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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Mensch – Objekt – Jaguar / Positionen


Ein Experiment gegen die Sicherheit abgeschlossenen Wissens

von Mark Münzel

Museen unterscheiden sich von anderen Medien (etwa dem Buch) durch die Gegenstände, erfüllen aber ebenso den wissenschaftlichen Auftrag, der auch der Neugier des Publikums auf Hintergründe entspricht: Sie erforschen und kommentieren diese Gegenstände in über sie hinausweisenden Zusammenhängen, den Themen. Die thematische Ausstellung ist fast automatisch auch eine Thesen-Ausstellung, da Wissenschaft über Themen mittels Thesen nachdenkt. Diese aber sind im wissenschaftlichen Selbstverständnis eine Suche und klären nicht endgültig die vom Publikum an das Museum gestellten Fragen.

Dem Missverständnis, dass das Museum ein Ort gesicherter Wahrheit sei, begegnet „Mensch – Objekt – Jaguar“ geschickt und innovativ durch die Gestaltung einer wissenschaftlichen Ausstellung als künstlerische Installation. Denn von einem individuellen Arrangement, einem Experiment erwartet das Publikum nicht die endliche Wahrheit. Im Zusammenspiel von Interpretation und Theorie trifft es hier nicht auf das vermeintlich Ewiggültige, aber auf eine Wissenschaft, die sucht. Das wird kombiniert mit dem ethnologischen Ansatz des „indigenen Perspektivismus“, der wechselnde schamanische Perspektiven erforscht.
Just der Ansatz des „indigenen Perspektivismus“, der von der Abstraktionstradition des Strukturalismus her kommt, bewahrt allerdings in seinen Genen noch das Zerrbild eines universitären Diskurses: Ding und Mensch verschwinden hinter der kunstvollen Rede. Diese ungegenständliche Rhetorik überwindet er zunehmend durch den stärkeren Einbezug von Gegenständlichem.1

Eine Ausstellung auf der Basis dieses Ansatzes könnte Gefahr laufen, jenen Dünkel zu bekräftigen, demzufolge die Universität (die Herrin der Theorie) die Thesen formuliert, die das Museum (ihre fürs Praktische zuständige Magd) dann nur noch dem als ignorant verachteten Publikum zu übersetzen hat.
Solche Gegenstandsferne vermeidet das Berliner Projekt aber durch die Konzentration auf das indigene Objekt (einen kleinen Schamanenhocker), den die Installation aus verschiedenen Blickwinkeln inszeniert. So wird das Thema der Perspektive sinnlich erfahrbar. Zwar braucht es zum Verständnis den Begleittext, doch Vorrang hat der unmittelbare Eindruck. Ähnlich wie der klassische ethnologische Weg setzt hier auch die Kunstinstallation die Betrachtenden (wie die Ethnologie die Forschenden) anfangs einer Ratlosigkeit aus, die dem Verstehen weicht. Der künstlerische Reiz der Ausstellung lohnt die Mühe, die die Auseinandersetzung mit einem zunächst nicht verständlichen Objekt von jenen erfordert, die sich die Welt lieber über Abstraktionen als über Dingliches erschließen.

„Mensch – Objekt – Jaguar“ regt zur Suche nach Ansätzen an, die weniger aus der universitären Abstraktion, als aus der museumsethnologischen Erforschung des Konkreten kommen. Dies wurde etwa in der Ausstellung „Augenblicke“ des Frankfurter Museums der Weltkulturen 2005/2006 versucht: Der Zugang zu südamerikanischen Kulturen erschloss sich, indem z.B. die Symbolik der Muster eines Trinkgefäßes erklärt und dazu ein das Gefäß feierndes Trinklied gezeigt wurde. Fotos und Lebensläufe der Töpferinnen ergänzten die Geschichte der Keramiken. „Mensch – Objekt – Jaguar“ nutzt zur Erklärung des zunächst unverständlichen Objekts den Effekt der Installation und ihrer in der Kunst wie in der Ethnologie einhergehenden Verunsicherung. Gerade von ihr und der Anstrengung, sie zu überwinden, gelingt dieser Ausstellung ein Aufbrechen festgefahrener Ansichten von fremdem Denken.

 

1 Siehe z.B. den Schwerpunkt „Perspektivismus“ in der Zeitschrift Indiana, Bd. 29, Berlin 2012, dort etwa den Beitrag von Dimitri Karadimas.


Prof. Dr. Mark Münzel war von 1989 bis 2008 an der Philipps-Universität Marburg Professor am (heute sogenannten) Institut für Vergleichende Kulturforschung sowie Leiter der Völkerkundlichen Sammlung und von 1973 bis 1989 Kustos des Museums für Völkerkunde in Frankfurt am Main. Der hier veröffentlichte Kommentar basiert auf einem Impulsreferat, das er im Rahmen eines Evaluierungsworkshops des Humboldt Lab Dahlem hielt.


Experimentelle Formen kuratorischer Praxis in ethnologischen Sammlungen

von Viola Vahrson

Auf der Suche nach neuen Vermittlungsansätzen und Präsentationsformen laden ethnologische Museen in letzter Zeit vermehrt KünstlerInnen ein, mit den Beständen ihrer Sammlungen zu arbeiten.1 Eine wichtige Komponente dieser Kooperation ist die Präsentation der künstlerischen Prozesse und Resultate in den Ausstellungsräumen der ethnologischen Sammlungen. Auch das Humboldt Lab Dahlem bietet KünstlerInnen eine Plattform zur Auseinandersetzung mit ethnologischen Themen und Objekten.

Die Museen sehen in dieser Kooperation die Chance, den BesucherInnen neue, ungewohnte Zugänge zu ihren Sammlungen zu eröffnen. Der künstlerisch-forschende Umgang mit den ethnologischen Objekten sowie den institutionellen Strukturen und Bedingungen ermöglicht Einblicke und Erkenntnisse, die durch herkömmliche Präsentationsformen eher selten angeregt werden.

KünstlerInnen übernehmen punktuell die Funktion der KuratorInnen, wobei sie (relativ) frei von den institutionellen und fachspezifischen Determinierungen agieren können. Darin liegt wohl auch der für alle Seiten außerordentliche Reiz dieser Position. Indem die KünstlerInnen sich zwar mit der Ordnung des Museums auseinandersetzen, ihr aber nicht entsprechen müssen, können sie sich über Erwartungen und Konventionen hinwegsetzen und den BesucherInnen Unerwartetes präsentieren.

Allerdings sollte das komplexe und zugleich fundierte Wissen, das für einen angemessenen Umgang mit ethnologischen Objekten notwendig ist, auch in der künstlerischen Auseinandersetzung Berücksichtigung finden. Eine Möglichkeit bietet die Zusammenarbeit zwischen Künstler und Kuratorin wie im Projekt „Mensch – Objekt – Jaguar“. Die von Sebastián Mejía und der Ethnologin Andrea Scholz erarbeitete Präsentation überzeugt auch deshalb, weil das ausgestellte Objekt, der Schamanenhocker aus dem Tiefland Amazoniens, nicht gesondert in der üblichen Vitrine präsentiert wird. Er ist Bestandteil einer komplexen multimedialen Inszenierung, die die indigene Welterfahrung im Amazonastiefland mit wissenschaftlichen und künstlerischen Mitteln thematisiert.

Auf Seiten der Kunst bedeutet eine solche Kooperation, bestehende Autorschafts- und Werkkonzepte konsequent weiterzuentwickeln und zu öffnen. Auf Seiten der Wissenschaft und der Museen würde sie mit sich bringen, dass auch die KuratorInnen die ästhetischen Dimensionen wissenschaftlichen Denkens und Handelns weiter ausloten. Die Etablierung künstlerischer Forschung als eigenständige Wissensform könnte in ihrer Umkehrung auch der Museumspraxis als Vorbild dienen. Erfinderische, experimentelle, poetische und ästhetische Methoden und Ansätze sollten neben wissenschaftlichen Erkenntnissen und Arbeitsweisen deutlicher als bisher zu Handlungsgebieten kuratorischer Praxis erklärt werden. Ein in diesem Sinne erweitertes Selbstverständnis der KuratorInnen kulturhistorischer Sammlungen würde die Planungen des neu einzurichtenden Humboldt-Forums mit Sicherheit bereichern und die so dringende öffentliche Diskussion anregen.

 1 Das prominenteste Beispiel ist in dieser Hinsicht sicherlich das Weltkulturen Museum in Frankfurt am Main.


Prof. Dr. Viola Vahrson ist seit 2010 Professorin am Institut für Bildende Kunst und Kunstwissenschaft der Universität Hildesheim. Der hier veröffentlichte Kommentar basiert auf einem Impulsreferat, das sie Rahmen eines Evaluierungsworkshops des Humboldt Lab Dahlem hielt.


Szenarien für eine ästhetische Bildung

von Andrea Scholz

Das Workshop-Programm

Die Vermittlung theoretischer Diskurse stand im Vordergrund des Projekts „Mensch – Objekt – Jaguar“. Ein wesentlicher Aspekt bestand hierbei in dem Versuch, die konventionelle Trennung von Produktions- und Rezeptionsebene aufzuheben und spezifische Zielgruppen als kritische Akteure in die als Prozess angelegte Ausstellung einzubeziehen. Für die Konzeption begleitender Interventionen und zur Unterstützung dieses Prozesses wurde das Büro Eta Boeklund beauftragt.

In vier meist eintägigen Workshops setzten sich in die Ausstellung eingeladenen sogenannten Para-ExpertInnen jeweils gezielt mit ausgewählten Aspekten der Installation auseinander. Körper, Kritik, Klang und Taxonomie waren dabei die Aufhänger. Die Ergebnisse wurden den BesucherInnen als Hinweise sowie als Recherche- und Reflektionsmittel im Ausstellungsraum zur Verfügung gestellt.

So entwickelte der Choreograf und Tänzer Hermann Heisig zum Thema „Körper“ in direkter Auseinandersetzung mit der Installation Bewegungsanleitungen für den Ausstellungsraum, die in einem Karteikasten auf dem„Vertiefungstisch“ platziert waren. Die empfohlenen Choreografieanweisungen wurden ergänzt durch ausliegende Polaroidaufnahmen seiner eigenen Performance.

Zum Thema „Kritik und Reflexion“ erarbeitete eine Gruppe junger KulturjournalistInnnen im Dialog mit dem Künstler-/Kuratorenteam sowie zwei aktiven Museumsguides (sogenannte Live Speaker) des Humboldt Lab Dahlem Rezensionen zur Ausstellung, die ebenfalls auf dem Tisch auslagen.

Der Musikethnologe und Soundspezialist Matthias Lewy entwickelte ein neues Soundkonzept für die Ausstellung. Dabei ging es ihm darum, die BesucherInnen für Klangatmosphären in Amazonien zu sensibilisieren.

Eine Gruppe von TierrechtsaktivistInnen, VeganerInnen und VegetarierInnen beleuchtete den Gegenwartsbezug des in der Ausstellung thematisierten Verhältnisses von Mensch und Tier. In der Auseinandersetzung mit den Kategorien Mensch, Objekt und Jaguar entwickelte die Gruppe eine Mindmap mit alternativen Zugängen zur Installation. Ein von Sebastián Mejía entworfener visueller Kommentar (ein Reiterstandbild auf einer transparenten Folie „the death is dead“), und Halbmasken mit Tier- beziehungsweise Musteroberflächen wurden probeweise in die Installation eingebracht.

Ein Abschlussgespräch rundete die Reihe von Interventionen ab. Die meisten TeilnehmerInnen der vier Workshops waren anwesend und hatten so auch die Gelegenheit, sich gegenseitig ihre Arbeit vorzustellen.


Dr. Andrea Scholz ist seit März 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Humboldt Lab Dahlem. Sie hat in Bonn Ethnologie, Soziologie und Romanistik studiert und in Mexiko (2004) und Venezuela (2007 - 2009) geforscht. Thema ihrer Promotion war die Anerkennung indigener Territorien in Guayana/Venezuela; die Dissertation erschien 2012 unter dem Titel „Die Neue Welt neu vermessen“. Im Zuge ihrer Feldforschung und während ihres Volontariats im Ethnologischen Museum (2012 - 2014) hat sich Andrea Scholz intensiv mit der materiellen Kultur der Guayana-Region auseinandergesetzt.