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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Gedankenscherz / Positionen


Eine utopische Installation über Zeiten und Räume

von Peter Funken

Mehr als 300 Jahre nach dem Erscheinen des „fantastischen“ Texts von Gottfried Wilhelm Leibniz zeigt Andreas Pinkow in seiner Installation „Gedankenscherz“ mit den ästhetischen und technischen Mitteln des 21. Jahrhunderts, wie die Idee eines Weltschauraums hätte aussehen und wirken können. Es ist eine digitale Hommage, in der sich interaktiv Bild- und Vorstellungswelten des 17. Jahrhunderts erkunden lassen.

Wie durch ein übergroßes mikroskopisches Auge sehen wir in einen dreidimensionalen Raum, der Einsichten in komplexe Tiefenschichten bietet, wenn wir uns vor dieser Installation bewegen. Letzteres ist wörtlich gemeint, denn nur wenn ein Betrachter aktiv mit Händen, Armen oder dem gesamten Körper auf das Gesehene reagiert, also gestische Anweisungen erteilt, bewegt und verändert sich der Bildraum, wodurch sich immer wieder neue Ebenen und Schichten in der Projektion ergeben. Spielt man mit, so scheint es, als werde man in ein Geschehen hineingezogen, das perspektivisch beginnt, sich aber bald schon auflöst, um sich anschließend neu und anders zu formieren.

Aber was ist man, wenn man sich auf diese Wunderkammer des 21. Jahrhunderts einlässt und sich ihr überantwortet? Ein Zeit- und Raumreisender oder sogar Bestandteil des Kunstwerks, eine mehr oder weniger intelligente Prothese der Bildmaschine „Gedankenscherz“, die via digitaler Technik und Rückprojektion vor Augen führt, wie die Welt gegen Ende des 17. Jahrhunderts gedacht wurde? Wird man zum Anhängsel eines faszinierenden Spielbetriebs oder geradezu Gott gleich und frei von physikalischen Begrenzungen? Auf jeden Fall befindet man sich als aktiv Teilnehmender in einem Prozess der Erkenntnis. Denn neben der immer wieder Neues präsentierenden Bilderwelt der Projektionen, liefert die Ausstellung durch eine schriftlich stabile Vermittlungsform auch Möglichkeiten zur Orientierung im Wissenskosmos seit Leibniz: Neben der Projektionsmaschine erscheint an der Wand eine große Texttafel. Hier bietet die Inszenierung die Indexierung wesentlicher Stichworte zum Thema, die das zukünftige Vorhaben „Humboldt-Forum“ wie auch seine geistes- und naturwissenschaftlichen Voraussetzungen zum Thema hat. Die alphabetische Verschlagwortung beginnt mit „Akademie der Wissenschaften“ und endet bei „Work in Progress“; die Begriffe beleuchten das Leibniz-Universum genauso wie die Pläne zum Humboldt-Forum oder zum Humboldt Lab in den Museen Dahlem. Der Index erwähnt und vernetzt grundlegende Begriffe des Forschens, wie wir sie seit Leibniz und Humboldt kennen – so etwa die Begriffe „Reisen“, „Sammeln“ und „Neugierde“– mit bedeutenden Personen der frühen Aufklärung, sodann auch Länder (z.B. „China“) und Wissenschaftsverfahren („Experiment“ und „Korrespondenz“). Im Zentrum des Index steht der historische „Gedankenscherz“ als Entwurf zu einer aufklärenden und lustvollen Utopie.

Das Ausstellungs-Team verschränkt mit seiner interaktiven Installation und dem Index die wissenschaftliche und populäre Vorstellung von der Vergangenheit bis in die Zukunft des Humboldt-Forums. Die historische Utopie „Gedankenscherz“ bildet als zukunftsweisende Idee des späten 17. Jahrhunderts den Referenzpunkt und erfährt in der technisch überaus anspruchsvollen und ästhetisch überzeugenden Installation ihre zeitgemäße Darstellung. In der Verbindung von Historischem und Gegenwärtigem eröffnet sich eine neue Perspektive auf Zukünftiges, wo dann möglicherweise wieder eine eher ganzheitliche Betrachtung und Wahrnehmung von Welt, Kunst und Wissenschaft stattfinden könnte – also eine neue Form des Universellen, über das Leibniz in seiner Zeit noch verfügt hat.


Dr. Peter Funken arbeitet seit 1983 als Ausstellungsmacher und Autor in Berlin.


Gedankenscherz / Zitat

„Die Darbietungen könnten beispielsweise die Laterna Magica sein (damit könnte man beginnen), sowie Flüge, künstliche Meteoriten, alle Arten optischer Wunder, eine Darstellung des Himmels und der Sterne. Kometen. Ein Globus wie jener in Gottdorf oder Jena; Feuerwerke, Wasserspiele, ungewöhnlich geformte Schiffe, Alraunen und andere seltene Pflanzen. Ungewöhnliche und seltene Tiere. Die Königliche Manege. Tiergestalten. Der königliche Pferderenn-Automat. Eine Verlosung. Darstellungen von Kriegshandlungen (...) Außergewöhnliche Konzerte. Seltene Musikinstrumente. Sprechende Trompeten. Jagd. Lüster und imitierte Edelsteine. Die Aufführung könnte zudem jederzeit mit einigen Geschichten oder Komödien vermischt werden. Theater der Natur und der Kunst. Kämpfen, Schwimmen. Außergewöhnliche Seiltänzer. Salto mortale. Zeigen, wie ein Kind ein schweres Gewicht mit einem Faden heben kann. Anatomisches Theater. Heilkräutergärten. Später auch ein Labor. Denn neben den öffentlichen Darbietungen wird es besondere geben, wie die von kleinen Rechenmaschinen und anderen, Gemälde, Medaillen, Bibliothek. (...)“

Zitat aus Gottfried Wilhelm Leibniz: Drôle de Pensée, touchant une noevelle sorte des REPRESENTATIONS <plus tost Academie des Ieux>, in: Horst Bredekamp: Die Fenster der Monade. Gottfried Wilhelm Leibniz’ Theater der Natur und Kunst, Berlin 2004, dt. Übersetzung: Gedankenscherz, eine neue Art von REPRESENTATIONEN betreffend <oder vielmehr: Spielpalast> September 1675, S 237 – 246