objekten hingegen waren wir nie zuvor begegnet. Während des Besuchs sahen wir auch die „Springer“-Projekte des Humboldt Lab Dahlem – drei Installationen, wie gemacht dazu, Neugier zu wecken und zur Reflektion anzuregen.

Hypermoderne trifft auf Tradition

Als Anthropologen fanden wir Theo Eshetus „Spiegelkugel“ besonders in visueller Hinsicht überzeugend. Von den drei Springer-Installationen schien uns diese am ehesten ein „zeitgenössischen Kunstwerk” und als solches weniger intellektuell zu sein. Uns erinnerten die optischen Reflektionen an das Himmelszelt, an die unzähligen Sterne, die die Inselbewohner des Pazifiks nutzten (und nach wie vor nutzen), um zwischen weit voneinander entfernten Erdflecken zu navigieren. Wir dachten sofort an das wunderbare Anfangskapitel von Greg Denings „Beach Crossings“1, das von „der wichtigsten Entdeckungs- und Besiedlungsreise der gesamten Menschheitsgeschichte“ vor 2000 Jahren berichtet. Ein Doppelrumpf-Kanu, ähnlich jenen in der ständigen Ausstellung, verließ eine Inselgruppe im Westlichen Pazifik (dem heutigen Samoa, Tonga und Fiji) und legte nach über 6000 Kilometern auf den Inseln an, die wir heute als Marquesas-Inseln bezeichnen. Dabei folgte das Kanu stets den Sternen – den Matariki (Plejaden), Na Kao (Orions hellstem Stern) und Ana-Muri (Begleiter der Plejaden). Gleichzeitig bezieht sich die Spiegelkugel auf die Gegenwart: sie erinnert uns an die Entwicklung in Teilen Polynesiens, etwa Tahiti, wo modernste Diskotheken (offensichtlich eine typische Lesart von Eshetus Installation) auf die traditionelle Welt der Doppelrumpf-Kanus, navigiert nach den Sternen, treffen. Eine Art Hyper-Moderne, die immer noch gekennzeichnet ist von Erinnerungen an Entwicklungen der Vergangenheit.

Rückführung in den ursprünglichen Kontext

Martina Stoye wendet für „Purnakumbha“ auf wirkungsvolle Weise eine Ausstellungsstrategie an, die in vielen Museen seit den 1980er Jahren mit großem Erfolg eingesetzt wurde. So gliedert man Kunstwerke, die normalerweise als einzelne Objekte ausgestellt und  vollkommen aus ihrem anfänglichen Kontext losgelöst sind, wieder in ein Gefüge (z.B. einen Altar) ein, das ihrer ursprünglichen Verwendung entspricht. Solche Altar-Installationen sind in amerikanischen Museen für mexikanische Kunst üblich geworden. Tatsächlich haben einige mexikanisch(-amerikanische) zeitgenössische Künstler, wie Amalia Mesa-Bains, Altäre zu ihrer persönlichen Spezialität gemacht.2 Auch Ausstellungen von afrikanischer und in der Diaspora entstandener afrikanischer Kunst haben rituelle Ensembles in Form reich geschmückter Altäre gezeigt, siehe beispielsweise die Ausstellungen „Face of the Gods“ in New York3 oder „Sacred Arts of Haitian Vodou“ in Los Angeles.4 Diese Art der Präsentation, die eine doppelte (ästhetische / religiöse) Rolle spielt, ermutigt dazu, die einzelnen Bestandteile als religiöse Objekte zu betrachten und nicht nur als isolierte Kunstwerke. In Frankreich würde man das missbilligen (weil es das Prinzip der laïcité verletzt), aber aus unserer Sicht ist das ein wichtiger Schritt. Dass „Purnakumbha“ hier mit Hilfe von Vertretern des Hindutempels in Berlin installiert wurde, trägt für uns, die wir keine Indienspezialisten sind, sehr zur Wertschätzung dieser Objekte bei. Für jeden, der glaubt, dass Kultur wichtig und die Teilnahme von Menschen der ausgestellten Kulturen essenziell für eine respektvolle Darstellung der Objekte ist, bereichert diese innovative Ausstellung die Sichtweise auf jene individuellen Objekte sehr.

Fragen an den Umgang mit der eigenen Sammlungsgeschichte

Andrea Scholz' „Surinam/Benin“ ist die intellektuellste der drei Springer-Installationen. Da sie am eindeutigsten in unser Forschungsgebiet als Spezialisten der Maroon-Gesellschaften Surinams fällt, gebührt ihr ein detaillierterer Kommentar. In dem notwendigerweise kleinen Ausstellungsrahmen verbinden Objekt und Text zusammengenommen zwei grundlegende Fragen der zeitgenössischen Museologie, die manchmal absichtlich als „zu negativ“ vermieden werden: Wie geht man mit der eigenen Sammlungsgeschichte und mit dem Kolonialismus an sich um? Wie die Leser von Sally Prices „Paris Primitive“5 wissen, verursachten diese beiden Fragestellungen tiefe Zerwürfnisse mit dem Anthropologen Maurice Godelier während der Planungsphase des Musée du Quai Branly in Paris. Er trat dafür ein, Informationen sowohl zur Sammlungsgeschichte als auch zur Wirklichkeit kolonialer Beziehungen, die die Hintergründe großer Teile der Sammelaktivität bildeten, offenzulegen. Dagegen argumentierten andere Mitglieder des Planungskomitees, dass eine derartige Kontextualisierung die ästhetische Erfahrung beeinträchtige und daher vermieden werden müsse. Nachdem Godelier seine Stelle im Museum aufgeben musste, bewirkten die gefällten Entscheidungen, dass sämtliche diesbezügliche Informationen verbannt wurden.

Soweit es die Akquiseunterlagen des Dahlemer Museums erlaubten, forschte die Kuratorin für „Surinam/Benin“ nach und entdeckte eine (ziemlich typische, aber normalerweise unbeachtete) Geschichte kolonialer Gewalt als Bestandteil des Sammelns. Diese erinnert deutlich an einen ganz anderen Fall, nämlich an Michel Leiris’ Beschreibung seines Diebstahls eines Ritualobjekts aus einem Schrein während der französischen Dakar-Djibouti Expedition in den 1930er Jahren.6 Diesen blendete das Quai Branly Museum bewusst aus, indem sein Text über den Erwerb des Objekts zwar zitiert, die anschauliche Beschreibung des kriminellen Akts selbst jedoch ausgelassen wurde. Unter Berücksichtigung der komplexen ethischen Dilemmata der kolonialen Vergangenheit leistet Scholz hier einen beispielhaften Akt erhellender Museologie: Indem sie den Diebstahl des Ndyuka-Ritualobjekts durch einen deutschen Missionar der Herrnhuter in die damalige Zeit verortet, verleiht sie der Historizität des Objekts Ausdruck.

Das Dorf Wanhatti (das die Ndyuka heute Agiti-ondoo nennen), aus dem das Objekt stammt, ist heute das größte der Ndyuka Dörfer am Fluss Cottica in Surinam. Zusammen mit den nahe gelegenen Dörfern wurde es bald nach der Sklavenbefreiung an der Küste Surinams 1863 gegründet. Die Ndyuka waren seit dem Friedensabkommen 1760 mit der holländischen Krone eigentlich freie Menschen, fühlten sich aber bis zur vollständigen Emanzipation nie frei genug, um sich an der Küste niederzulassen. Der französisch-brasilianische Fotograf Pierre Verger nahm 1948 beeindruckende Fotos von den Kumanti-Nachtritualen in Wanhatti auf, die dieses Exponat hier auf eindrucksvolle Weise ergänzen würden.7 Und es wäre für Museumsbesucher hilfreich zu wissen, dass die Ndyuka Dörfer am Cottica während des Bürgerkriegs in Surinam (1986 - 1992) auf Anweisung der Regierung durch das Militär zerstört wurden. Dennoch besteht Wanhatti/Agiti-ondoo als größtes Dorf der Ndyuka in der Cottica-Region: mit annähernd 600 Nachkommen jener Menschen, die die deutschen Herrnhuter Missionare um 1890 mit aller Kraft zu konvertieren versuchten.

1 Greg Dening: Beach Crossings: Voyaging across Times, Cultures, and Self. Philadelphia 2004.
2 Kristin G. Congdon und Kara Kelley Hallmark: Amalia Mesa-Bains, in: Artists from Latin American Cultures: A Biographical Dictionary. Greenwich CT 2002, S. 181–183.
3 Robert F. Thompson: Face of the Gods: Art and Altars of Africa and the African Americas. New York 1993.
4 Donald J. Cosentino (Hg.): Sacred Arts of Haitian Vodu. Los Angeles 1995
5 Sally Price: Paris Primitive: Jacques Chirac’s Museum on the Quai Branly. Chicago 2007.
6 Michel Leiris: L’Afrique fantôme. Paris 1934.
7 Richard Price et. al.: Verger, un pont au dessus de l’Atlantique. Cayenne 2009.

Übersetzung aus dem Englischen von Angela Rosenberg


Die Anthropologen Sally und Richard Price arbeiten als Autoren, Forscher, Lehrer und Vortragende meist gemeinschaftlich. Sally Price schreibt vornehmlich über Ästhetik und Museen, Richard Price mehr über ethnografische Geschichte und Menschenrechte. Seit Mitte der 1960er Jahre forschen und schreiben sie über die Maroons, Nachkommen geflohener Sklaven aus ganz Amerika (vor allem in Surinam und Französisch-Guayana). Ihre geografischen Interessen erstrecken sich über Afro-Amerika, von Brasilien bis Toronto. Seit vielen Jahren sind sie als Redakteure für den Bereich Buchbesprechungen des weltweit ältesten wissenschaftlichen Journals über die Karibik, dem New West Indian Guide tätig. Sie verbringen ihre Zeit zwischen Martinique und Paris.