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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Yuken Teruya: On Okinawa / Projektbeschreibung

Aushandlungsprozesse veranschaulichen

von Alexander Hofmann

Die Sammlungen des Ethnologischen Museums und zum Teil auch die des Museums für Asiatische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin sind wie die meisten Bestände in vergleichbaren Museen Europas und Amerikas in ihrem überwiegenden Umfang gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erworben worden. Vor dem Hintergrund des euro-amerikanischen Kolonialismus und Imperialismus jener Zeit stehen solche Sammlungen daher für viele Menschen unter dem Pauschalverdacht einer unrechtmäßigen Aneignung. „Yuken Teruya: On Okinawa“ fragt nach der Rolle, die bildende KünstlerInnen aus der Herkunftskultur der Sammlungsobjekte bei dem Versuch spielen können, diese in aktuelle Diskurse einzubinden und die Aushandlungsprozesse der Gegenwart zwischen Repräsentierten und Repräsentierenden zu veranschaulichen.

Im Rahmen des Humboldt Lab Dahlem wurde der aus Okinawa stammende, heute überwiegend in New York lebende und arbeitende Künstler Yuken Teruya eingeladen, sich im Dialog mit KuratorInnen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst mit der Okinawa-Sammlung des Ethnologischen Museums auseinanderzusetzen. Diese zählt zu den bedeutendsten Beständen materieller Kultur der bis 1879 als Königreich Ryūkyū bekannten Inselgruppe weltweit. Den Kern der Sammlung bilden 147 Objekte, vornehmlich Textilien. Sie sind der verbleibende Teil von ursprünglich 469 Gegenständen, die auf der Basis von Vorgaben aus Berlin zwischen 1881 und 1884 durch Vertreter der kaiserlich-japanischen Regierung vor Ort zusammengetragen wurden. Die Aufgabe der japanischen Emissäre war durch die wenige Jahre zuvor erfolgte gewaltsame Auflösung des Königreichs Ryūkyū und die Eingliederung seines Territoriums in den jungen japanischen Nationalstaat 1879 entscheidend erleichtert worden. Obgleich die Erwerbung durch die Berliner Museen gegen den stattlichen Preis von 5843 Goldmark juristisch unzweifelhaft ist, scheint die Existenz der Objekte in Berlin vor dem Hintergrund der bewegten Geschichte Okinawas im 20. Jahrhundert zumindest nicht unproblematisch. Die Inseln waren 1945 ein Hauptkriegsschauplatz der Auseinandersetzungen zwischen japanischen und amerikanischen Truppen. Neben erheblichen Todesopfern, insbesondere unter der lokalen Bevölkerung, wurde die traditionelle materielle Kultur weitestgehend zerstört. Von 1945 bis 1972 schloss sich eine amerikanische Besetzung an. Bis heute gibt es eine massive Militärpräsenz auf den Inseln, die seit 1972 wieder unter japanischer Verwaltung stehen.

Auseinandersetzung mit lokaler Identität

Der Künstler Yuken Teruya wurde für dieses Humboldt Lab-Projekt ausgewählt, weil er sich bereits in seinem bisherigen Œuvre, häufig in Zusammenarbeit mit lokalen TextilhandwerkerInnen, mit Fragen der lokalen Identität auseinandergesetzt hat. Zudem brachte er aus einem früheren Projekt Erfahrungen im Umgang mit historischen Sammlungsobjekten mit. Für „On Okinawa“ kam der Künstler über den Zeitraum eines Jahres mehrmals nach Berlin: zur Sichtung der Sammlung, der Auswahl von historischen Objekten für die Präsentation, zu Gesprächen mit den KuratorInnen und schließlich zur Realisation der Ausstellung im Museum für Asiatische Kunst.

Die finale Form der Präsentation entwickelte sich im Dialog zwischen den beteiligten AkteurInnen. Die KuratorInnen hatten erwartet, dass sich der Künstler mit der Geschichte der historischen Sammlung und ihrer Verbringung von Okinawa nach Berlin auseinandersetzen, also einen „Verlust“ artikulieren würde. Für Teruya war hingegen die Tatsache, dass die Objekte in Berlin vor den Katastrophen der Geschichte Okinawas im 20. Jahrhundert geschützt bewahrt wurden, diese Geschichte – genau wie die gegenwärtige Situation der Inselgruppe – in Berlin aber nicht erzählt wird, ein wesentlich zentraleres Anliegen.

Für die Ausstellung entschied sich Yuken Teruya für eine Kombination unterschiedlicher Strategien. Zum einen wählte er Objekte der historischen Sammlung aus und stellte diesen eigene Arbeiten gegenüber, die sich kritisch mit der aktuellen Situation Okinawas auseinandersetzen. Zum anderen betätigte er sich selbst als „Ethnologe“ und trug mit Hilfe eines Netzwerks von FreundInnen und Bekannten auf Okinawa eine neue Sammlung von Gegenständen der materiellen Kultur zusammen, welche die Geschichte der Inseln im 20. Jahrhundert und die gegenwärtige Situation charakterisiert. Besonderes Augenmerk richtete der Künstler dabei auf Proteste gegen die amerikanische Militärpräsenz, die Politik der japanischen Regierung, Aktivitäten von Umweltschützern und auf das „World War II Reference Center“ um Isamu Kuniyoshi. Die so entstandene Sammlung, die einerseits geschichtliche Ereignisse wie die brutalen Schlachten um Okinawa 1945 und andererseits den aktuellen Alltag thematisiert – auch mit populären Drucksachen, etwa Werbeflyern für Grabstätten –, findet Eingang in die Sammlung des Ethnologischen Museums.

Drittens fertigte er in Zusammenarbeit mit lokalen HandwerkerInnen eine neue textile Arbeit, die Motive von historischen Sammlungsobjekten, Episoden und Figuren aus Geschichte, Gegenwart sowie einer utopischen Zukunft Okinawas zu einer Projektion verbindet. Viertens verfasste er Kommentare zu den Ausstellungsexponaten aus der fiktiven Perspektive eines Rückblicks aus der Zukunft. Fünftens video-dokumentierte Teruya auf Okinawa ein Konzert mit traditionellen Liedern, von denen eins die Vertonung eines Gedichts ist, das auch auf einem Objekt (einer Hängerolle) der Berliner Sammlung zu lesen ist. Aus dem Gedicht resultiert ebenfalls ein traditioneller Tanz, entstanden spätestens im 19. Jahrhundert. Yuken Teruya lud die Tänzerin Erina Nakamine aus Okinawa ein, den Tanz bei der Eröffnung der Ausstellung in Dahlem in einem von ihm entworfenen Textil aufzuführen. Diese Aufführung wurde ebenfalls dokumentiert und später in der Ausstellung gezeigt. Sechstens schließlich erläuterte er in einem Videointerview seine Intentionen.

Die Geschichte und Parameter der historischen Sammlung dokumentierte der Fachkurator in Form einer illustrierten Wandzeitung. Die meisten Exponate wurden von den Vitrinendecken abgehängt, mithin im Raum schwebend präsentiert und so der konstruierte Charakter jeglicher objektbasierter Narration von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft betont.

Der Dialog der historischen Exponate, zeitgenössischen Kunstwerke und der „neuen Sammlung“ eröffnete dem Publikum, aber auch den Beteiligten die Möglichkeit eines frischen, komplexen und reflektierten Blicks auf die historischen Sammlungsbestände aus Okinawa. Als besonders wertvoll werden auf Seiten der MuseumsakteurInnen die durch den Künstler vermittelten Kontakte empfunden. Es besteht insbesondere der Wunsch, die Präsentation einem Publikum auf Okinawa zu zeigen und in verstärkten Austausch zu treten.

Im Ergebnis entstand eine vielschichtige Installation, welche die historischen Exponate in gegenwärtige Diskurse der Repräsentation einband. Fragen lokaler Identität wurden ebenso wie innernationale und interkulturelle Machtverhältnisse verhandelt. Als Kunstinstallation erhob die Schau naturgemäß keinerlei Anspruch, repräsentativ zu sein. Die aus der Subjektivität resultierenden Mechanismen der neuerlichen Exklusion wurden jedoch unterschiedlich aufgenommen. Zumindest eine Rezensentin zeigte sich irritiert, dass die Frage der Repräsentation im Museum für Asiatische Kunst stellvertretend durch einen Künstler bzw. im Medium der Kunst verhandelt wurde. In dieser Hinsicht scheinen künstlerische Interventionen nur bedingt geeignet, den Anspruch auf eine Auflösung des kuratorischen Deutungsmonopols durch Einbeziehung der Repräsentierten zu erfüllen. Einen willkommenen Beitrag zur Aktualisierung der historischen Sammlungsbestände durch Gegenwartsbezug leisten sie aber allemal.


Dr. Alexander Hofmann ist seit 2004 Kurator für Kunst aus Japan am Museum für Asiatische Kunst.


Weiterführende Texte zu diesem Projekt finden Sie hier.