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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Sammlungen schauen / Positionen

„Sammlungen schauen“: fast keine Ausstellung – aber eine Konzeptsammlung fürs Ausstellen

von Philipp Teufel

„Sammlungen schauen“ ist fast keine Ausstellung. Es ist nur eine kleine Slideshow für die interessierte Öffentlichkeit, eine Konzeptsammlung oder im besten Sinne ein Laborbericht. Ein Konzept richtet sich an professionelle Dritte. Das hier vorliegende umschreibt eine Grammatik des Ausstellens für die geplanten Schau- und Studiensammlungen im Humboldt-Forum. Es ist gleichzeitig ein Manifest des Humboldt Lab zum „Prinzip Labor“. Die inhaltlichen Vorschläge darin sind von gleicher Bedeutung und Gewichtung wie die gestalterischen Ideen. „Sammlungen schauen“ formuliert Fragen zum zeitgenössischen Ausstellungsdesign eines Schaudepots sowie zu dessen Integration in die Museumsausstellung, es sammelt Konzepte und präsentiert innovative Ideen für ein Hybrid aus Depot und Ausstellung. Was sind zeitgenössische Lösungen und adäquate inhaltliche Konzepte?

Professionelles Sammlungen-Schauen

Das erinnert mich an die ersten Situationen, in denen wir als zukünftige Gestalter des Humboldt-Forums durch die Depots des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst in Dahlem gingen – eine sehr spezielle Situation: Was passiert, wenn unterschiedliche Professionen auf die Sammlungen schauen? Welche Einsichten entstehen bei ihnen? Es war der erste Arbeitsschritt der ArchitektInnen und DesignerInnen von Ralph Appelbaum und malsyteufel: dieses gemeinsame Schauen in den Depots, Magazinen und Schausammlungen zusammen mit den DirektorInnen, KuratorInnen und RestauratorInnen. Schon hier wurde deutlich, dass die Aufmerksamkeit der KuratorInnen, der DesignerInnen, der ArchitektInnen oder der RestauratorInnen sich auf unterschiedliche Aspekte richtete. Was wird es sein, das die späteren BesucherInnen interessiert: die Ordnung, die Anzahl der Exponate einer bestimmten Sammlung, die sich vor ihm wie ein Objektteppich ausbreiten? Oder entdecken sie doch den einzelnen Gegenstand darin?
Uns faszinierten zugleich der Blick auf das Detail und der auf das Ganze, auf Geschichten und auf Bilder.

Geschichte und Geschichten der Sammlungen und Objekte

Bei den Sichtungen der Sammlung wird das Depot zu einem Ort des Betrachtens, Auswählens, des Gesprächs zwischen den verschiedenen Disziplinen, Zielen und Ideen. Oft haben wir als Gestalter die Erfahrung gemacht, dass die Qualität der Geschichten, die von den KuratorInnen erzählt werden, nicht in die Ausstellungen zu übertragen ist. Informationen zu den Objekten in den Depots beherbergen nur die Archivkarten. Oder sie stecken in den Köpfen der WissenschaftlerInnen (siehe hierzu das Humboldt Lab-Projekt „Wissen erzählen“).

Das Raumbild Depot / Magazin

Neben den eigentlichen Sammlungen hat uns als Gestalter das Gesamtbild beeindruckt: Das Schaudepot ist ein eigenständiges, komponiertes Raumbild. Viele FotografInnen und KünstlerInnen sind fasziniert von Museumsdepots und haben diese mit ihren jeweiligen Mitteln festgehalten. Archivschränke, Regale, Paletten – ganz eigene Formen des Aufbewahrungsmobiliars prägen diese Bilder. Selbst die Bekleidung der RestauratorInnen ist manchmal ganz speziell. Ich denke an Candida Höfers weltweit bekannte Fotografie aus den Depoträumen des Ethnologischen Museums in Berlin. Die beiden RestauratorInnen mit ihren Schutzanzügen wirken wie Außerirdische oder wie MitarbeiterInnen der Spurensicherung in Kriminalfilmen.

Deponieren oder Zeigen?

Betrachtet man die Geschichte des Ethnologischen Museum und des Museums für Asiatische Kunst, stellt man fest, dass diese geprägt ist durch eine fortwährende Diskussion über Quadratmeterflächen für Ausstellungen und Depots. Am vorherigen Standort in der Stresemannstraße waren diese Bereiche noch nicht getrennt. In Dahlem wurden die Depots von den Ausstellungsbereichen abgesondert. Eine Lösung, die von heute aus unattraktiv erscheint, weil sie der Öffentlichkeit einen übergroßen Teil der Sammlungen vorenthält.

Für uns als Gestalter ging es darum, eine Qualität der Präsentation der Sammlungen zu schaffen, die weder durch eine Quantität in Quadratmeterflächen oder eine Vollständigkeit der Präsentation von Sammlungsbeständen definiert ist. Hierfür wurden eigenständige, klar definierte Elemente und Raumstrategien entwickelt, die der Berliner Perspektive zu einem eigenständigen Auftritt verhelfen. Sie schaffen realen Raum für neue Ideen und zukünftige Sammlungspräsentationen. Sie ermöglichen es KuratorInnen, innerhalb eines kohärenten Ganzen eigene Dramaturgien zu finden, und erlauben eine nachhaltige Flexibilität. Eines dieser Elemente sind die Schaumagazine und Studiensammlungen.

Die Schaumagazine

Die Ausstellungen und Schaudepotareale des Humboldt-Forums ermöglichen Studien und Forschung für WissenschaftlerInnen, Fachleute und Angehörige der Ursprungskulturen. Den regulären BesucherInnen sollen sie Möglichkeiten eröffnen, die Sammlungen selbst zu erforschen. Dies stellt bei den Depotarealen, die in anderen Häusern nur Fachleuten gezeigt werden, eine besondere Herausforderung dar, schon allein aus Gründen des Umfangs: Die Sammlungen wachsen immer weiter. Allein diejenigen des Ethnologischen Museums umfassen heute etwa 500.000 ethnologische und archäologische Objekte. „Nur“ ca. 20.000 davon sollen im Humboldt-Forum ausgestellt werden.

Neue Konzepte und Strategien sind daher gefragt. Hierzu hat das Projekt „Sammlungen schauen“ des Humboldt Lab wichtige Grundlagen geliefert. Ich lese es als einen Vorschlag, die Sichtweisen der verschiedenen ExpertInnen, den Blick auf die Geschichten der Objekte und den auf das Gesamtbild des Raums zusammenzubringen.

Sammlungen schauen im Labor

„Sammlungen schauen“ von Nicola Lepp und Nina Wiedemeyer rückt diese großen Themen eng zusammen, wie unter einem Mikroskop im Labor. Das Projekt stellt eine Vielzahl entscheidender Fragen für die weitere Umsetzung: Ist in einem Schaudepot alles gleich wichtig? Verlieren die Exponate hier ihre Einzigartigkeit? Was geschieht beim Abschreiten und Vergleichen der Exponate? Zum Vergleich bedarf es mindestens zweier Objekte, was aber machen BesucherInnen mit mehreren hundert Objekten? Gibt es zutreffende Vergleiche und nichtzutreffende Vergleiche, wenn eine ganze Sammlung gezeigt wird?

Zentral ist dabei die Zusammenarbeit von denen, die die Objekte und ihre Geschichten verstehen, und denen, die das Bild des Ganzen sehen und gestalten können. Die KuratorInnen merken, dass die Dinge nicht jedem das sagen, was sie in ihnen lesen. Die DesignerInnen merken, dass die Exponate inszeniert werden müssen, um ihre Attraktivität zu entfalten. Wie sollen also diese Unmengen von Exponaten in einem Schaumagazin zum „Sprechen“ gebracht werden? Wie können neue Perspektiven auf die Sammlung räumlich und kommunikativ von den BesucherInnen wahrgenommen werden?

KuratorInnen und DesignerInnen legen gemeinsam die Exponate für die BesucherInnen aus – im doppelten Sinne des Darbietens und Interpretierens. „Sammlungen schauen“ zeigt, wie es funktionieren kann, dass sie zusammen den BesucherInnen „Spuren“ auslegen, um neue Formen des Gehens, Sehens und Verstehens, neue Formen der Begegnung des Subjekts mit dem Objekt zu schaffen und die BesucherInnen zum Dialog herauszufordern.

Spielfelder der Kommunikation und Vermittlung

Die Konzeptvorschläge von „Sammlungen schauen“ präsentieren Formen der Hervorhebung, der Markierung durch Grenzen zur Dichte innerhalb der Präsentation: Elemente innerhalb der riesigen Vitrinenflächen, die signalisieren, dass hier etwas Besonderes zu sehen ist, dass hier eine spezielle Perspektive angeboten wird. Ein konkretes Beispiel ist der Vorschlag für die Einfügung eines Spielfelds in die Präsentation der Fülle der Bisonroben aus der Sammlung Nordamerika, Prärien und Plains. Als Markierung des Spielfelds funktioniert ein spezieller vorgesetzter Kasten im unteren Vitrinenbereich. Das darin angeordnete Spiel ist in diesem Fall für Kinder bestimmt und besteht aus Figuren der Erzählungen, die auf den Bisonroben dargestellt sind. Es lädt ein, sich den Objekten über die auf ihnen dargestellten Geschichten zu nähern. Die statische Fülle der Sammlung wird dynamisch: Gamification analog. Das Spiel macht auf eine konkrete Besonderheit der Sammlung aufmerksam: Bei diesen Bisonroben geht es – auch – um Geschichten. So entstehen neue Perspektiven der Betrachtung. Das Spiel bringt die Exponate zum Sprechen – die BesucherInnen können sich ihren persönlichen Reim auf die Sammlung machen.

„Sammlungen schauen“ ist noch keine Ausstellung. Bis 2019 wird es eine Ausstellung geben, die zum Sammlungenschauen einlädt. Dafür bietet das Projekt vielfältige Anregungen.


Prof. Philipp Teufel ist von 2012 bis 2015 stellvertretender Gesamtprojektleiter für die Ausstellungsgestaltung des Humboldt-Forums in der Arbeitsgemeinschaft mit Ralph Appelbaum Associates. Teufel hat seit über 25 Jahren Erfahrung im Bereich der Museums- und Ausstellungsgestaltung. Von 1985 bis 1995 arbeitete er in Frankfurt maßgeblich als Designer für verschiedene Museen am Frankfurter Museumsufer. 1994 wurde er an die Fachhochschule Düsseldorf (seit 2015 Hochschule Düsseldorf) berufen und leitete mit Prof. Uwe Reinhardt das Institut und den Masterstudiengang Exhibition Design. Seine wichtigsten Museumsprojekte sind: Deutsches Filmmuseum, Frankfurt am Main, Museum für Vor- und Frühgeschichte (seit 2002 Archäologisches Museum), Frankfurt am Main, Historisches Museum Frankfurt, Museum Judengasse, Frankfurt am Main, Neues Museum, Berlin (eingeladener Wettbewerb), Museumsinsel Berlin (Corporate Design und Signage System – Wettbewerb), Geldmuseum der Deutschen Bundesbank, Frankfurt am Main, Polizeimuseum Hamburg (Masterplan) und das Haus des Waldes, Stuttgart. Teufel ist Autor und Herausgeber zahlreicher Publikationen zum Thema Ausstellungs- und Museumsgestaltung.