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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

EuropaTest / Positionen


Europa als Archipel

von Christoph Antweiler

Ein kritischer Ausstellungsrundgang entlang der Themeninseln des „EuropaTest“

Die mir gestellte Aufgabe ist es, den „EuropaTest“ aus meiner Expertise heraus einzuordnen und interessante Aspekte wissenschaftlich zu beleuchten. Ich tue das relativ unbefangen, da ich vorab ganz bewusst keine Informationen über das Projekt eingeholt habe und weder weiß, welches Anliegen die KuratorInnen verfolgten, noch welche Mittel für die Ausstellung zur Verfügung standen.

So vertrete ich hier eine Position, nehme aber zwei Perspektiven ein. Einerseits kommentiere ich als Ethnologe, andererseits schaue ich aus der Sicht eines ethnologisch interessierten Laien. Ich forsche nicht zu Europa, sondern zu Südostasien, lese aber viel Literatur zur Europäischen Ethnologie. Ich bin an Museen und populärwissenschaftlicher Ethnologie interessiert, gehe auch privat gerne in Museen und war jetzt das fünfte Mal in den Dahlemer Museen. Ich bin Mitglied des International Advisory Boards des Humboldt-Forums und kenne deshalb die Herausforderungen in groben Zügen. Die aktuelle Diskussion zum Humboldt-Forum kenne ich jedoch nur, soweit sie sich in der Presse niedergeschlagen hat.

Zunächst möchte ich meinen ersten Eindruck wiedergeben, der vor allem die äußere Form und die Orientierung betrifft. Ich habe vier Stunden im Ethnologischen Museum verbracht und mich ausschließlich mit „EuropaTest“ befasst … naja, zehn Minuten zwischendurch bei den polynesischen Booten müssen für mich immer drin sein. Ein Flyer macht klar, dass „EuropaTest“ türkis in den Ausstellungsräumen markiert ist. Eine Audio-Führung gibt es nicht.

Die Grundidee von „EuropaTest“ ist es, den normalen Museumsbestand durch verschiedene thematische „Inseln“ zu ergänzen. Super, aber die komplexe Struktur wird nirgendwo deutlich erklärt. Der Archipel reicht von Großinseln über konzentrierte Inselgruppen und einen weitgestreuten Subarchipel bis zum abgelegenen Outlier. Das Orientierungssystem ist dabei eine echte Herausforderung: Es gibt Begriffe wie „Lab“, „Probebühne“, „Themeninsel“; Probebühnen-Nummerierungen, Themeninsel-Buchstaben und dazu Kritzelkrakel-Ästhetik auf Schildern und Flyern. Die Buchstaben selbst fehlen an den Themeninseln, werden dagegen im Museumsplan auch noch für anderes verwendet. Die extra angebotenen Führungen durch geschultes Personal dagegen sind genial, weil die BesucherInnen entscheiden können, wo die Führung hingehen soll und welche Themen sie interessieren.

Inhaltlich kommt die Kernaussage der Verflechtung der Kulturräume gut herüber. Dabei stehen Geschichte und Gegenwart in einem ausgewogenen Verhältnis. Die angebotenen Perspektiven „Europa von außen“, „Europa von oben“, „Europa von unten“ sind einfach und für Laien nachvollziehbar. Das Konzept von Europa als einer Konstruktion wird gut nahegebracht. Verschiedene Weltkarten machen die unterschiedlichen Perspektiven angemessen deutlich. Die Idee von Europa im Plural – „Making Europe(s)“ – ist gut, könnte aber konkreter gezeigt werden. Genauso hätte man mit dem Bild der Parade europäischer Brote im japanischen Minpaku-Museum konkreter umgehen können. Gezeigt wird eine Museums-Perspektive von außen. Warum aber nur ein mittelprächtiges Foto und keine richtigen Brote, Reis als Nahrung Asiens oder Sushis als Berliner Japan-Marker?

Ohne Führung würde erst nach und nach klar, wie stark „EuropaTest“ an der Sammlungsgeschichte der europäischen Bestände in den Berliner Museen ausgerichtet ist. Die Visualisierung des Zeitstrahls als Fluss mit Zu- und Abflüssen ist gut, lässt aber offen, ob das eine reine Metapher ist oder den Ein- und Ausgliederungen der Europa-Sammlungen konkrete Jahreszahlen zuordnet. In „Making Europe(s)“ sind interessante Figuren in die Vitrine gestellt, aber die Informationen dazu sind so dünn wie in der alt-ehrwürdigen Präsentation der Archäologie Mesoamerikas im großen Raum nebenan. Warum werden kleine Colon-Figuren gezeigt, statt der eindrucksvollen in der Südsee-Abteilung? Die unter dem Titel „Nach Europa getragen“ ausgestellten Babytragetücher konkretisieren das Thema der Beziehungen zwischen Europa und außereuropäischen Kulturen wunderbar, doch bleibt die Aussage etwas nebulös. Warum liegt der Longseller von Jean Liedloff nicht aus, den die Hälfte aller Eltern zu Hause hat? Auf diese Art könnte der Bezug zu eigenen Erfahrungen mit alternativer Erziehung hergestellt werden.

Was schließe ich und was sind meine Vorschläge? Volkskunde und Ethnologie bereichern einander im Museum. Die Idee, Exponate zu Europa und Außereuropa in derselben Architektur zu verknüpfen, sollte umgesetzt werden. Man könnte Themeninseln konsequent wechselseitig anlegen: nichteuropäische Themeninseln in der europäischen Präsentation, europäische in der außereuropäischen Sammlung. Bei „EuropaTest“ reicht die Vielfalt der kuratorischen Präsentationsformate von deskriptiver Präsentation über essayistisch-verspielte Umsetzungen bis hin zur „Border-Crossing“-App. Das ist sehr anregend – Test bestanden. Ich empfehle aber, mit einer klareren Didaktik zu arbeiten. Wenn es um exotisierende Völkerschauen geht, sollte man ein Bild etwa aus einem heutigen Themenpark im chinesischen Yünnan zeigen, wo Replikate vom Schloss Neuschwanstein und des Eiffelturms direkt neben traditionellen Häusern der Minderheiten Chinas stehen. An den Exponaten wünsche ich mir etwas mehr Text. Die Tafeltexte sollten in kurzen Sätzen formuliert sein und sich inhaltlich weniger auf der Meta-Ebene bewegen. Die Idee der flexiblen Führungen ist äußerst gut und sollte in der Finanzierung des Humboldt-Forums fixiert werden. Mein Traum wäre eine inhaltliche Schulung des Aufsichtspersonals, sodass dieses spontan Erklärungen geben könnte, à la Tate Modern. Fazit: Europa muss ins Humboldt-Forum!


Prof. Dr. Christoph Antweiler ist Leiter der Abteilung der Südostasienwissenschaft am Institut für Orient- und Asienwissenschaften (IOA) der Universität Bonn.


Nicht-Europa ist kein Ort

von Klas Grinell

Berlin ist eine Stadt in Europa. Deutschland ist ein europäisches Land. Europa gehört zum Westen, so sagen wir. Aber Ost und West ergeben als Richtungsanzeige nur Sinn von dem Ort aus, an dem wir uns befinden. Die Erde ist eine Kugel, die durchs All treibt und keine Mitte hat. Nicht-Europa ist kein Ort.

In der jüngeren Vergangenheit, den letzten paar Hundert Jahren, ist es einigen europäischen Mächten gelungen, sich selbst ins Zentrum von Geschichte, Wirtschaft und Wissenschaft zu setzen. Das war ein kurzer Augenblick im kulturellen Leben der Menschheit. Trotzdem leben wir noch immer sehr stark im Schatten dieser Periode, und viele ihrer Ergebnisse bestimmen weiter die internationalen Beziehungen: postkoloniale Ungerechtigkeiten, industrieller Ökozid, wissenschaftlicher Eurozentrismus. Europa hat Karten gezeichnet, die Erde in Kontinente und Zivilisationen aufgeteilt, Informationen und Objekte gesammelt und Museen geschaffen, um zu verstehen, auf welche Arten Europa fortschrittlicher war als andere Kulturen. Dies diente der Identitätsbildung, der Landnahme und dem europäischen Höherwertigkeitskomplex – ein offener Versuch, die Kulturen der anderen zu verstehen, war es nicht.

Nicht-Europa ergibt als Kategorie nur so lange einen Sinn, wie Europa im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit bleibt. Die Begriffe von Kontinenten und Zivilisationen sind europäisch und ergeben nur aus europäischer Perspektive einen Sinn. Dies sollte offen ausgesprochen werden, nicht nur als Intervention im Zusammenhang mit „EuropaTest“, sondern als erster Erklärungsversuch für die Tatsache, dass überhaupt Abteilungen für asiatische, afrikanische oder amerikanische Ethnologie existieren. Die ausgestellten Objekte sind jenseits dieser Kategorien entstanden. Männer aus Europa haben sie aus ihrer spezifischen kulturellen Lage heraus gesammelt, um diese weit gefassten Kategorien anzulegen.

Die Existenz von Afrika, Asien, Amerika und Ozeanien als Kategorien erklärt sich ausschließlich aus der Geschichte des europäischen Kolonialismus. Die Landmasse Afrikas zum Beispiel öffnet sich zahlreichen Systemen des Austauschs auf Land- oder Wasserwegen. Sie hat nie eine Einheit dargestellt. Die „EuropaTest“-Ausstellung zeigt dies sehr deutlich. Wenn man den Gedanken weiterführt: Die Landmasse von „Afrika“ ist drei Mal so groß wie die von „Europa“, auch wenn dies auf den meistverwendeten, den eurozentrischen Mercator-Kartenabbildungen nicht erkennbar wird. China ist vier Mal so groß wie Grönland, Asien vier Mal so groß wie Europa. Der Norden der Welt misst ungefähr 50 Millionen Quadratmeter, der Süden doppelt so viel.

Übersetzung aus dem Englischen von Robin Detje


Dr. Klas Grinell ist Kurator für Contemporary Global Issues am Världskulturmuseerna in Göteborg. Im November 2014 nahm er an dem Symposium „EuropaTest – und jetzt?“ in Berlin-Dahlem teil.


Aus dem Wissenshorizont der Gegenwart

von Wolfgang Kaschuba

Nicht nur die Objekte ethnologischer Sammlungen, sondern die Sammlungsidee selbst ist eine zutiefst europäische Erfindung. Sie sollte einst die „Welten der Anderen“ registrieren, kartieren, repräsentieren – oft in kolonialem Auftrag. Diesen „genetischen“ Defekt muss das künftige Humboldt-Forum konzeptuell zu historisieren und zu dekonstruieren versuchen. Dabei kann das Humboldt Lab ein entscheidendes Korrektiv bilden, dessen Reflexionen und Interventionen diese eurozentrische Perspektive einerseits kritisch bearbeiten und andererseits die europäischen Verflechtungen in globale und „weltkulturelle“ Kontexte hinein verfolgen. Gerade in Berlin, an diesem symbolischen Ort deutscher wie europäischer Aufbrüche in neue Geschichts- und Weltbilder, ist dies eine besondere Verpflichtung.

Genügend Anknüpfungspunkte für solch eine intellektuelle Re-Vision bieten die ethnologischen Sammlungen zweifellos: mit Blick auf kartografische wie ethnografische Objektbestände, auf dokumentarische wie ikonografische Bildtraditionen, auf ethnisch wie religiös begründete Gemeinschaftsfiguren. Und vor allem mit Blick auf jene vielfältigen Schablonen „anderer Kulturen“ – vom orientalischen Basar bis zum afrikanischen Kral. Dabei geht es stets sowohl um beispielhafte Analysen historischer Objekte als auch um fallstudienartige Bezüge zu aktuellen Themen. Die erhellende Perspektive darauf jedoch muss aus dem Medien- und Wissenshorizont der Gegenwart heraus entwickelt und auch gegen tradierte Sammlungslogiken neu „gelesen“ werden.


Prof. Dr. Wolfgang Kaschuba ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Im November 2014 nahm er an dem Symposium „EuropaTest – und jetzt?“ in Berlin-Dahlem teil.


Nur die Intervention kann Antwort sein

von Schoole Mostafawy

Was bedeuten Interventionen zur Erweiterung der Dauerausstellungen?

Will sich Europa nicht dem Vorwurf intellektueller Entkräftung ausgesetzt sehen, muss es sich mit den Erfahrungen nichtwestlicher Gesellschaften, mit ihren politischen, intellektuellen und kulturellen Traditionen auseinandersetzen. Nur die Intervention kann Antwort sein auf die gegenwärtige globale Krise in sozialer, politischer und ökologischer Hinsicht, nur durch sie wird Kulturvermittlung glaubwürdig. Die Ursprünge unserer sich in Bewegung befindlichen Welt, der Austausch von Gütern und Ideen, die Entwicklung hybrider Kulturen und sich ändernde Identitäten sind längst erforscht. Die Frage ist nun: Wollen wir als Museum das eurozentristische Weltbild weiter kultivieren oder uns durch Neuausrichtung der gesellschaftspolitischen Realität stellen? Eine konsequente, konzeptuelle Veränderung ist in Bezug auf das Ensemble, das Publikum und die inhaltliche Agenda notwendig.

Welche Rolle spielen ,entangled history‘ und transkulturelle Beziehungen für die Vermittlung überregionaler kultureller Zusammenhänge?

Der transkulturelle, dialogische und multi-perspektivische Ansatz erschließt den Museen Europas einen neuen Stellenwert für die Zukunft. Das Humboldt-Forum sollte dabei eine Vorreiterrolle spielen. In einer Zeit, in der Museumssammlungen nach wie vor im Sinne einer wissenschaftlichen Spezialisierung in differente Fachbereiche aufgeteilt sind (Fortführung der „Kunst und Wunderkammer“), müssen wir nach neuen Wegen suchen. Mit der eigenen Sammlungsgeschichte sollte ebenso differenziert umgegangen werden wie mit (post)kolonial gefärbten Projektionen, und zwar, indem man ihre Motive und Intentionen in den Fokus rückt. Hinsichtlich der zunehmend interkulturellen Zusammensetzung der Gesellschaften Europas gilt es somit, das Potenzial der Sammlungen zu nutzen, transkulturelle Brücken zu schlagen, entsprechende Verflechtungen aufzuzeigen und auf das Phänomen der wechselseitigen Fremdheitswahrnehmung hinzuweisen. Die europäische Rangfolge der Künste in die hohe, die angewandte und die Alltags-Kunst sollte entsprechend aufgebrochen werden, und auch die zirkuläre Geschichtsauffassung anderer Kulturen (wie etwa im 14. Jahrhundert von dem tunesischstämmigen Historiker Ibn Khaldun entwickelt) sollte in die Konzeption mit einfließen dürfen. Phänomene wie der im 21. Jahrhundert sowohl im europäischen als auch im islamischen Raum aufkommende Neo-Orientalismus oder gar Neo-Primitivismus könnten somit leicht eine Erklärung finden.

Eine neue museale Epistemologie erkennt die Chancen der Vermittlung einer historischen Anthropologie, die sich trotz aller Diversität und je eigenen kulturellen Ausdrucksformen auch zurückbesinnt auf die Gemeinsamkeit von Menschheitsthemen.

Wie lassen sich damit die – meist historischen – Sammlungen für Fragen der Gegenwart nutzbar machen?

Indem man die Sammlungen im Kontext ihrer Sammlungsgeschichte präsentiert. Europa muss seinen selbstverliebten Universalismus hinterfragen, so wie umgekehrt asiatische Länder überprüfen sollten, warum sie in der Vergangenheit widerstandslos das europäische Weltbild für ihre Sammlungen übernahmen. Das Konstrukt Europa muss einer kritischen, kosmopolitischen Tradition weichen, deren Basis vor der Übernahme amerikanischer Ideologie geschaffen wurde. Dabei sind Offenheit und Widerspruch, unter anderem hinsichtlich Sammlungsstrategien der Vergangenheit, Grundlagen des Erfolgs.

Um Kulturen auf sprichwörtlich gleicher Augenhöhe zu präsentieren, sollten darüber hinaus den historischen Artefakten Werke zeitgenössischer KünstlerInnen unterschiedlicher Herkunftskulturen gegenüber gestellt werden. Denn nur die zeitgenössische Kunst ist wirklich international zu nennen, greift sie doch auf ein gemeinsames künstlerisches Vokabular zurück.


Dr. Schoole Mostafawy ist Leiterin des Referats Kunst- und Kulturgeschichte am Badischen Landesmuseum Karlsruhe und dort zuständig für die Außereuropäische Kunst- und Kulturgeschichte. Im November 2014 nahm sie an dem Symposium „EuropaTest – und jetzt?“ in Berlin-Dahlem teil.