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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Springer / Projektbeschreibung

Spielerische Experimente in der Programmarbeit

von Agnes Wegner

Mit Projektbeginn des Humboldt Lab Dahlem ergaben sich zahlreiche ausführliche Gespräche zwischen den KuratorInnen beider Museen, den Humboldt Lab-MitarbeiterInnen und externen ExpertInnen. Diskutiert wurden unter anderem die museale Ordnung, die Aufarbeitung von Sammlungsgeschichte genauso wie Möglichkeiten des Abgebens von institutioneller Bedeutungshoheit. Wie kann dies erfolgen? Wie kann innerhalb der Abfolge einer Ausstellung bewusst mit inhaltlichen und gestalterischen Brüchen und Kommentaren operiert werden, um Multiperspektivität und dramaturgische Spannungsbögen zu erzeugen – etwa durch künstlerische oder thematische Interventionen? Hier kamen die „Springer“ ins Spiel: Mithilfe mobiler Displays und als Humboldt Lab-Eingriff gekennzeichnet wurden sie als kurze Objektdialoge innerhalb der bestehenden Dahlemer Ausstellungen eingefügt. Nach einer Sondierungsphase wählte die Lab-Leitung die Beteiligten aus: Andrea Scholz (zu dem Zeitpunkt Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Ethnologischen Museum), Martina Stoye (Kuratorin am Museum für Asiatische Kunst) und Theo Eshetu (Videokünstler). Die von ihnen vorgeschlagenen Projekte griffen wichtige Themen der Programmarbeit des Humboldt Lab auf.

„Springer: Surinam/Benin“ - Objektbiografie

Andrea Scholz hatte die Idee, ein von den Maroons um 1900 hergestelltes Objekt aus Surinam in die ständige Benin-Ausstellung zu integrieren. Dieser „Springer“ sollte die Verflechtungen zwischen Lateinamerika und Afrika, die sich aus der Geschichte des Sklavenhandels entwickelt haben, exemplarisch aufzeigen und die Benin-Ausstellung kommentieren. Über das von ihr ausgewählte Objekt, ein Stab mit der Inventarnummer V A 13776, ist weniger die eigentliche Nutzung bekannt, als die Umstände der Aneignung für die Sammlung: Ein Eintrag auf der historischen Sammlungskarteikarte vermerkt hier einen Diebstahl durch die Herrnhuter Missionare in ihrer Station Wanhatti im östliches Surinam. In der „Springer“-Vitrine wurde der Stab mit dieser Kartei- und einer Landkarte ausgestellt. Im begleitenden Flyer entschied sich Scholz für sehr kurze Texte, die die historischen Umstände als auch die Geschichte der Maroons und der Herrnhuter Missionare knapp skizzierten.
Der „Springer: Surinam/Benin“ erzählte damit in einer kleinen Installation sowohl die gewaltvolle Geschichte des Sklavenhandels als auch die des Sammlungsobjekts.

„Springer: Purnakumbha“ - Kooperation

Dieser Springer griff die Tatsache auf, dass viele Objekte in den Dahlemer Sammlungen einer religiösen Nutzung entstammen, die in der aktuellen Präsentation als reine Kunstobjekte meist nicht erfahrbar ist. Martina Stoye wollte zeigen, wie die Objekte heute noch Bestandteil gelebter Religiosität sind:  Sie entschied sich für eine Ritualinstallation mit Purnakumbhas („Vase des Überflusses“), die auf zahlreichen Darstellungen im Museum zu finden sind. Bei Hinduzeremonien werden Götterbilder durch die temporäre Aufstellung dieser Vasen in einem Festakt „beseelt“. Sie dienen dabei als eine Art Ladestationen für den göttlichen Funken.

Für die Planung und Umsetzung suchte Stoye die Kooperation mit dem Sri Mayurapathy Murugan-Tempel, Berlin-Britz. Herr Nadarajah Thiagarajah fungierte als weltlicher Vermittler zwischen der Kuratorin und dem hinduistischen Tempelpriester und willigte ein, gemeinsam eine Ritualinstallation im Museum zu errichten. Im Gespräch wurde Schritt für Schritt alles verhandelt: wie die Präsentation aussehen und wie das direkte Nebeneinander von weltlichen und religiösen Bereichen räumlich organisiert werden sollte; wie mit notwendigen Bestandteilen für das Ritual zu verfahren sei, die den museal-konservatorischen Erfordernissen entgegenstanden, und wie die Kooperation im begleitenden Flyer beschrieben werden konnte.
In der Ausstellung gab es schließlich zwei Teile: die Museumsvitrine mit einer Auswahl von historischen Purnakumbha-Darstellungen und die temporäre Ritualinstallation mit zehn heiligen Vasen, die vom Priester während der Eröffnung der Probebühne 1 geweiht wurde.

Die intensive Zusammenarbeit und das gemeinsame Aushandeln der Präsentationsform bei „Springer: Purnakumbha“ ergaben wichtige Erkenntnisse für die Beteiligten. Für die BesucherInnen waren die Hintergründe der Installation im Begleittext beschrieben.

„Springer: Spiegelkugel“ - Kommentar

Theo Eshetu war Gast beim DAAD Stipendiatenprogramm und arbeitete an seiner Videoinstallation über die Rückgabe des von Benito Mussolini geraubten Axum-Obelisken von Rom nach Addis Abeba. Aus dieser Beschäftigung heraus war Eshetu sehr an der Neukonzeption der Sammlungspräsentation im künftigen Humboldt-Forum interessiert. Er schlug vor, mit dem „Springer: Spiegelkugel“ einen dem Museum fremden Gegenstand in die Sammlung zu integrieren. „Was gehört ins Museum? Eine Spiegelkugel!“ Sie erschien ihm das geeignete Mittel, um Fragen nach Kunst- und Kulturbegriffen, nach Fremdartigkeit und Klassifizierung von Objekten in ethnologischen Sammlungen zu reflektieren.

Die von Eshetu intendierte Irritation wurde von den FachkollegInnen in vielschichtige Diskussionen aufgenommen: Evoziert die Spiegelkugel Exotismus? Sollte sie inhaltlich nicht mehr eingebettet sein und etwa auf die lokalspezifischen Formen der Klubkultur in Papua-Neuguinea verweisen?1 Wirklich sichtbar war in der „Mirror Ball Constellation“ – so der englische Titel dieses „Springer“ – die Poesie der Lichtpunkte, und viele BetrachterInnen assoziierten damit den Sternenhimmel über der Südsee.

Kleine Eingriffe, große Handlungsfelder

In ihrer Funktion innerhalb des Arbeitsprozesses können die drei „Springer“ als Erfolg gewertet werden. Mit ihnen war es möglich, partizipative Arbeitsformen zu erproben, Themenfelder im Lab auszuloten sowie interner Kritik Raum zu geben. Auch gelang es in allen drei Fällen, die eigentliche Erzählung der Dauerausstellung zu unterbrechen und einen spannungsvollen Akzent zu setzen. Die Gestaltung der jeweiligen Installationen unterschied sich sehr vom sonstigen Dauerausstellungsbereich: sie musste ins Auge fallen. Für alle drei Projekte zeigte sich, dass die Komplexität der Themen nicht allein durch eine Objektinstallation abzubilden war: Begleitende Texte in jeweils eigenen Flyern erschienen als adäquate Lösung und stehen daher auch hier zur Verfügung.
Verschiedene Möglichkeiten der Betrachtung und Deutung waren in allen drei „Springer“-Formaten angelegt. Sie bildeten als bewusst kurze Dialoge einen willkommenen Gegenpol zu den großen Diskussionen, die sich bei den Planungen für das Humboldt-Forum ergeben. Eine Fortsetzung des „Springer“-Projekts innerhalb des Humboldt Lab Dahlem ist vorgesehen.

 

1 Vgl. Zeitschrift für Ethnologie. Bd. 138, 2013.


Agnes Wegner ist seit Juli 2012 Leiterin der Geschäftsstelle des Humboldt Lab Dahlem.


Die Begleithefte mit erklärenden Texten, die in den Ausstellungen zu den Projekten auslagen, können Sie hier ansehen:

Begleitheft „Purnakumbha“ (PDF)

Begleitheft „Spiegelkugel“ (PDF)

Begleitheft „Surinam/Benin“ (PDF)


Theo Eshetu, Dokumentarfilmer, Video- und Installationskünstler, Rom/Berlin, IT/DE. Eshetu beschäftigt sich seit 1982 mit Medienkunst. Die Beziehung zwischen afrikanischen und europäischen Kulturen bildet oft das Zentrum seiner Arbeit. Eshetu stellte bereits im Baltimore Museum of Art sowie im Smithsonian Institute Washington D.C. aus. Er nahm außerdem an den Ausstellungen "Snap Judgments" (kuratiert von Okwui Enwesor), "Equatorial Rhythms" am Stenersen Museum in Oslo, "Die Tropen" am Martin Gropius-Bau, "GEO- graphics" im Bozar Center for Fine Arts in Brüssel sowie 2011 an der Biennale in Venedig teil. Seine Videos liefen auf zahlreichen Filmfestivals und wurden unter anderem in Berlin und Italien prämiert. 2012 war Theo Eshetu Gast des Berliner Künstlerprogramms des DAAD.

Andrea Scholz hat in Bonn Ethnologie, Soziologie und Romanistik studiert und in Mexiko (2004) und Venezuela (2007–2009) geforscht. Thema ihrer Promotion war die Anerkennung indigener Territorien in Guayana/Venezuela, die Dissertation erschien 2012 unter dem Titel „Die Neue Welt neu vermessen“. Im Zuge ihrer Feldforschung und während ihres Volontariats im Ethnologischen Museum (2012-2014) hat sich Andrea Scholz intensiv mit der materiellen Kultur der Guayana-Region auseinandergesetzt. Neben der Mitarbeit im Planungsprozess zum Humboldt-Forum und im Humboldt Lab Dahlem beschäftigt sich Andrea Scholz mit Ethnografika aus Südamerika.

Martina Stoye ist Kuratorin für die Kunst Süd- und Südostasiens im Museum für Asiatische Kunst Berlin. Schon seit 1985 beschäftigt sie sich wissenschaftlich mit der Kunst Südasiens. Nach 5-jähriger freiberuflicher kuratorischer Tätigkeit für das Haus der Kulturen der Welt, war sie von 1995 bis 2001 Dozentin für Indische Kunstgeschichte an der Freien Universität Berlin, danach forschte sie, gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung, zur buddhistischen Gandhara-Kunst und arbeitete 2007/2008 an einer großen Gandhara-Ausstellung für die Kunst- und Ausstellungshalle Bonn mit. Über viele Jahre hinweg leitete sie Kunst-orientierte Studienreisen nach Indien. Seit Mai 2008 betreute sie die indischen und südostasiasiatischen Kunstwerke des Museums für Asiatische Kunst Berlin.


Einen weiterführenden Text zu diesem Projekt finden Sie hier.