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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Mensch – Objekt – Jaguar / Projektbeschreibung

Eine Annäherung an den Perspektivismus

von Andrea Scholz

„Die Objekte im Depot leben!“ - diese Vermutung liegt bei einem Besuch der Sammlung Südamerikanische Ethnologie des Ethnologischen Museums nahe, denn die aufbewahrten Ethnografika sind fast ausschließlich aus (ehemals) lebender Materie gefertigt. Sie sind Teil der engen Beziehung zwischen Menschen und ihrer natürlichen Umwelt. Die Transformation von „Natur“ in „Kultur“ ist hier allerdings keinesfalls einseitig: Das Tragen von Federschmuck oder Masken und die Verwendung von Utensilien wie Schamanenbänken oder Rasseln bewirkt eine Macht der Verwandlung, die einigen Menschen Eingang in die Welt der Tiere oder der Tiergeister verschaffen kann.

Ursprünglich, so das Grundprinzip des Perspektivismus, waren alle Wesen menschlich, es verbindet sie eine gemeinsame Kultur, nur die äußeren Hüllen, die „Naturen“, und somit auch die Perspektiven unterscheiden sich. Objekte, die im Museum als vermeintliche kulturhistorische Belegstücke behandelt werden, nehmen in den indigenen Ontologien des Tieflands Amazoniens oftmals den Status von Subjekten mit Handlungsmacht ein.¹ Zwischen der Erkenntnis, dass die Dinge leben, und der Theorie des Perspektivismus liegt also nur ein kleiner Gedankensprung.

Trotz der großen Relevanz für ethnologische Museen spielen diese Ansätze in Ausstellungen keine Rolle. Das mag vermutlich an der Schwierigkeit einer adäquaten Vermittlung theoretischer Diskurse liegen, die in der Regel ausschließlich in Fachkreisen geführt werden.

Im Humboldt-Forum wollen wir uns künftig der Herausforderung stellen und die südamerikanischen Ethnografika unter dem Titel „Das Leben der Dinge“ präsentieren. Das schließt Ansätze wie den Perspektivismus mit ein, die im Sinne des Writing Culture-Paradigmas als subjektive Annäherungen an indigene Ontologien behandelt werden. Darüber hinaus wollen wir vermeiden, den Objekten durch trockene Abhandlungen über ethnologische Theorie ihren Zauber zu nehmen.

Auf der Suche nach einer entsprechenden Präsentationsform entstand die Idee für das Humboldt Lab Projekt „Mensch – Objekt – Jaguar“. Als Konsequenz aus der repräsentationskritischen Grundhaltung wurde die Umsetzung von Beginn an gemeinsam mit dem bildenden Künstler Sebastián Mejía erarbeitet, der sich in früheren Arbeiten mit Perspektivwechseln und der „Menschlichkeit“ von Tieren auseinandergesetzt hat (z.B. „Es geht auch anders“).

Das Projekt war zudem darauf angelegt, die Rezeption bestimmter Zielgruppen einzubeziehen und Aspekte während der Ausstellung zu verändern. Zur Unterstützung dieses Prozesses wurde das diesbezüglich erfahrene Büro Eta Boeklund beauftragt.

Von der Idee zur Umsetzung

Bei der Übersetzung der Idee in eine Rauminstallation sollten ethnologische Theorien offen gelegt und zudem sichtbar gemacht werden, wie sehr die museale Interpretation oftmals von der indigenen Realität abweicht. Ziel war es, ein Bild entstehen zu lassen, das nicht mit Exotismen und Tropenwaldfantasien spielt, sondern eine analytische Herangehensweise zum Ausdruck bringt.

Sebastián Mejía und ich besuchten gemeinsam mehrfach die Sammlung und fanden im Schamanenhocker in Jaguarform² das geeignete Objekt. Theodor Koch-Grünberg hatte ihn 1912 bei den Yekuana im Gebiet des oberen Orinoko erworben. Zusammen mit anderen Utensilien und rituellen Gesängen leisten solche Hocker (bis heute) aktive Dienste bei der Transformation ihrer Besitzer in andere Seinsformen, wie der Sammler in seinem Reisebericht beschreibt³.

Zur Präsentation des Schamanenhockers wollte Sebastián Mejía eine Umgebung schaffen, die das Thema „Perspektivismus“ aus dem Blickwinkel des Jaguars visuell vermittelt. Mithilfe von Überwachungskameras, die in Ausstellungselemente integriert waren, kehrten sich die Perspektiven um: Beim Betreten der Ausstellung wurden die BesucherInnen von einer Kamera aufgenommen und live auf die ihnen gegenüberliegende Wand in ein gezeichnetes Korbmuster der Yekuana4 hineinprojiziert. Die zweite Kamera befand sich im Auge eines riesigen gezeichneten Jaguars. Die aus der Perspektive des Jagdtieres aufgenommen BesucherInnen waren auf halbtransparente Vorhänge projiziert, die zugleich als Raumteiler fungierten. Auf einem Vorhang war zudem eine Herde von Pekaris zu sehen, denn: „Im Gegenzug sehen die Tiere die Menschen nicht als Menschen. So sehen die Jaguare uns als Beutetiere: zum Beispiel als eine Art wilder Schweine, genauer als Pekaris.“5 Den anderen Vorhang durchbohrte ein Pfeil, der auf halber Höhe auf den/die BetrachterIn gerichtet war und dem Bild des Menschen als Jagdbeute im Auge des Jaguars zusätzlich Nachdruck verlieh.

Der Hocker stand nicht im Zentrum des Raums, sondern auf einem Sockel unter der Treppe hinter mehreren Plexiglasscheiben. Diese waren zum Teil mit Ritzzeichnungen verziert und zeigten einen Schamanen, der auf dem Jaguarhocker sitzt, eine Zigarre raucht und sich in einen Jaguar verwandelt. Dieser visuelle Kommentar zum Objekt machte dessen originale Verwendung für die BesucherInnen nachvollziehbar. Der Moment der Transformation selbst war auf der mittleren der fünf Scheiben aufgegriffen, auf der ein Jaguar abgebildet war. Die beiden angrenzenden Scheiben zeigten den rauchenden Schamanen, jeweils in unterschiedliche Richtung blickend.

Zur Eröffnung war im Raum die Wachswalzenaufnahme eines Schamanengesangs der Yekuana zu hören. Ebenso wie andere Aspekte der Ausstellung veränderte sich das Soundkonzept während der Laufzeit.

Anleitung zum Weiterdenken

Die Idee des Perspektivwechsels in einer Ausstellung zu veranschaulichen erscheint mir rückblickend schwieriger als gedacht. Die Schwelle zum Einstieg war (ungewollt) hoch, viele BesucherInnen verließen die Installation sofort wieder, ohne den Raum wirklich betreten oder einen der Texte gelesen zu haben. Zu befremdlich waren die Bilder, mit denen man darin konfrontiert war: Statt „fremde“ Objekte in Vitrinen betrachten zu können, wie es den musealen Sehgewohnheiten entspricht, sahen die BesucherInnen eine Verfremdung ihrer selbst, das einzige „ethnografische“ Objekt war quasi versteckt.

Zugegeben: der Imagination war viel freier Raum gelassen. Eine Tatsache, die vielleicht Kindern besonders gut gefiel, denn bei ihnen kam die Installation nach Berichten der VermittlerInnen des Humboldt Lab, den „Live Speakern“, ebenso gut an wie beim Großteil des Fachpublikums. Eine Ausstellung nur für jüngere BesucherInnen und für EthnologInnen?

Ich selbst messe die Installation „Mensch – Objekt – Jaguar“ weniger an den polarisierten Reaktionen, als vielmehr am Prozess der Entwicklung, Umsetzung, aktiven Rezeption und Veränderung, der für die interessierte Öffentlichkeit zugänglich war. Dieser Prozess und gerade auch das Einbeziehen unterschiedlicher, auch ungewöhnlicher Perspektiven ist für mich das eigentliche Resultat des Humboldt Lab Projekts und in dieser Form auch übertragbar in dauerhaftere Ausstellungen.

 

1 Vgl. z.B. Fernando Santos-Granero (Hg.): The Occult Life of Things: Native Amazonian Theories of Materiality and Personhood. Tucson, Arizona 2009. Der wohl bekannteste Theoretiker des Perspektivismus, Viveiros de Castro fokussiert hauptsächlich die Beziehungen zwischen Menschen, Tieren und Geistwesen (vgl. z.B. Cosmological Deixis and Amerindian Perspectivism. Journal of the Royal Anthropological Institute Vol. 4, No. 3, 1998). Die im Sammelband von Santos-Granero vertretenen Autoren gehen über diese Engführung hinaus.
2 Jaguarschemel, Holz, Länge: 66 cm, Höhe: 23 cm, Inv.-Nr. V A 61093.
3 Vgl. Theodor Koch-Grünberg: Vom Roroima zum Orinoko. Schilderung der Reise. Berlin 1917.
4 In den Waja (Korbtellern) der Yekuana Indianer, deren Macht durch rituelle Gesänge besänftigt werden muss, spiegelt sich laut David Guss (To Weave and Sing. Art, Symbol and Narrative in the South American Rain Forest. Berkeley, CA 1989) ihre gesamte Weltauffassung. Das in der Ausstellung gezeigte Muster symbolisiert den Kampf zwischen Gut und Böse.
5
Eduardo Viveiros de Castro: Une figure humaine peut cacher une affection-jaguar. Réponse à une question de Didier Muguet. Multitudes, Vol. 24, Nr. 1, 2006 (Übersetzt von Elisabeth von der Osten).

 


Dr. Andrea Scholz ist seit März 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Humboldt Lab Dahlem. Sie hat in Bonn Ethnologie, Soziologie und Romanistik studiert und in Mexiko (2004) und Venezuela (2007 - 2009) geforscht. Thema ihrer Promotion war die Anerkennung indigener Territorien in Guayana/Venezuela; die Dissertation erschien 2012 unter dem Titel „Die Neue Welt neu vermessen“. Im Zuge ihrer Feldforschung und während ihres Volontariats im Ethnologischen Museum (2012 - 2014) hat sich Andrea Scholz intensiv mit der materiellen Kultur der Guayana-Region auseinandergesetzt.


Sebastián Mejía (*1980 in Kolumbien) lebt und arbeitet in Düsseldorf. Kunststudium 1999 bis 2004 an der Universidad Javeriana, Bogota, Kolumbien, und 2007 bis 2009 an der Hochschule für Bildende Künste Dresden. Seine Objekte, Fotografien, Videos und Installationen sind experimentelle Versuchsanordnungen. Ausstellungen u.a. im Künstlerhaus Ziegelhütte Darmstadt und im ZKM Zentrum für Kunst und Medientechnologie, Karlsruhe, sowie auf den Kunstmessen Scope Miami Art Show, Volta, New York, The Others Art Fair, Turin, und Preview, Berlin.


Weiterführende Texte zu diesem Projekt finden Sie hier.