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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

24h Dahlem / Positionen

„Ich wollte dieses Gefühl der Unsicherheit offenlegen"

Dahlem entdecken, Parallelwelten kreieren und die Verwirrung, sich selbst als „die Andere“ repräsentiert zu sehen: Die Künstlerin Clara Jo und der Musiker Robert Lippok über ihre dreiteilige Filminstallation „24h Dahlem“.
Interview: Christiane Kühl


Clara Jo, Sie sind Amerikanerin koreanischer Herkunft und leben seit vier Jahren in Berlin. Was hat Sie daran gereizt, sich mit den Sammlungen in Dahlem zu beschäftigen?

Clara Jo: Schon als ich vor anderthalb Jahren zum ersten Mal im Ethnologischen Museum in Dahlem war, wusste ich: Hier will ich filmen. Die Institution war mir völlig fremd, und ich wollte etwas über sie und ihre Geschichte erfahren. Ich meine, ich weiß, dass eine Grundidee des Museums war, dass Menschen andere Orte und Kulturen betrachten, um sich selbst zu verstehen. Doch als ich das Museum in Dahlem besuchte, sah ich plötzlich mich selbst repräsentiert als „die Andere“. Das war eine sehr merkwürdige Perspektivverschiebung. Diese Perspektive zu verstehen, war das Reizvolle an der Arbeit für mich.

Robert Lippok, Sie wurden in Berlin geboren. Erinnern Sie sich an Ihren ersten Besuch im Ethnologischen Museum?

Robert Lippok: Das war kurz nach dem Mauerfall, in den frühen 1990ern. Ich war schockiert von der Schönheit der Sammlung. Besonders der Raum mit den Schiffen – ich hatte so etwas noch nie gesehen. Und diese komische Ecke von Berlin, Dahlem genannt – das hatte für mich auch etwas mit „entdecken“ zu tun. Das war auch etwas Fremdes, Unbekanntes.

Die Ausschreibung vom Humboldt Lab suchte nach einem Konzept, das die Museumsarchive in Dahlem mit dem Archiv des 2008 fürs Fernsehen gedrehten Films „24h Berlin“ verbindet. Film bedeutet bewegte Bilder, bei einem Museumsarchiv denkt man an Statik. Interessanterweise haben Sie sich jedoch bei Ihrem Projekt entschlossen, gar keine Bilder aus „24h Berlin“ zu benutzen, sondern allein die Tonspur. Um umgekehrt gleich im ersten Teil von „24h Dahlem“ das Museum in permanenter Bewegung zu zeigen, mit einer Kamera, die einem Wachmann bei seinem Rundgang folgt. Wie sind Sie zu diesem Konzept gekommen?

Jo: Ganz pragmatisch. Ich hatte einfach das Gefühl, das TV-Bildmaterial würde nicht zu dem passen, was ich filmen möchte. Deswegen habe ich mich für die Tonebene entschieden und nutze sie eher wie eine parallele Geschichte. Das schien mir auch mit Blick auf Roberts Arbeitspraxis die absolut richtige Entscheidung.

Lippok:
Ich hatte 2008 mit meiner Band To Rococo Rot für den Bayerischen Rundfunk eine Aufnahme von Walter Ruttmanns „Wochenende“ gemacht, ein Hörspiel von 1930. Wir haben eine aktuelle Version erarbeitet und sind mit Aufnahmegeräten durch Berlin gelaufen, um den Klang eines Wochenendes heute einzufangen. Als Clara mir sagte, sie wollte das Bildmaterial von „24h Berlin“ nicht benutzen, fand ich das gleich sehr interessant. Das Audiomaterial der Produktion ist sehr stark. Man braucht die Bilder nicht, um zu verstehen, was passiert. Wir haben dann viel gehört auf der Suche nach guten Zitaten, Interviewausschnitten über Migration und über Menschen, die nach Berlin ziehen.

Das Online-Archiv ist immens. Wie haben Sie die Auswahl getroffen?

Jo: Das Archiv ist ziemlich gut verschlagwortet. Ich wollte den ersten Teil des Films zum Thema „Nacht“ machen, also haben wir spezifisch danach gesucht. Den zweiten Teil, „Tag“, wollte ich über eine Rückkehr nach Dahlem machen.

Lippok: Wir hatten den ganzen Ton auf einer großen Festplatte, konnten also reines Audio Research machen.

Jo: Das war fast so, als würde man blind arbeiten.

Lippok:
Ich fand das nicht schwer.

Jo: Aber für mich war es fast unmöglich!

Und wie haben Sie sich den Museumsarchiven genähert?

Jo: Ich kam als Fremde nach Dahlem und nahm mir einfach vor, mit so vielen Leuten wie möglich zu sprechen. Gleichzeitig wusste ich, dass ich den Film in drei Teile gliedern will, die zusammen einen Tag im Leben des Museums zeigen sollen. Ich habe mit verschiedenen realen Szenarien herumgespielt. Wobei es manchmal schon komisch war, hier als Künstler zu arbeiten; Wissenschaftler nimmt man im Museum ernster. Aber insgesamt haben wir sehr viel Unterstützung bekommen. Das sieht man vor allem beim zweiten Teil des Films, den ich im Archiv für Visuelle Anthropologie und im Phonogramm-Archiv gemacht habe. Ulrike Folie und Albrecht Wiedmann waren sehr entgegenkommend.
Ulrike habe ich bei der Arbeit gefilmt, sie katalogisiert die Filme der Sammlung. Ich habe das Szenario fiktionalisiert, indem wir unter das Bildmaterial, das sie sichtet, Material gemischt haben, das nicht Teil der Sammlung ist: Streifen aus einer Box mit Schnittresten von Gerd Koch, dem ehemaligen Leiter der Südsee-Abteilung, die er bei Feldforschungen aufgenommen hat. Dazu spielt Robert Instrumente aus der Sammlung; das war ein weiterer Bezug zum Archiv.

Wie war das, diese alten Instrumente zu spielen?

Lippok: Ich habe mich entschieden, die Instrumente nicht zu spielen, weil ich dazu gar nicht befähigt bin. Ich wollte einfach ihre Töne hervorbringen. Ich habe weder Rhythmen noch Melodien gespielt, sondern versucht zu verstehen, wie die Instrumente klingen in Bezug auf ihren Körper, den Resonanzraum. Also habe ich nur einzelne Saiten gezupft oder Trommeln geschlagen. Ganz einfach. Die Aufnahmen habe ich dann auch nicht in sich bearbeitet, sondern wie Rohmaterial benutzt und übereinandergelegt.

Der dritte Teil des Films ist ganz anders. Während Teil eins und zwei im Museum spielen und eine geschlossene Welt konzentriert auf wenige Personen zeigen, wurde „Zukunft“ auf der Baustelle am Berliner Schlossplatz gedreht; die hermetische Welt öffnet sich.

Jo: Wie alle wissen, ist das der Ort, an den das Humboldt-Forum zieht – aber es ist noch schwer sich vorzustellen, was das für die Sammlung bedeutet. Ich wollte dieses Gefühl der Unsicherheit offenlegen. Ich wollte den Ort auf keinen Fall monumentalisieren, deshalb habe ich die Baustelle mit der Arbeit in der Schlossbauhütte der Stiftung Berliner Schloss gegengeschnitten. Auf der Baustelle wurde gerade der Estrich gegossen, in der Schlossbauhütte die barocken Fassadenelemente des Forums gefertigt. Das war die Situation 2013. Ich wollte Teil drei mit den anderen Teilen verbinden, den Schlossplatz in Mitte mit den Sammlungen in Dahlem; ich wollte, das alles zusammenkommt ... aber irgendwie ist mir das nicht richtig gelungen.

Lippok: Aber das ist das Gute am Lab: Forschung und das Unfertige sind erlaubt. Was wir derzeit zeigen, ist eine Version des Projekts. Es wird eine andere geben.

Inwieweit wurde die Arbeit von dem Wissen beeinflusst, dass Sie im Ethnologischen Museum und nicht an einem Ausstellungsort zeitgenössischer Kunst gezeigt werden wird?

Lippok: Clara hat einfach ihre Arbeit gemacht, ohne darüber nachzudenken, was das Publikum denken oder verstehen wird. Keine Kompromisse. Das ist total richtig. Denn wenn Du Kompromisse eingehst, weißt Du nicht, mit wem Du Kompromisse eingehst. Du kennst das Publikum ja gar nicht. Es ist sowieso dumm zu denken, dass Galeriebesucher schlauer als Museumsbesucher seien oder dass Kinder keine experimentellen Videos sehen sollten.

Jo: Ich habe die Filminstallation als Intervention gedacht. Sie steht ja nicht in der Sammlung, sondern in Räumen dazwischen: „Nacht“ zwischen den Ausstellungsräumen Goldenes Dreieck (Laos, Myanmar, Thailand) und Südsee, „Zukunft“ im Foyer zwischen den Eingängen zum Museum für Asiatische Kunst und zum Ethnologischen Museum. Ich wollte eine Parallelwelt, damit die Besucher Bereiche entdecken, die normalerweise unsichtbar sind.

Wie hat sich die Arbeit im Laufe der Entwicklung vom Konzept zur Installation verändert?

Jo: Ich habe viele Entscheidungen spontan getroffen, da ich meist an Locations drehen musste, die ich noch nie gesehen hatte. Dabei wollte ich die Bilder offen und gewissermaßen leer lassen, damit Robert eine Projektionsfläche hatte, mit der er arbeiten konnte. Ich wollte ihm Raum zum Atmen geben. Daher die langen Einstellungen von Orten und Architekturen, um eine Balance zwischen Bild und Ton zu ermöglichen. Der Einsatz des Tons ist der radikale Aspekt dieses Films.

Lippok:
Ein Nicken macht keine Geräusche, aber ... (nickt und lacht)

Hat sich Ihre Wahrnehmung des Museums verändert?


Jo: Ja, sehr.

Und? Wie präsentiert es sich Ihnen nun als Nicht-Europäerin, die sich als „die Andere“ darin gespiegelt sieht?


Jo: Das muss ich noch verdauen. Wirklich, darüber muss ich noch nachdenken.

Wie sähe das ideale Ethnologische Museum aus?


Lippok: Ich bin gestern am Haus der Kulturen der Welt (HKW) vorbeigefahren und dachte plötzlich, man müsste das Ethnologische Museum mit dem HKW zusammenlegen. So dass man nicht nur das Museum und das Archiv hat, sondern auch einen politischen Zugang zu den Ländern, zum zeitgenössischen Alltag. Verschiedene Zugänge zu anderen Kulturen, nicht nur museal, auch künstlerisch: über Konzerte, Vorträge, Ausstellungen. Das zusammenzubringen wäre für mich eine ideale Situation. Alles schreit ja förmlich danach, ethnologische Museen anders in die Gesellschaft zu bringen. Aber jetzt sind die Pläne anders. – Die hätten den Palast der Republik stehen lassen und ein Centre Pompidou daraus machen sollen: das HKW und das Ethnologische Museum rein. Das wäre der Killer.

Jo: Problem gelöst. (lacht)


Die Künstlerin Clara Jo (*1986, USA) machte 2013 ihren Abschluss als Meisterschülerin in der Klasse von Olafur Eliasson (Institut für Raumexperimente, UdK Berlin). Ihren Bachelor in Fotografie erhielt sie vom Bard College (New York) 2008. Performances und Filme in Zusammenarbeit mit James Gregory Atkinsonwurden bisher im MMK Museum für Moderne Künste Frankfurt, in der Kunsthalle Krems, im ClubTransmediale, in der Hessischen Kunsthalle Frankfurt, im West Germany (Stipendium des KulturamtsKreuzberg/Friedrichshain) und im HAU2 gezeigt. Gruppenausstellungen bei White Columns (New York) und dem Swiss Institute (New York).

 

Seit seiner Jugend ist Robert Lippok in verschiedenen Formationen als Musiker sowie als bildender Künstlertätig. Zusammen mit seinem Bruder Ronald und Stefan Schneider gründete er in den 90er Jahren dieBand to rococo rot, die mit Veröffentlichungen u.a. bei Kitty-Yo, City Slang und Staubgold weltweit bekannt wurde. Mit to rococo rot entwickelte Robert Lippok zudem Soundarbeiten für Künstler wie Olaf Nicolai/Raster-Noton (Bonner Kunstverein, 2000, Palais de Tokyo, 2002, HAU Berlin, 2006), Doug Aitken (Serpentine Gallery, London, 2001) und Takehito Koganezawa ("On the way to the peak of normal", Montevideo und Amsterdam, 2000). Daneben wirkte to rococo rot an Hörspielen u.a. im Bayerischen Rundfunkmit und komponierte eine Neufassung von Walter Ruttmanns Tonmontage "Weekend". Lippok tritt musikalischauch als Einzel-künstler und im Elektronik-Duo Tarwater auf. Als bildender Künstler setzt er sich mitarchitektonischen Räumen und Audiokonzepten auseinander. U.a. nahm er an der Ausstellung "space toface" im Westfälischen Kunstverein (Münster, 2004) teil.

 

Christiane Kühl lebt als Journalistin und Theatermacherin in Berlin. Für das Humboldt Lab Dahlem betreut sie gemeinsam mit Barbara Schindler die Online-Dokumentation der Projekte. Das Interview wurde im Februar 2014 in Berlin geführt.