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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Museum der Gefäße / Positionen

Objektbiografien neu erzählt

Wie widersprüchlich dürfen Inszenierungen sein, wann sind Neuinterpretationen zulässig und was heißt es, Treuhänder musealer Objekte zu sein? Die KuratorInnen Uta Rahman-Steinert, Peter Junge und Martin Heller, Mitglied der Humboldt Lab-Leitung, über die Installation „Museum der Gefäße“.
Interview: Barbara Schindler


Lassen sie uns mit dem Film „Gießen_Schenken“ beginnen, der ein Teil einer größeren Medieninstallation war. Im Film sieht man, wie ein präkolumbisches Gefäß mit Wasser befüllt und wieder ausgegossen wird. Wie haben sie als MuseumsexpertInnen den darin gezeigten Umgang mit einem Ihrer Objekte aufgefasst?

Uta Rahman-Steinert: Ich fand das die gelungenste der Stationen im Rahmen der Ausstellung, weil sie einen hohen ästhetischen Reiz hatte und dem Gefäß eine andere Aura verlieh. Es hat einen Unterschied gemacht, ob ich das Objekt einfach nur in der Vitrine stehen habe oder ob ich es in dieser Bewegung sehen kann – das ist nicht bei allen anderen Stationen gleichermaßen gelungen, aber dort schon.

Peter Junge: Auch ich finde das den gelungensten Teil des Projekts, dem ich ansonsten sehr skeptisch gegenüber stehe. Ich glaube aber nicht, dass es den Gebrauch zeigt, weil wir den ja gar nicht kennen – wahrscheinlich war die Keramik eine Grabbeigabe oder ein Musikinstrument. Es wird hier eine mögliche Dimension, eine zusätzliche Interpretation des Objekts gezeigt. Und das finde ich sehr schön, mit dem Objekt mal was zu tun, was wohl noch nie jemand getan hat: es mit schwarzen Handschuhen in die Hand zu nehmen und destilliertes Wasser durchlaufen zu lassen. Es ist also eine ganz synthetische Situation (im vorkolumbischen Peru hatte man auf keinen Fall destilliertes Wasser) – die dadurch spannend ist, weil sie eine ästhetische Form bekommt.

Rahman-Steinert: Das Video hat das erfüllt, was eine Intervention können muss: es hat die Aufmerksamkeit der Besucher auf dieses Objekt gelenkt und sie haben möglicherweise genauer hingeschaut als es üblicherweise so ist, wenn man an einer Reihe von Vitrinen mit ähnlichen Objekten entlangläuft und gar nicht mehr genau hinsieht. Hier passierte mal was anderes.

Martin Heller: Ich kann dem nur zustimmen. Es ist bezeichnend, dass gerade diese Videointervention in unseren Planungsdiskussionen immer wieder positiv zitiert wird. Sie bringt keine natürliche Umgebung ins Spiel; die erwähnte synthetische Qualität bewirkt, dass die Gefäße, die gezeigt werden, plötzlich etwas anderes sind als nur Museumsobjekte.

Fallen Ihnen noch andere Interventionen ein, die in ähnlicher Weise eine neue Sicht auf die Objekte oder eine andere Lebendigkeit erzeugt haben?

Rahman-Steinert: Es gab noch das Klirren“ bei uns in der Galerie mit der chinesischen Keramik. Das hat das Publikum extrem irritiert und eher eine Abwehrreaktion ausgelöst. Diese Intervention führte nicht zu einer positiven Betrachtung dessen, was ausgestellt war, sondern wurde als störend empfunden und hat die Besucher verschreckt.

Heller: Das war die Vitrine mit der scheinbar fahrlässig kippenden Vase – ich denke auch, dass dieses starke Bild gereicht hätte.

Rahman-Steinert:
Ja, das hätte gereicht. Ich bin selber beim ersten Mal allein beim Anblick zusammengezuckt, dass die Vase auf der Kippe stand.

Heller: Gefäßen evozieren immer auch Fragilität und damit ihre mögliche Zerstörung – die Scherben sind im Kopf irgendwie ständig präsent. Man kann das so oder anders thematisieren, aber das Klirren war zuviel, weil gegenläufig zum Bild, und das war schade.

Junge: Das machte es zum Gag...

Rahman-Steinert:
...zum Entertainment, aber das muss an sich nicht schlecht sein. Wenn es jedoch um Fragilität geht, dann hat das für ein wertvolles Objekt auch etwas Bedrohliches. Denn das passiert durchaus im Museum, dass jemand stolpert und das gute Ding ist kaputt.

Junge: Wenn man es ernst meint mit dem Thema „Zerbrechlichkeit“, dann muss man das Objekt mehr respektieren, zeigen wie schön es ist, dass diese paar wenigen noch erhalten sind und wichtige und wertvolle Objekte aus einer bestimmten historischen Phase. Ein Blumentopf aus dem Chinaladen ist das nicht, den kriegen sie für 10 Euro. Der kommt zwar auch aus China, den würden sie aber nie in diese Ausstellung stellen. Und da zeigt die Präsentation eine Verlogenheit.

Heller: Da bin ich völlig anderer Meinung. Ich habe wie viele andere erst einmal gelacht. Wir sind ja keineswegs alle Kenner! Die klassische museale Situation wurde hier in mehrfacher Hinsicht entdramatisiert, und das tut immer wieder gut.

Im Humboldt-Forum ist eine Aufteilung nach regionalen Aspekten geplant. Könnte eine kulturgeografisch und kulturhistorisch weniger geschlossene Erzählung, wie es die vergleichende Objektausstellung „Museum der Gefäße“ war, dort ihren Platz finden?

Junge: Die Ausstellungsbereiche im Humboldt-Forum werden sich grob nach Regionen gliedern, aber innerhalb dieser Regionen werden Themen dargestellt. Wir werden also nicht das „Leben Kameruns“ oder die „Volksbräuche bei den Swahili“ ausstellen – das wäre ja eine Verengung der Sichtweisen. Die Alternative ist nicht, die regionalen Grenzen zu sprengen und kulturübergreifende Ausstellungen zu machen – das machen Museen übrigens seit 100 Jahren. In jeder Ausstellung bringen wir ja Objekte zusammen, die in ihrer realen vergangenen Existenz nie zusammen waren, eine Bamanan-Maske aus Mali ist in Afrika nie auf eine Kongo-Figur getroffen – das ist erst möglich, seit sie Museumsobjekte geworden sind. Deswegen haben die Museen vor allem in den 1980er, 1990er Jahren die Braut, Männerbünde, Schifffahrt – oder jetzt Gefäße wie bei Frau Lepp – quer durch die Welt ausgestellt. Das ist nichts Neues für ein Museum, weil die Dinge im Museum genau so auftreten.

Das Konzept für eine thematische Ausstellung mag nicht neu sein, aber in ihrer Vielfalt, in ihrem medialen und gestalterischen Ansatz hat sie für Dahlem etwas Neues bewirkt.


Junge: In ihrer medialen Gestaltung wirkte sie in Dahlem ganz frisch und neu, aber ich erkenne keinen neuen Ansatz.

Heller: Relevant ist vielleicht etwas anderes. Es gibt ein paar Humboldt Lab-Projekte, die praktisch ausnahmslos gefallen haben. Dazu gehört das Purnakumbha-Ritual1 – und das ist insofern nichts Neues, als auch andere Museen solche religiöse Praktiken einbeziehen, ich habe das etwa in Australien mehrmals gesehen. Entscheidend ist doch, dass diese Versuche des Lab innerhalb der am Planungsprozess für das Humboldt-Forum involvierten Personen möglichst produktive Reibungen und Kooperationen auslösen. Vielleicht sieht ein Außenstehender besser, was in den bestehenden Dahlemer Ausstellungen alles fehlt. Es gibt beispielsweise kaum Filme, kaum Klanginstallationen, keine Videokommentare. Damit nun im Lab zu arbeiten ist nicht neu, aber es macht Sinn, im Kontext dieser Objekte, in dieser Situation, mit diesen KollegInnen – das ist das Entscheidende für den Prozess.
Als langjähriger Museumsmensch interessiert mich genau das, was Sie vorhin erwähnten, Herr Junge – dass die meisten der Dinge, mit denen wir arbeiten, in Wirklichkeit nie zusammen kamen, sondern erst jetzt im Museum. Der Umgang mit dieser neuen Realität ist eine der wesentlichen Triebkräfte des Humboldt Lab. Uns beschäftigt, welches Geflecht von Verbindungen da vorhanden ist, und das gerne mit unterschiedlichen Resultaten, im Ausprobieren. Nur so kommt so etwas wie „Gießen_Schenken“ überhaupt zu Stande. Der Versuch, Filme in die Gefäße-Ausstellung einzubringen, hat in einem zweiten Schritt dazu geführt, das hauseigene Filmarchiv zu katalogisieren und damit zu erschließen. Auch das ist nichts neues, aber es war ein notwendiger Schritt, um heute überhaupt darüber reflektieren zu können, ob in dem oder jenem Raum des Humboldt-Forums filmische Dokumente die Objektwelt zusätzlich ergänzen oder erklären sollen.

Rahman-Steinert: Natürlich ist das Museum eine Abstraktion und es bringt Dinge zusammen, die in der ‚Natur’ oder da wo sie hergekommen sind, nie nebeneinander gestanden haben. Unsere Stärke und das Besondere des Museums sind, dass wir Dinge zusammenbringen und durch die Konfrontation unterschiedliche Entwicklungen, Sichtweisen, Philosophien sichtbar machen können. Genau diese neue Einsicht finde ich ist im wilden Gemisch der „Gefäßzentrale“ nicht sichtbar geworden ist. Viele Besucher konnten sich nicht gut orientieren. Die Beschriftung war nicht so einfach zuzuordnen, sodass man dort eigentlich wieder nur so eine Vielfalt wahrgenommen hat, ohne auf das Einzelne zu schauen. Eine gelungene Konfrontation sehe ich eher dann, wenn ich mehr erfahre über die einzelnen Dinge, die zusammengestellt worden sind.

Junge: Mir war nicht klar, ob die „Gefäßzentrale“ eine Installation oder ein „Museum der Gefäße“ war, also enzyklopädisch etwas aussagte. Das blieb für mich eine nicht geklärte Diskrepanz.

Rahman-Steinert:
Und die spannende Frage, die am Anfang des Projekts gestanden hatte – wie kommt es denn, dass hier so viele Töpfe im Museum stehen, die ist letztendlich nicht beantwortet worden. Für Ostasien ist das z.B. ein ganz zentraler Punkt, weil in den frühen Ritualen das Gefäß eine viel wichtigere Rolle gespielt hat, ähnlich wie im Westen oder in Europa das Bild. Das sind völlig unterschiedliche Auffassungen von Welt und das war in dieser Diversität gar nicht erkennbar.

Haben sich für Sie noch weitere Fragestellungen oder Erkenntnisse durch diese Installationen und den damit zusammengehörenden kommunikativen Prozess ergeben?

Heller: Es haben sich bezeichnende Differenzen gezeigt beim Versuch, Einsichten darüber zu gewinnen, wofür die Gegenstände eigentlich stehen – für die betreffende Herkunftskultur, für die Sammlung, für jede und jeden von uns auch persönlich? Die westliche Kunstgeschichte kennt zahlreiche Assemblagen von unterschiedlichsten Gegenständen – z. B. bei den Surrealisten, die in derselben Ausstellung Objekte der Hopi, alltägliche objets trouvés und eigene Werke  präsentierten.
Im ethnologischen Kontext regt sich da sofort Widerstand. Viele KollegInnen leitet ein meines Erachtens allzu großes Verantwortungsgefühl gegenüber „ihren“ Kulturen. Deshalb wollen sie um jeden Preis verhindern, dass „falsche“ Wahrnehmungen entstehen und versuchen, die Museumsobjekte durch klare Grenzziehungen zu schützen. Auf diese Weise geht aber jede Spielfreude verloren. Für mich wäre es ein großes Ziel, wenn das Lab diese Spielfreude für das Humboldt-Forum zurückzuerobern könnte – im Wissen um die Verantwortung als Treuhänder der Objekte und mit Respekt ihnen gegenüber.

Junge: Es gibt diese Haltung, die sie beschrieben haben: man stellt sich vor ‚seine’ Ethnien. Aber ich glaube, dass wir da schon viel weiter sind. Ich habe z.B. die Ausstellung „Weltsprache Abstraktion“2 gemacht und ein Bild von Paul Klee neben einem Kuba-Stoff aus dem Kongo präsentiert. Da haben wir auch gespielt. Man sollte sich trauen, die Bedächtigkeit, die Ethnologen manchmal haben können, zu überwinden und Dinge zusammenzubringen, die von ihrer Herkunft und Geschichte nichts miteinander zu tun habe.

Rahman-Steinert:
Dass wir „Treuhänder“ der Objekte sind, um sie zugänglich wahrnehmbar für die Besucher zu machen, das finde ich sehr schön, und da müssen wir nach unterschiedlichen Wegen suchen, wie wir das verwirklichen können.

Heller: Das geht natürlich leichter in Wechselausstellungen – im Humboldt-Forum haben wir es aber mit Dauerausstellungen zu tun. Und um nochmals auf die Videoinstallation „Gießen_Schenken“ zurückzukommen: ich bin überzeugt, sie würde sich in einer Dauerausstellung gut behaupten. Solche Qualitäten sucht und findet das Humboldt Lab, und dafür brauchen wir die oft verschlungenen und dann wieder offenen Herangehensweisen im Sinne ständiger Lockerung.

1 „Springer: Purnakumbha“ von Martina Stoye, Probebühne 1
2 „Weltsprache Abstraktion. Gestalt, Magie und Zeichen“: Ethnologisches Museum Dahlem, 2006


Martin Heller ist Mitglied der Leitung des Humboldt Lab Dahlem und verantwortlich für die inhaltliche Konzeption des Humboldt-Forums.

Dr. Peter Junge studierte Ethnologie, Soziologie und Geschichte in Marburg und Berlin. Zwischen 1980 und 1991 leitete er verschiedene Projekte zur Dokumentation der deutschen Kolonialgeschichte im Übersee-Museum Bremen. 1991 bis 2001 war er hier Kurator der Afrika-Sammlung und später Leiter der Völkerkunde-Abteilung. 2002 wechselte er an das Ethnologische Museum in Berlin, wo er bis 2014 Kurator der Afrika-Sammlung und Leiter der Abteilung Kommunikation war.
 
Uta Rahman-Steinert studierte Sinologie und Kunstgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und hielt sich anschließend zwei Jahre in Beijing auf, wo sie an der Zentralen Akademie für Bildende Kunst chinesische Kunstgeschichte studierte. Seit 1987 ist sie Wissenschaftliche Angestellte an der Ostasiatischen Sammlung der Staatlichen Museen zu Berlin Ost und seit der Zusammenlegung der Berliner Museen 1992 am Museum für Asiatische Kunst tätig.

Barbara Schindler ist im Bereich Kunst-PR tätig. Für das Humboldt Lab Dahlem betreut sie gemeinsam mit Christiane Kühl die Online-Dokumentation der Projekte.

Das Interview wurde im Juli 2014 in Berlin geführt.