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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

(K)ein Platz an der Sonne / Positionen

„Erst die Erde umwälzen, dann neu säen“

Cassandra Ellerbe-Dück ist Diversity-Trainerin und Mitglied des KuratorInnenteams von „(K)ein Platz an der Sonne“. Israel Kaunatjike ist Herero-Nachfahre und beteiligte sich als Gesprächspartner zum Thema Völkermord an der Ausstellung. Im Gespräch berichten sie über Erfolge und Schwierigkeiten der Zusammenarbeit von Institution und AktivistInnen, verpassten Chancen und nötigen Revisionen.
Interview: 
Anne Haeming

Herr Kaunatjike, als Sie gefragt wurden, ob Sie sich an der Ausstellung beteiligen: Was war Ihre erste Reaktion?

Israel Kaunatjike: Ich habe mich gefreut, denn die Geschichte des deutschen Kolonialismus und der Völkermord an den Herero muss in die Öffentlichkeit. Es reicht nicht, nur die Erwachsenen anzusprechen, man muss auch Kinder adressieren. Der Kolonialismus – und was daraus entstanden ist – betrifft uns alle.

Und Sie, Frau Ellerbe-Dück?

Cassandra Ellerbe-Dück: Ich habe das Vorhaben begrüßt, war aber auch etwas skeptisch. Weil ich wusste, dass viele Menschen aus der afrikanischen Community das Ethnologische Museum und das Humboldt-Forum sehr kritisch sehen. Aber man muss sich damit auseinandersetzen, wie koloniale Denkweise auch heute Teil unseres Alltags ist. Mein Part war, Aspekte zur rassistischen Sprache und zu rassistischen Bildern einzubringen.

Hatten Sie Bedingungen, bevor Sie zusagten?

Ellerbe-Dück: Ich sagte: „Ich kann mich nur an dem Projekt beteiligen, wenn es uns gelingt, einen rassismuskritischen Blick zu vermitteln.“ Das haben wir, finde ich, geschafft.

Was waren denn Ihre liebsten Schaustücke?

Kaunatjike: Oh, mir hat alles sehr gut gefallen.

Ellerbe-Dück: Ich finde vor allem gut, dass es uns gelungen ist, ein Thema wie Alltagsrassismus für 14-Jährige zugänglich zu machen. Etwa indem wir das Filmprojekt des jungen Sidney Frenz zeigten und so überlegen ließen, wieso manche Leute Schwarzen Menschen in die Haare greifen, wieso es jenen anderen Begriff für Schokoküsse gibt, warum jemand sagt: „Hier sieht es aus wie bei den Hottentotten”. Ich wollte auch viele Texte, Beispiele, Filme aus der afrikanischen Diaspora nutzen – doch deren UrheberInnen haben alle „Nein” gesagt.

Wieso?

Ellerbe-Dück: Mir wurde etwa gesagt: „Ich mag Dich und Deine Arbeit – für eine andere Institution sofort. Aber da? Nee.”

Welche Institution: das Ethnologische Museum oder das, was in Form des Humboldt-Forums daraus werden soll?

Ellerbe-Dück: Sie wollen mit dem Humboldt-Forum nichts zu tun haben. Ich verstehe das. Meine Erfahrung mit dem Humboldt Lab war aber positiv: Wir haben im KuratorInnenteam viel diskutiert, waren aber alle IdeengenossInnen.

Herr Kaunatjike, wie reagierten Ihre Mitstreiter auf Ihre Beteiligung?

Kaunatjike: Alle respektieren, dass es meine Pflicht ist, über den Völkermord und den deutschen Kolonialismus in Westafrika zu sprechen, sooft ich kann. Die Diskussion um „Humboldt 21“ kenne ich, und die Gruppen, die dagegen kämpfen, sagten zu mir: „Israel, mach Dein Ding“. Über deren Anliegen habe ich nicht geredet – nicht um einen Konflikt zu vermeiden, sondern schlicht, weil es nicht der Schwerpunkt meiner Arbeit ist.

Wie würden Sie das Grundproblem beschreiben? Es gab und gibt ja das Begehr von Museumsseite, mit Vertretern der Community zusammenzuarbeiten.

Ellerbe-Dück: Ich bin zu spät zur KuratorInnengruppe der Schau „(K)ein Platz an der Sonne“ dazugestoßen, um zu beurteilen, welche Gespräche wie stattgefunden haben. Aber man kann festhalten: Sie sind gescheitert. Man muss auch miteinander reden wollen. Viele verstehen gar nicht, worum es uns geht. Wer fordert, dass nur von der „M*-Straße“ gesprochen wird, ohne den Straßennamen ganz auszuschreiben ...

... Sie meinen die „Mohrenstraße“ in Berlin-Mitte ...

Ellerbe-Dück: ... wird von den Institutionen schnell als „radikal” bezeichnet.

Kaunatjike: Die sogenannten „Radikalen” haben etwas gefordert, daraufhin haben die anderen gesagt: Nein, wir verteidigen unsere Beute. Ab da hat keiner dem anderen mehr zugehört. Der „Crash“ hat Beulen verursacht, die man nicht so leicht wieder rausbekommt.

Ellerbe-Dück: Dabei meint „Radix” etymologisch „Ursprung“: Genau das wollen wir, an die „Wurzel” gehen – und dann schauen, wie wir die Situation ganz neu denken können.

Wie ließe sich diese verknotete Situation lösen?

Ellerbe-Dück: Klar ist: Auch people of color müssen am Konzept des Humboldt-Forums beteiligt werden. Die Entscheider sollten darüber nachdenken, wie es so weit kommen konnte, dass die afrikanische Diaspora nichts damit zu tun haben möchte – statt uns und unsere Interessen als zu extrem abzuqualifizieren.

Kaunatjike: Die deutsch-namibischen Gesellschaften nennen mich übrigens auch radikal, nur weil ich mit Recht von der Bundesregierung fordere, dass sie das Massaker der Deutschen an den Herero und Nama als Völkermord anerkennt.

Apropos: „(K)ein Platz an der Sonne” benennt es klar als „Völkermord“. War das von vorneherein unumstritten?

Ellerbe-Dück: Wir haben die Kinder und Jugendlichen in diesem Teil der Ausstellung selbst entscheiden lassen. Wir haben die Fakten aufgelistet und Bilder gezeigt, sodass sie überlegen konnten: So viele Leute wurden ermordet, ihr Land wurde ihnen weggenommen, sie wurden in Konzentrationslager gepfercht – in welche Kategorie von Unrecht gehört das?

Wie finden Sie diese Strategie, Herr Kaunatjike?

Kaunatjike: Gut. Ich kämpfe seit so vielen Jahren dafür, dass die Bundesregierung den Völkermord anerkennt. Immerhin benutzt Bundestagspräsident Lammert mittlerweile diesen Begriff.

Ein Aspekt der Auseinandersetzung sind die Objekte der ethnologischen Sammlung selbst. Ich war überrascht, dass in der Schau kein einziges zu sehen war.

Ellerbe-Dück: Es ist doch so: Junge Menschen schauen sich Objekte an und gehen weiter, da bleibt nichts hängen. Deswegen haben wir die Schau konsequent interaktiv aufgebaut: So setzen sie sich unmittelbarer mit dem Thema auseinander. Egal ob sie Texte lesen oder das Computerspiel ausprobieren über den Konflikt in Bamun, dem Kameruner Grasland, bei dem sie eben ausnahmsweise aus der Perspektive eines Bamuner Oberhaupts Entscheidungen darüber treffen müssen, wie man am besten mit den Kolonialherren verhandelt.

Kaunatjike: Es muss vor allem geklärt werden, welche der 75.000 Objekte der Afrika-Sammlung in Dahlem Raubkunst sind und welche nicht. Wie etwas im Museum gelandet ist, müsste in Zukunft auch bei den Objektbeschriftungen stehen – und nicht nur „Namibia, 19. Jahrhundert“.

Finden Sie, ein ethnologisches Museum hat nach wie vor Existenzberechtigung?

Ellerbe-Dück: Das ist eine komplexe Frage. Aber die ethnologische Haltung und die Institution brauchen ein Update, ein Makeover. Teil davon muss sein, dass mehrere Stimmen involviert sind und nicht nur eine Seite der Geschichte gezeigt wird.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, formulierte es ähnlich: Das Humboldt-Forum solle eine „mehrstimmige Erzählung zu einem Objekt aus unterschiedlichen Blickwinkeln” zeigen – „unseren, den der Anderen und vielleicht einen gemeinsamen”.

Ellerbe-Dück: Das geht aber nur, wenn Vertreter der Communities als Entscheidungsträger in die Strukturen eingebunden sind. Nur so lässt sich der Status quo aufbrechen. Zudem ist doch wissenschaftlich längst bewiesen, dass vielfältige Teams besser und kreativer arbeiten. Es gibt so viele hochqualifizierte people of color, die im Kultur- und Museumsbereich tätig sind, egal ob in Afrika oder in der Diaspora!

Kaunatjike: Oft scheitert es daran, dass Mitläufer an Bord geholt werden, die dem zustimmen, was die Entscheidungsträger sowieso wollen. Und die, die anderer Meinung sind, werden sofort wieder als „radikal” abgestempelt.

Ellerbe-Dück: Das ist Ausdruck der Tendenz, alle Afrikaner als homogene Masse zu sehen. Man übersieht, dass für solche Aufgaben nicht irgendwer in Frage kommt – sondern nur jemand, der ein politisches Bewusstsein hat und unbequeme Fragen stellt.

Also ist das Problem nicht, dass es mit dem Humboldt-Forum ein neues ethnologisches Haus geben soll, sondern nur das Wie?

Ellerbe-Dück: Die Idee, all die Sammlungen an einem Ort zusammenzubringen, ist meiner Meinung nach nicht falsch. Aber ich kann doch nicht Objekte von Punkt A nach Punkt B transportieren, ohne deren Provenienz an Punkt A bereinigt zu haben. Wenn ich ein Gemüsebeet anlege, muss ich auch erst die Erde umwälzen, bevor ich neu säe.

Kaunatjike: Der Meinung bin ich auch. Die meisten Objekte gehören hier überhaupt nicht her und müssten zurück nach Afrika. Danach kann man vielleicht eine neue Sammlung starten – auf legalem Weg. Wir haben kein Problem mit dem Museum an sich, nur mit der Historie der Objekte. Ein Museum hat die Pflicht, historisch und politisch gerecht zu sein.

Anders formuliert: Das Ethnologische Museum muss sich als historisches Museum begreifen, das seinen Ausdruck in Kunst und anderen Gegenständen findet?

Ellerbe-Dück: Genau. Es ist ein sozio-politisches Konstrukt und das muss selbstreflexiv thematisiert werden.

Und wie?

Ellerbe-Dück: Ich habe zu wenig Einblick in die Struktur der Institution, um mich dazu qualifiziert zu äußern.

Ist das Teil des Problems? Würde es helfen zu sagen: Schaut, das sind die infrastrukturellen Rahmenbedingungen, lasst uns gemeinsam schauen, was machbar ist?

Ellerbe-Dück: Der Aufbau des Hauses ...

... also der institutionelle Zusammenhang in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von Humboldt-Forum, Humboldt Lab Dahlem und Ethnologischem Museum sowie deren Aufgabengebiete ...

Ellerbe-Dück: ... ist in der Tat intransparent. Ein offener Dialog, auch genau darüber, wäre Voraussetzung.

Kaunatjike: Beide Seiten bräuchten einen Moderator oder Mediator. Es muss nicht der UNO-Generalsekretär sein, aber irgendjemand muss vermitteln, um die Gruppen wieder zusammenzubringen.

Wie sollte das ablaufen? Öffentlich, nicht-öffentlich?

Kaunatjike: Das kann doch kein Geheimtreffen sein, das Museum ist ein öffentlicher Ort, wir leben in einem demokratischen Land.

Ellerbe-Dück: Natürlich möchte ich daran teilhaben. Mein Steuergeld fließt in dieses Haus! Es wird nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen sein, da werden auch die Fetzen fliegen. Aber wir müssen stark genug sein, um mit commitment zusammen durchs Feuer zu gehen. Ich bin immer der Meinung: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

Inwiefern könnte eine weitergehende Neudefinition des Humboldt-Forum-Konzepts eine Chance sein, die koloniale Vergangenheit Deutschlands stärker in der Öffentlichkeit zu debattieren?

Ellerbe-Dück: Für eine Revision der deutschen Geschichte wäre das wichtig. Die Stimmen derjenigen, die kolonisiert wurden und die ihrer Nachfahren müssen endlich gehört und respektiert werden. Unsere Schau „(K)ein Platz an der Sonne” war ein erster Schritt: wie ein Tropfen im Ozean, der anfängt Wellen zu schlagen.


Dr. Cassandra Ellerbe-Dück ist Kulturwissenschaftlerin und Anthropologin sowie Diversity Trainerin. Sie war Fellow der Bayreuth Academy of Advanced African Studies sowie Patin des Fachforums „Rassismuskritisches Empowerment & rassismuskritsche Bildung in der postmigrantischen Gesellschaft“. Zurzeit ist sie Vorstandsmitglied von Eine Welt der Vielfalt e.V. Berlin. Für das Humboldt Lab Dahlem arbeitete sie im kuratorischen Team von „(K)ein Platz an der Sonne“.

Israel Kaunatjike ist Herero-Aktivist des Bündnisses „Völkermord verjährt nicht“. Die Ausstellung „(K)ein Platz an der Sonne“ zeigte ein Videointerview mit ihm zum Thema.

Dr. Anne Haeming promovierte über postkoloniale Literatur und arbeitet als Kultur- und Medienjournalistin in Berlin.