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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Springer, nochmals / Projektbeschreibung

Kunst als Link zur globalen Gegenwart

von Angela Rosenberg

Ziel des Projekts „Springer, nochmals“ war es, die Dauerausstellungen im Ethnologischen Museum an ausgewählten Orten um zeitgenössische künstlerische Perspektiven zu erweitern. Mittels konkreter Eingriffe in die bestehende Sammlung sollten alternative Sichtweisen auf die Objekte und ihre Präsentation ermöglicht werden, ohne die Dauerausstellungen auf den Kopf zu stellen. Die im Rahmen des Projekts entstandenen Interventionen der KünstlerInnen Nevin Aladağ, Kader Attia, Sunah Choi und Mathilde ter Heijne zeigten exemplarisch die Möglichkeiten subjektiver Auseinandersetzung mit Sammlungsobjekten auf, und sie machten klar, wie diese den wissenschaftlichen Diskurs der Museumspräsentation inhaltlich und formal ergänzen können. Ähnlich wie das Vorgängerprojekt „Springer“ für die Probebühne 1 erlaubte auch „Springer, nochmals“ Gedankensprünge, die große thematische, regionale, kulturelle oder zeitliche Differenzen überwinden. Anders als bei der Schachfigur, die zum Projekttitel inspirierte, ging es bei „Springer, nochmals“ jedoch nie ums Gewinnen; vielmehr kam es auf das Miteinander der Exponate in der Ausstellung an sowie auf die Zusammenarbeit der KünstlerInnen, KuratorInnen und RestauratorInnen der jeweiligen Sammlungen.

Die Interventionen

Sunah Choi setze sich in zwei Projekten mit Objekten der Sammlung Ozeanien auseinander. Ihre Serie von Cyanotypien, „Belichtet“ (2015), entstand unter Verwendung von Objekten aus dem Depot der Südsee-Abteilung. Das aus dem 19. Jahrhundert stammende fotografische Verfahren beruht auf dem Prinzip des Fotogramms, bei dem Gegenstände auf lichtempfindlichem Papier helle Schatten hinterlassen – bei der Cyanotypie in blauen Farbtönen. Fotogramme waren bei den Surrealisten beliebte Bildgebungsverfahren, um mit einfachen Mitteln höchst evokative Bilder zu schaffen. Sunah Choi verortet ihre Arbeiten zwischen diesem assoziativen Ansatz und der exakten Aufzeichnung von Umrissen. Sie zeigte Abbilder von zehn Werkzeugen und Gegenständen, die in Europa in dieser Form unbekannt oder zumindest ungewöhnlich, in Ozeanien aber alltäglich sind, und konstruierte so eine prekäre Balance zwischen wissenschaftlichem Abbild und spekulativer Verklärung.

Für „Projektion“ (2015) ordnete Choi in drei Vitrinen Sammlungsobjekte anhand geometrischer Muster der Tapa (Rindenbaststoffe) aus Ozeanien an und hinterfragte damit die heute gängigen Präsentations- und Ordnungsprinzipien im Museum. Von oben beleuchtet, lagen Objekte auf Polypropylenfolien, aus denen auf Tapa rekurrierende Muster ausgeschnitten waren. Im Schattenwurf am Boden der Vitrine erzeugte das Ensemble ein zweidimensionales Bild; eine Projektion, die die Problematik der Reduktion aufs Wesentliche vor Augen führt.

Demgegenüber setzte Nevin Aladağ auf die kulturübergreifende und poetische Qualität von Musikinstrumenten. Ihr „Musikzimmer“ (2015) in der Abteilung Musikethnologie befasste sich mit der Erzeugung von Klang und den Auswirkungen von Musik auf das menschliche Gemüt. Die Objekte sind Hybride aus Musikinstrument und Möbelstück: sie bestehen aus einem Gitarrensessel, einem Beistelltischchen mit Chimes (einem Perkussionsinstrument) und einer Schirmständertrommel. Als Resonanzkörper entwickeln diese Musikmöbel eigene akustische Eigenschaften und hinterfragen gängige Vorstellungen von Funktionalität, Ergonomie und Klangreinheit. Das Musikzimmer als solches stellte die eigentliche Funktionalität des Mobiliars in Frage und erweiterte sie auf unerwartete Weise. Damit reagierte die Künstlerin auf die Präsentation der Bestände der Musikethnologischen Abteilung mit ihren – aus konservatorischen Gründen – in Vitrinen ausgestellten Objekten. Ihre Musikmöbel machten auf die abwesende Musik der unbespielten Instrumente aufmerksam und verwiesen auf ein Schweigen ausgerechnet da, wo es um Musik geht.

Für ihre Videoinstallation „Pulling Matter from Unknown Sources“ (2015) übersetzte Mathilde ter Heijne die zeitgenössische kulturelle Praxis der westafrikanischen Vodou-Religion in eine künstlerische Form und holte Exponate dieser Kultur nach Dahlem. Mit dem aus Togo stammenden und in Berlin-Weißensee lebenden Vodou-Priester Togbé Hounon Hounougbo Bahousou machte die Künstlerin – in der Rolle einer Priesterin in Ausbildung – 2014 Videoaufnahmen von Vodou-Zeremonien in Benin und Togo. In deren Zentrum stand ein Altar für den Donnergott Toulabo. Um dieselbe Figur gruppierten sich in der Ausstellung fünf Screens – moderne, zeitgemäße Schaukästen –, die den Vitrinen der Dauerausstellung und den darin gezeigten Masken gegenüberstanden. Die Videosequenzen stellten die Vodoupraxis als lebendige, alltägliche Praxis vor und zeigten Dinge, Abläufe und Zwischenräume aus überraschenden, teils abstrahierten, teils expliziten Perspektiven. Neben Aufnahmen aus der Perspektive der zu opfernden Ziege, Nacht- bzw. Infrarotaufnahmen und sogenannten Aurabildern, waren Szenen in einem deutschen Schlachthof und im Berliner Atelier der Künstlerin zu sehen. Selbstbewusst verortete sich die Künstlerin zwischen den aus anderen Kontexten und Regionen stammenden Dokumentarfilmen in der ständigen Präsentation im Museum. Die Installation wurde während der Ausstellung rituell betreut und zeigte so den aktiven Umgang mit einem funktionalen Objekt, das zwar aus seinem ursprünglichen Kontext entfernt wurde, aber spirituell aktiv bleibt, und das den Dialog mit den historischen Masken und Dokumentarfilmen der Ausstellung „Kunst aus Afrika“ sucht – in einer Art Verbindung zwischen künstlerischer und spiritueller Ebene.

Kader Attia befasst sich mit dem Postkolonialismus und operiert in seinem Werk mit Vorstellungen von Bruch und Reparatur als gesellschaftlich übergreifender kultureller Aufgabe. In der Ausstellung „Kunst aus Afrika“ erzeugte die suggestive Gegenüberstellung seiner Spiegelskulpturen „Mirror Mask“ (2014; 2015) mit den dort gezeigten Objekten ein irritierendes Moment. Die vom Künstler in Mali erworbenen und mit Spiegelsplittern beklebten Dogon-Holzmasken erwiderten den Blick der betrachtenden Person und fragmentierten die Reflexion ihres Gesichts im Raum. Dem kunsthistorischen Bezug zur kubistischen Fragmentierung bei Georges Braque oder Pablo Picasso, die ihren Ausgangspunkt in der Auseinandersetzung mit afrikanischen Masken hatte, stellten Attias Skulpturen eine gegenwärtige Darstellung von Gebrochenheit und Entfremdung entgegen. Zwischen den ausgestellten Ahnenfiguren, Porträts und Zwillingsfiguren setzte er mit dieser zeitgenössischen Interpretation der Maske einen Kontrapunkt. BetrachterInnen wurden nicht nur mit dem eigenen – zersplitterten – Spiegelbild konfrontiert, sondern auch mit den Spiegelungen der Skulpturen und der Ausstellung. „Fragmentieren, um zu reparieren“, fordert Attia, und er stellte so, jenseits regionaler oder kultureller Klassifizierungen, Bezüge her zwischen den BetrachterInnen und den ausgestellten Objekten.

Verschobene Perspektiven, erweitertes Aktionsfeld

Die Dahlemer „Springer“-Projekte gingen mit den Exponaten eine konkrete Verbindung ein. Sie belebten den Blick auf die Dauerausstellung und erweiterten das Aktionsfeld des Museums, indem sie andere inhaltliche, formale oder ästhetische Akzente setzten, die vorgegebenen Ordnungen herausforderten und die Perspektiven von BetrachterInnen und Institution änderten. Mit dieser Strategie kann der „Springer“ im Prinzip auch in die Ausstellungen des Humboldt-Forums eingreifen, um Deutungshoheiten erkennbar zu machen, zu problematisieren und gegebenenfalls in Frage zu stellen. Manchmal können die Interventionen unauffällig, ein anderes Mal gleich zu erkennen sein – jedes Mal aber unterbreiten sie dem/der BetrachterIn das Angebot, sich mit den Objekten aufs Neue zu beschäftigen. Auf diese Weise kann eine künstlerische Auseinandersetzung mit den Sammlungsobjekten auch den wissenschaftlichen Diskurs innerhalb der Museumspräsentation bereichern. Diese Form der erweiterten Kontextualisierung öffnet zudem einen Link zur Gegenwart ohne zu didaktisch zu sein. Letztlich dienen die „Springer“-Projekte also dazu, die Bedeutung der Sammlungen des Ethnologischen Museums im heutigen globalen Kontext zu erfassen, und, durch die Konfrontation mit zeitgenössischer Kunst, auf spielerische Weise an die unterschiedlichen Erfahrungshorizonte der MuseumsbesucherInnen anzuknüpfen.


Angela Rosenberg ist Kunsthistorikerin, Kuratorin und Autorin in Berlin. Für das Humboldt Lab Dahlem kuratierte sie das „Spiel der Throne“ (2013), mit Konstantin Grcic, Kirstine Roepstorff, Simon Starling und Zhao Zhao im Museum für Asiatische Kunst sowie „Springer, nochmals“.


Ein Gespräch zu diesem Projekt finden Sie hier.