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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Wissen teilen / Projektbeschreibung

Kollaborative Forschung auf dem Weg zum Humboldt-Forum

von Andrea Scholz

Für Museen mit nicht-europäischen Sammlungen ist die Zusammenarbeit mit VertreterInnen der Herkunftsgesellschaften ein wichtiges Anliegen. Im Sinne postkolonialer Forderungen an die Museen nach einer Abgabe bzw. Dezentrierung ihrer Deutungsmacht gilt es, sowohl beim Ausstellen als auch beim Beforschen der Sammlungen unterschiedliche Perspektiven einzubeziehen. Auch das Humboldt-Forum hat sich Multiperspektivität zum Ziel gesetzt und versteht sich weniger als Ort einseitiger Wissensproduktion, sondern als Contact Zone, wie sie von James Clifford beschrieben wurde. Doch selbst die vermeintliche Contact Zone ist nicht frei von Machtasymmetrien und Widersprüchen. Aus solitären Museumsbesuchen indigener VertreterInnen im Rahmen internationaler Kooperationsprojekte ziehen weder die Herkunftsgesellschaft noch das Museumspublikum einen nachhaltigen Nutzen.

Im Rahmen von „Wissen teilen“ sollte eine lebendige, nachhaltige Kooperation mit einer indigenen Hochschule in Venezuela aufgebaut werden. Den Ausgangspunkt bildete die Sammlung des Ethnologischen Museums aus Guayana in Nordostamazonien. Ziel war die Entwicklung einer interaktiven Webplattform, mittels derer Studierende der Universidad Nacional Experimental Indígena del Tauca (UNEIT) und MitarbeiterInnen des Ethnologischen Museums in Berlin Wissen um ethnografische Objekte bündeln, austauschen und erweitern können. Die Plattform ist einerseits als Instrument zur gemeinsamen Beforschung der Sammlung und andererseits als Bestandteil der Amazonien-Ausstellung im Humboldt-Forum vorgesehen.

Annäherungen

Im März 2014 reiste ich in Begleitung der Dokumentarfilmerin Natalia Pavía Camargo nach Venezuela, um die Hochschule in Tauca, eine in dieser Form einzigartige Institution, für einen Wissensaustausch über die Guayana-Sammlung zu gewinnen. An der UNEIT durchlaufen junge Angehörige von über zehn indigenen Ethnien (u.a. Ye’kwana, Pemón, Eñepa, Yukpa), ein besonderes Curriculum, das auf die spezifischen Herausforderungen reagiert, denen sich indigene Gruppen in der Gegenwart stellen müssen. Die AbsolventInnen werden gezielt als MultiplikatorInnen in ihren Gemeinschaften ausgebildet. Zu diesem Zweck arbeitet die Universität eng mit den Gemeinschaften zusammen, die ihre KandidatInnen für ein Studium an der UNEIT auswählen; zwischen den Semestern verbringen die Studierenden ihre Feldphasen dort. Zu den Lerninhalten der UNEIT gehören Alternativen der Ernährungssicherung ebenso wie die Reflektion über indigene Identität im Zusammenleben mit der (nicht-indigenen) Mehrheitsgesellschaft, die Wahrnehmung indigener Rechte und die Bewahrung kultureller Praktiken. Zu letzteren zählen auch Techniken wie Korbflechten, Schnitzen und die Herstellung von Körperschmuck, die in der Sammlung des Ethnologischen Museums materialisiert sind.

Somit war die UNEIT als Partner für die Idee von „Wissen teilen“ prädestiniert. Die nötige Vertrauensbasis zu schaffen und die Projektidee gemeinsam weiterzuentwickeln, war Ziel und Inhalt meines ersten Aufenthalts. Nachdem der Ältestenrat der Universität zugestimmt hatte, die Kooperation zuerst mit VertreterInnen der Pemón und Ye'kwana zu realisieren, waren im August/September 2014 sieben Universitätsangehörige im Ethnologischen Museum zu Gast. Viele der historischen Objekte waren für sie vertraut und alltäglich, andere neu bzw. vergessen und somit Anlass für spätere Nachforschungen in den eigenen Gemeinschaften. Beobachtungen zu den Objekten (zum Beispiel deren Bezeichnungen in der jeweiligen indigenen Sprache, Angaben zur Funktion und Ikonografie) wurden auf Kopien der historischen Karteikarten notiert. Bei manchen Objekten, wie den Maniokreiben, die ehemals in der gesamten Guayana-Region von den Ye'kwana hergestellt wurden und per Tauschhandel zu den Pemón und weiteren Ethnien gelangten, wurden die Zuordnungen zu ethnischen Gruppen korrigiert.

Digitale Kooperation

Auf Grundlage der Arbeit in der Sammlung entstand während des Aufenthalts in Berlin das Konzept für die Webplattform. Für die Startseite wünschten sich die Pemón und Ye'kwana Symbole, die für ihre jeweiligen „Objektwelten“ stehen. Als untergeordnetes Klassifikationsprinzip für die Objekte entschied man sich einvernehmlich für ein Modell, das, von wenigen Differenzierungen abgesehen, der räumlichen Ordnung der geplanten Ausstellung im Humboldt-Forum entspricht: eine Gliederung in Bereiche der Weltaneignung (= Gebrauchskontexte der Objekte). Grundsätzlich wurde vereinbart, dass illustrative Kommunikationselemente den textlichen vorzuziehen sind, um der spanischen oder deutschen Sprache keinen Vorrang vor den indigenen Sprachen zu geben. Alle relevanten Sprachen sollten im user interface in der Benutzerschnittstelle und den Objektbeschreibungen angelegt sein.

Auf Basis dieser Parameter wurde die Entwicklung der Plattform als Auftrag ausgeschrieben. Den Zuschlag erhielt das Berliner Studio NAND, das in den Folgemonaten eine Pilotversion mit 246 Objekten realisierte.

Während meines Aufenthalts in Tauca im Mai 2015 begann der webbasierte Wissensaustausch am Beispiel der ersten Objekte von Pemón und Ye'kwana. Darüber hinaus fügten die Studierenden der Plattform einige in Tauca neu gefertigte oder gerade in Herstellung befindliche Objekte hinzu. Nach und nach soll so neben der virtuellen Plattform ein konkretes Pendant zur Berliner Sammlung entstehen. In Tauca werden die Objekte in den jeweiligen Wohnhäusern der Studierenden verwendet bzw. aufbewahrt.

Grundprinzip der Plattform ist die Verhandel- und Veränderbarkeit aller objektbezogenen Attribute bei gleichzeitiger Speicherung der Bearbeitungshistorie. Fehlerhafte Museumsdokumentation, wie sie teilweise während des Aufenthalts der Delegation aus Tauca aufgedeckt werden konnte, bleibt auf diese Weise nachvollziehbar, Wissen wird grundsätzlich als instabil aufgefasst.

Ergebnisse und Ausblick

Das Resultat der Kooperation und der begonnene Austausch mittels der Plattform wurden zusammen mit der filmischen Dokumentation des Projekts und mit einigen ethnografischen Objekten der Pemón und Ye'kwana im Rahmen der Probebühne 7 der Öffentlichkeit präsentiert. Zu den präsentierten Objekten zählten Trage- und Aufbewahrungskörbe, eine Fischreuse, eine Maniokreibe sowie ein Schamanenhocker. Ihre Kommentierung auf der Plattform war über iPads im Museumsraum nachvollziehbar.

Der Aufbau von Partnerschaften für Kooperationsprojekte ist eine zentrale Aufgabe für das Humboldt-Forum. „Wissen teilen“ hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Die Erfahrungen der Kooperation sind auch für künftige Projekte wertvoll, denn sie offenbaren die Instabilität musealer Wissensordnungen sowie die Notwendigkeit, für das Teilen ethnografischer Sammlungen einen alternativen Wissensbegriff zu definieren.

Ein erster Schritt in diese Richtung ist getan. Die Kooperation mit der UNEIT ist überaus konstruktiv verlaufen und der Plattform-Prototyp, der im Rahmen des Projekts entwickelt wurde, erwies sich als geeignet für den virtuellen Wissensaustausch. An der UNEIT hat die Nutzung der Plattform im Sinne einer virtuellen Erweiterung des didaktischen Materials und als Anregung für Forschungen in den Herkunftsgemeinschaften der Studierenden begonnen. Der erfolgreichen Implementierung der Plattform in Tauca standen allerdings, stärker als erwartet, technische Schwierigkeiten im Weg. Lösungen dafür sind denkbar (beispielsweise eine Offline-Version der Plattform für den Fall einer instabilen Internetverbindung), konnten aber im Rahmen des Humboldt Lab-Projekts aus Zeitgründen nicht mehr gefunden werden. Auch abgesehen von der technischen Realisation steht der virtuelle Wissenstausch zum Ende des Humboldt Lab noch am Anfang und müsste eine Zeitlang intensiv weiterbetreut werden, um nachhaltig zu funktionieren. Ob die Kooperation bis zur Eröffnung des Humboldt-Forums und darüber hinaus überhaupt aufrechterhalten und gegebenenfalls auch auf andere Sammlungsteile ausgeweitet werden kann, hängt maßgeblich von den weiteren Finanzierungsmöglichkeiten ab.

Die Ausstellung, die am Ende von „Wissen teilen“ entstand, ist noch kein Modell für die Art und Weise, wie das Publikum in Kooperationsprojekte einbezogen werden sollte. Insbesondere die Filmdokumentation erwies sich zwar als wertvolles Vermittlungsmedium, für die Weitergabe von Informationen über den Wissensaustausch selbst sollten aber in der künftigen Ausstellung im Humboldt-Forum andere Formate entwickelt werden, für deren Finanzierung ebenfalls ein Budget gefunden werden muss.

Finanzielle Spielräume sind eine wichtige Voraussetzung, aber nicht die einzige. Für „Wissen teilen“ waren komplexe vertrauensbildende Prozesse und persönliches Engagement erforderlich, das weit über das übliche Maß kuratorischer Arbeit hinausging. Dies zeigt deutlich, dass für die Durchführung von Kooperationsprojekten mit indigenen Gemeinschaften ein struktureller Rahmen erforderlich ist, der in dieser Form im Humboldt-Forum bislang nicht eingeplant ist.


Dr. Andrea Scholz ist Ethnologin mit Schwerpunkt auf dem Amazonastiefland und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Humboldt Lab Dahlem. Sie initiierte „Wissen teilen“ und war Projektkuratorin von „Springer: Surinam/Benin“ sowie „Mensch – Objekt – Jaguar“.


Weiterführende Texte zu diesem Projekt finden Sie hier.