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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Audio Guide Special – Storylines / Projektbeschreibung

Individuelle Pfade durch die Ausstellungslandschaft

von Katharina Kepplinger

Audioführungen für Ausstellungen orientieren sich gewöhnlich an zwei unterschiedlichen Konzepten: Es gibt die lineare Führung, die eine bestimmte Route durch die Ausstellung und somit eine Dramaturgie festlegt, und es gibt die sogenannte Random-Access-Führung, bei der alle Audiotracks unabhängig voneinander funktionieren und keiner vorgegebenen Route gefolgt werden muss. Bei linearen Führungen wird ein Spannungsbogen aufgebaut und zum Schluss aufgelöst, es werden beabsichtigte Bezüge zwischen unterschiedlichen Objekten hergestellt sowie Fakten und Kontexte aufeinander abgestimmt. Bei der Random-Access-Führung entscheiden die BesucherInnen, wie lange sie in der Ausstellung sein möchten, zu welchen Objekten sie sich näher informieren wollen, wo sie starten und wo sie enden. Die BesucherInnen gestalten sich ihre individuelle Audioführung, und auch das Museum kann Random-Access-Führungen unkompliziert abändern und erweitern.

Mit dem Projekt „Audio Guide Special“ unternimmt das Audiokunstduo Serotonin, bestehend aus Marie-Luise Goerke und Matthias Pusch, den Versuch, die Vorteile dieser beiden Audioführungskonzepte zu verbinden. Es soll den BesucherInnen möglich werden, den eigenen Weg durch die Ausstellung zu finden und trotzdem einer Dramaturgie zu folgen. Serotonin entwirft dafür ein dichtes Netz aus „Storylines“ – Geschichten, die in unterschiedlichen Verbindungen zueinander stehen. Wie bei einer Fahrt mit der Ringbahn können die MuseumsbesucherInnen selbst entscheiden, wann sie anhalten, umsteigen, weiter- oder gar zurückfahren möchten. Dieses Prinzip ist aktuell einzigartig in der Museumslandschaft, ließe sich jedoch für viele Ausstellungen adaptieren.

Die Geschichten zwischen den Objekten

Die Frage, wie nicht-lineare Texte in einer Ausstellung vermittelt werden können, um auch die Geschichten zwischen den Objekten sichtbar zu machen, war eine der Leitfragen des Humboldt Lab Dahlem bei der Beauftragung der Entwicklung des „Audio Guide Special“. Für Serotonin war die Frage wichtig, wie ein Informationsmedium im Museum aussehen kann, das den Blick auf die Objekte frei lässt. In Kooperation mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin arbeitete das Duo daher an der Entwicklung des Prototyps eines Abspielgeräts, das Gesten erkennen kann. Wenn das Gerät – hier in Form eines Kopfhörers – in Lage ist, Nicken als Geste des Bejahens zu interpretieren, können BesucherInnen Entscheidungen über ihren Rundgang durch die Sammlung treffen, ohne den Blick von den Objekten oder Bildern abzuwenden.

Im Rahmen der Projektlaufzeit gelang es nicht, einen solchen, technisch sehr aufwendigen, Prototypen fertig zu entwickeln. Seine Möglichkeiten wurden daher in einem 72-minütigen Mash-up simuliert, das MuseumsbesucherInnen durch eingesprochene Regiestimmen über zukünftige Anwendungen informierte. Eine erste Machbarkeitsstudie konnte von der HTW jedoch erfolgreich abgeschlossen werden, und ein vorläufiger gestenerkennender Kopfhörer gebaut, der in zwei Workshops in Dahlem getestet wurde.

Die BesucherInnen als KuratorInnen

Der „Audio Guide Special“ wurde für die Ausstellung „Mythos Goldenes Dreieck“ im Ethnologischen Museum entwickelt. Eingerichtet hat diese Dauerausstellung Roland Platz, Kurator für Süd- und Südostasien, dessen Anordnung von Objekten, Bildern und Texttafeln es den BesucherInnen ermöglicht, sich über die Lebenswelten der Bergvölker in Südostasien zu informieren. Eine Ausstellung zu kuratieren, bedeutet immer, Entscheidungen zu treffen: in Bezug auf Objekte, aber auch auf Themen, Schwerpunkte und Informationen. Texttafeln jedoch sind allein durch ihre Größe begrenzt hinsichtlich der Vermittlung von Geschichten und Erzählsträngen. Ebenso wenig können sie auf einzelne BesucherInnen eingehen: Wo liegen ihre Interessen? Mit welchen Vorkenntnissen betreten sie die Ausstellung?

Mit dem „Audio Guide Special“ greift Serotonin die Arbeit des Kurators auf und überträgt sie auf die BesucherInnen insofern, dass diese immer wieder dazu aufgefordert werden, Entscheidungen zu treffen. Marie-Luise Goerke und Matthias Pusch definieren auditive Themenfelder, denen Schlüsselobjekte zugeordnet werden. BesucherInnen wählen ihren Pfad durch die Ausstellungslandschaft selbst, je nach Interesse und Verfassung: „Ich möchte mehr zum Thema Opium wissen“, „Reine Erzählungen finde ich langweilig, deswegen unterlege ich meine Audioführung mit Geräuschen“, „Heute habe ich nicht mehr so viel Zeit, deswegen verschiebe ich das Interview mit dem Sammler Hansjörg Mayer auf das nächste Mal“, „Ich bin schon ziemlich müde und kann Informationen nicht mehr gut aufnehmen. Den Rest der Ausstellung werde ich mit Musik unterlegen und nur die Objekte auf mich wirken lassen.“ Beim nächsten Besuch kann man sich durch andere Entscheidungen eine abweichende Audioführung komponieren.

Mobile Begleiter im Humboldt-Forum

Eine Hardware zu entwickeln, die sich uneingeschränkt einem künstlerischen Konzept unterordnet und eine nicht-lineare Audioführung ermöglicht, ist ambitioniert und wünschenswert. Die Kooperation im Rahmen des Projekts „Audio Guide Special“ von Serotonin mit der Hochschule für Technik und Wirtschaft im Hinblick auf die Entwicklung eines gestengesteuerten Kopfhörers ist in diesem Kontext wegweisend. Auch die inhaltliche und künstlerische Umsetzung des „Audio Guide Special“ kann als beispielgebend für eine mögliche Audioführung im Humboldt-Forum angesehen werden – sowohl in Bezug auf die hervorragende Qualität der Texte, SprecherInnen und Tonaufnahmen als auch in Hinblick auf die exzellente Mischung von O-Tönen, Geräuschen und Musik, durch die es gelang, neue auditive Inhalte zu kreieren. Der „Audio Guide Special“ tritt mit den BesucherInnen in einen Dialog, in dem sie auffordert werden, aktiv Entscheidungen zu treffen, auf welche die Software wiederum reagiert. Sie erhalten eine auf ihre Interessen und Fragen an die Objekte und die Ausstellung abgestimmte Führung. Der „Audio Guide Special“ lässt sich insofern als guter Baustein für die im Humboldt-Forum angestrebte Kultur der Multiperspektivität begreifen.


Katharina Kepplinger ist seit Mai 2015 Mitarbeiterin des Humboldt Lab Dahlem und der Stabsstelle Humboldt-Forum. Zuvor war sie als wissenschaftliche Museumsassistentin i.F. am Ethnologischen Museum und als Vertriebsassistentin für Audioguides und Audioführungen für Museen und Ausstellungen tätig.


Ein Gespräch zu diesem Projekt finden Sie hier.