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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Spiel der Throne / Positionen

Modell von / Modell für: Zur Funktionalität der Ausstellung

von Jörn Schafaff

Die vier Paravents und die davor stehenden Throne sind grau beziehungsweise weiß gestrichen. Es handelt sich um lebensgroße Nachbildungen zweier zusammengehörender Objekte aus der Sammlung des Museums für Asiatische Kunst in Berlin. Die monotone Farbgebung betont die Differenz zu den Originalen. Ziel ist nicht die Vermittlung eines naturalistischen Eindrucks, sondern die Betonung bestimmter Attribute: Umriss, Form, Größe, Volumen. Sie reichen aus, um einen Eindruck von der Gestalt der Vorbilder zu vermitteln und eine Vorstellung davon, welchen Raum die Präsentation von Paravent und Thron einnehmen würde. Denn darum geht es beim „Spiel der Throne“: um die Frage, wie das Ensemble in angemessener Weise präsentiert werden könnte, welche Aspekte es dabei zu berücksichtigen gilt.

Zur Beantwortung dieser Frage wurden ein Designer und drei KünstlerInnen eingeladen, sich mit den Sammlungsstücken zu beschäftigen und ihre Erkenntnisse jeweils auf eines der nachgebildeten Ensembles zu übertragen. Das ihnen zur Verfügung gestellte Recherchematerial bildet den Auftakt zur Ausstellung. Präsentiert in einem Vorraum, informiert ein illustrierter Wandtext über vergleichbare Ensembles und deren Aufstellung in chinesischen Palästen, in Sammlungen und Museen. Eine künstlerische Filmcollage von Daniel Kohl liefert Eindrücke von Thronhallen in Hollywoodfilmen. In der fensterlosen Ausstellungshalle selbst stoßen die AusstellungsbesucherInnen auf eine kreuzförmige Ausstellungsarchitektur mit vier identisch großen, nahezu quadratischen Räumen. Die Stellwände schließen weder mit der Decke noch mit den Seitenwänden der Halle ab, wodurch erstere die Anmutung von Kulissen erhalten. Dies wiederum betont den bühnenartigen Charakter der vier Ausstellungsflächen, die den Eingeladenen für die Entwicklung potenzieller Präsentationsszenarien zur Verfügung standen. Während sich der Designer Konstantin Grcic und die Künstlerin Kirstine Roepstorff überwiegend der Strukturierung des Raums widmeten, bearbeiteten die Künstler Simon Starling und Zhao Zhao die Exponate selbst.

Auf den ersten Blick leuchtet der Modellcharakter der Szenarien sofort ein. Allerdings werfen das Erscheinungsbild der Exponate, ihre Vervierfachung und die rechteckige Grundform des Ausstellungsorts bei genauerer Betrachtung die Frage auf, was genau das Modell ist, das das „Spiel der Throne“ vorstellt. Ein Grund dafür liegt in der Mehrdeutigkeit des Begriffs. „In general usage“, bemerkt etwa John Miller, „the word model means, alternately: an example to be emulated, an ideal, a simplified representation, a particular version of a product, and, ultimately, a person who poses for art, fashion or advertising.“1 Selbst wenn wir uns auf die Bedeutung „vereinfachte Repräsentation“ beschränken, ist die Zuordnung nicht einfach, denn, wie Miller weiter ausführt: „As a simplified representation, the model has the virtue of comprehensibility. It may represent things as they are, as they might be or as they should not be.“2 Welchem dieser Zwecke die Szenarien in der Ausstellung zuzuordnen sind, ist bei genauerem Hinsehen nicht eindeutig. Als Nachbildungen sind die grauen beziehungsweise weißen Objekte Modelle der originalen Sammlungsstücke, jedoch stehen sie nicht in der Ausstellung, um den BetrachterInnen deren Komplexität verständlich zu machen –  in dem Sinne wie etwa ein Architekturmodell einen Baukörper veranschaulicht. In gewisser Hinsicht geht es überhaupt nicht um sie, dienen sie doch vor allem als Platzhalter, an denen sich die mögliche Realität künstlerischer Bearbeitungen erproben lässt. Auf diesen liegt dann auch das Hauptaugenmerk. Aber erfüllen sie eine Modellfunktion? Wenn ja, dann repräsentieren sie die Dinge „wie sie sein könnten“. Jedoch ist es nicht eindeutig, was genau die vier Szenarien repräsentieren. Sicherlich nicht konkrete, also auf eine Realisierung angelegte Vorschläge zur zukünftigen Präsentation des Kaiserthrons im Humboldt-Forum. Insbesondere die mit Wachs überzogene Variante Zhaos käme hierfür aus restauratorischen Gründen nicht infrage. Handelt es sich um konkrete Vorschläge für eine künstlerische Intervention? Dies wäre ein eigenartiger Vorgriff auf eine noch gar nicht existierende und ebenso wenig entschiedene Zukunft. Die Logik der Intervention verlangt nach einer konkret vorhandenen Situation, das einzig Konkrete im „Spiel der Throne“ sind aber die oben beschriebenen gegenständlichen und räumlichen Vorgaben, wobei letztere offensichtlich auf keine bestimmten Räumlichkeiten bezogenen sind, insbesondere nicht auf eine zukünftige Raumordnung im Humboldt-Forum. Insofern ließe sich die Frage stellen, ob es sich bei den vier Präsentationen überhaupt um Modellszenarien handelt.

Was also präsentiert das „Spiel der Throne“ den AusstellungsbesucherInnen eigentlich? Eine mögliche Antwort lautet: Sowohl die einzelnen Beiträge als auch die Ausstellung als Ganzes entfalten ihre Wirkung auf der Ebene des Kommentars. Die Installationen Grcics, Roepstorffs, Starlings und Zhaos kommentieren Aspekte der zur Disposition stehenden Exponate, etwa in Bezug auf ihre historische Funktion, Macht zu repräsentieren. Darüber hinaus kommentieren sie das Prinzip der musealen Präsentation selbst. Der rote Wachs, mit dem Zhao das Modell Thron und Paravent überzogen hat, weckt überdeutlich Assoziationen an Blut, aber auch an die Farbe der Nationalfahne Chinas. Zusammen mit dem von ihm eingerichteten Blog lässt sich seine Arbeit als Plädoyer für die zeitgenössische Kontextualisierung historischer Artefakte und gegen deren reduzierte Präsentation als ästhetisches Objekt verstehen. Bei Simon Starling nimmt der Videoprojektor die Position des Kaisers ein, indem Starling ihn auf dem Thron platziert. In der Gegenüberstellung der Exponate mit dem projizierten Film wird daraus ein Kommentar auf die Macht medialer Vermittlung. Das Video zeigt Details des Paravents, die für die auf Distanz gehaltenen AusstellungsbesucherInnen so nie zu erkennen wären. Gleichzeitig löst sich die Vorstellung eines in sich geschlossenen, in seiner Gesamtheit zu erfassenden Objekts in den Details der Nahaufnahmen auf. Wenn Roepstorff an historische chinesische Vorbilder angelehnte Lampions in den Ausstellungsraum hängt, plädiert sie scheinbar für einen atmosphärischen Zugang, stellt den Thron aber in einen weiteren kulturellen Zusammenhang. Gleichzeitig betont das den gesamten Raum erfassende Licht, dass die BetrachterInnen den Exponaten nicht einfach gegenüberstehen, sondern mit ihnen Teilnehmer an der gemeinsamen Präsentationssituation sind. Vergleichbares gilt für die an Absperrgitter erinnernden Elemente, mit denen Grcic den Saal bestückt hat. In ihrer labyrinthartigen Anordnung regulieren sie die Bewegungen der BetrachterInnen, vergegenwärtigen ihnen ihre körperliche Anwesenheit und stellen physisch erlebbar eine Beziehung zwischen kaiserlicher und museal institutioneller Macht her.

Zusammengenommen zeigen die vier Szenarien vor allem eins: die Relativität einer jeden musealen Präsentation. In ihrer Gesamtheit lässt sich die Ausstellung damit als eine Aufforderung verstehen, diese Relativität zur Grundlage zukünftiger Präsentationskonzepte des Humboldt-Forums zu machen. Damit verbunden wäre die Anerkennung und Sichtbarmachung des Umstands, dass jedem Ansinnen, eine Kultur durch die Präsentation von Objekten näher zu bringen, die Entfernung eben dieser Objekte aus ihrem kulturellen Zusammenhang vorausgeht. Die gleich mehrfachen Abstraktionsmaßnahmen, welche die Szenarien von einem konkreten Wirklichkeitsbezug entfernen, scheinen auf die Gefahr hinzudeuten, dass der Versuch, das museale Displacement mit szenografischen Mitteln zu überbrücken, stets die kulturellen, sozialen und politischen Implikationen des Sammelns, Ordnens und Präsentierens zu verschleiern droht. Insofern ist die Funktion der Ausstellung „Spiel der Throne“ weniger, Modelle für die zukünftige Präsentationspraxis zu liefern (auch nicht in Hinblick auf die Einbeziehung von KünstlerInnen), sondern vielmehr an die Herausforderungen zu erinnern, denen sich die an der Konzeption und Planung des Humboldt-Forums Beteiligten zu stellen haben.


1 John Miller: „Modell/Model“, in: Jörn Schafaff, Nina Schallenberg, Tobias Vogt (Hg.), Kunst↔Begriffe der Gegenwart. Von Allegorie bis Zip, Walther König, Köln 2013, S. 193–197, 193.

2 Ebd., S. 194.


Dr. Jörn Schafaff arbeitet am Sonderforschungsbereich 626 „Ästhetische Erfahrung im Zeichen der Entgrenzung der Künste“ der Freien Universität Berlin und beschäftigt sich mit der Situativität künstlerischer Displays. 2009–2011 war er beteiligt an der Entwicklung des Studiengangs „Kulturen des Kuratorischen“ an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.