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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

„Für immer Krise? Fragen der Repräsentation in Museen für nichteuropäische Künste und Kulturen“

von Mario Schulze

Ein Symposiumsbericht

Am 18. und 19. September 2015 fand das zweitägige Symposium „Für immer Krise? Fragen der Repräsentation in Museen für nichteuropäische Künste und Kulturen“ in den Museen Dahlem statt. Einem internen ExpertInnenworkshop folgten am nächsten Tag ein Einführungsvortrag der Museumswissenschaftlerin und Neuberlinerin Sharon Macdonald sowie drei öffentliche Podiumsdiskussionen zur „Krise der Repräsentation“ in ethnologischen Museen.

Die erste Podiumsdiskussion am zweiten Tag des Symposiums näherte sich dem Ende. Da warf Margareta von Oswald, Kuratorin der Intervention „Objektbiografien“, eine Frage in die Runde: „Warum wird überall so viel Geld für Museumsgebäude ausgegeben, während wir es doch für Ausstellungsexperimente, für Kollaborationen, für einen offeneren und kreativeren Umgang mit den Sammlungen brauchen?“ Auf die suggestive Frage hin brandete im vollbesetzten Publikumsraum Jubel auf und auf dem Podium nickten die Köpfe. Der Amsterdamer Historiker Robin Boast nahm die Frage im dritten Panel wieder auf und spitzte sie zu, um die schon lichter gewordenen Ränge noch einmal aufzuwecken: „Warum hunderte Millionen Euro für ein Schloss ausgeben und die immer gleichen Ausstellungsstrategien umsetzen, wenn es stattdessen ein fundamentales Umdenken jener Institution bedürfte, die wir ethnologisches Museum nennen?“, fragte er und pries zugleich die am Humboldt Lab Dahlem beteiligten Personen für ihren Willen zur Veränderung. In einem Punkt schien also bei diesem Symposium weitestgehend Konsens zu herrschen: Die bisherigen Planungen zum Humboldt-Forum laufen in die falsche Richtung, wenn darin ein auf Prestige ausgerichtetes Weltmuseum errichtet werden soll, ohne das Zustandekommen der während des Kolonialismus geschaffenen Sammlungen zu thematisieren und die (Un-)Möglichkeiten der Präsentation von Kultur sowie die Zusammenarbeit mit denen von Grund auf neu zu reflektieren und zu erproben, die die Sammlungsgegenstände als Teil ihrer Kultur betrachten. Einen Ansatz für solche Reflexionen und Experimente sahen die Podiumsgäste hingegen immer wieder im Modell des Humboldt Lab selbst.

Das konkrete Verhältnis zwischen dem Humboldt Lab und dem Humboldt-Forum bildete – vor allem Dank der Beharrlichkeit der beiden ModeratorInnen Friedrich von Bose und Irene Albers – bei diesem Symposium über die ganzen zwei Tage einen Schwerpunkt. Im Mittelpunkt stand allerdings die inhaltliche Frage nach der seit 30 Jahren in der Ethnologie diskutierten Krise der Repräsentation. Gefragt wurde nichts weniger als: Wie könnte ein ethnologisches Museum aussehen, das die Idee einer Repräsentation der Fremden oder Anderen hinter sich lässt und gleichzeitig das eigene koloniale Erbe aufarbeitet? Ein zugleich melancholischer wie kämpferischer Grundtenor durchzog die Antworten auf diese Frage: Obwohl es fast unmöglich scheint, der Vorstellung zu entkommen, ein Museum müsste „Völker“, „Ethnien“ oder „Kulturen“ repräsentieren, sollten „wir“ nicht aufgeben, ein anderes Museum zu erfinden. Oder, um es in den einführenden Worten Sharon Macdonalds zu sagen: Wir sollten die Krise nicht als etwas betrachten, das es zu lösen gelte, sondern als stetigen Ansporn zu neuen Entscheidungen. Kontrovers war vor allem der Grad der (Un-)Möglichkeit von Repräsentation an sich und damit die Art und Weise der Frontstellung gegen die Institution der ethnologischen Museen selbst. Dies zeigte sich am ersten Tag an der Lebhaftigkeit der Diskussion von vier Installationen aus den gegenwärtig zu besichtigenden Probebühnen 5, 6 und 7 des Humboldt Lab in einem Kreis von etwa 25 KuratorInnen und eingeladenen ReferentInnen ebenso wie am zweiten Tag im Rahmen von öffentlichen Podiumsdiskussionen, die darauf aufbauend die Themen „Objektgeschichten“, „alternative Repräsentationsformen“ und „Involvierung von BesucherInnengruppen und Communities“ angingen.

Diskutiert wurde die (Un-)Möglichkeit des ethnologischen Museums etwa anhand der Installation „Verzauberung / Beauty Parlour“, einer multisensoriellen Szenografie, die die Produktion weiblicher Schönheit sowie Hochzeiten an der Swahili-Küste Ostafrikas in einem aufwendigen Environment inszeniert. Der „Beauty Parlour“ versucht sich an einer „alternativen Repräsentation“ und will den in den sogenannten westlichen Ländern vertrauteren Ästhetiken eine andere – eben eine „Swahili-Ästhetik“ – entgegensetzen. Wie die Kuratorin Paola Ivanov allerdings selbst betonte, hätte sie die Erfahrung gemacht, dass die „normalen BesucherInnen“ meist fälschlicherweise glauben, dass es sich um eine authentische Repräsentation handele. Sie würden die Installation folglich fundamental missverstehen – eben als eine weitere Konstruktion des Fremden und Anderen zur Bestärkung des Eigenen. Die Interpretation Ivanovs rief vielfachen Widerstand hervor: Sie kenne diese „normalen BesucherInnen“ nicht, wandte Andrea Scholz ein. Ute Marxreiter fragte sich, ob und wie man denn den gewünschten Effekt der Entfremdung von den eigenen Selbstverständlichkeiten stattdessen erzeugen könne. Und schließlich drehte Ciraj Rassool den Spiegel auf die Runde und konfrontierte die Anwesenden damit, dass die dabei zum Ausdruck kommende implizite Unterscheidung zwischen „uns“, die alternative Ästhetiken denken könnten, und den „normalen BesucherInnen“, die das nicht verstehen würden und einer vermeintlich westlichen Ästhetik verhaftet blieben, hochgradig problematisch sei.

Weniger umstritten war die Strategie, den Sammlungsobjekten ihre zumeist unbekannten Geschichten zu entlocken, eine Strategie, die anhand des Projekts „Objektbiografien“ diskutiert wurde (kuratiert von Margareta von Oswald und Verena Rodatus in Zusammenarbeit mit Mathias Alubafi, Romuald Tchibozo und der Filmerin Anna Lisa Ramella). Einig war man sich darin, dass die Erforschung der Objektgeschichten zum Standardrepertoire der Sammlungsarbeit gehören müsse und diese Forschung auch in der Ausstellung präsent sein sollte. Schließlich sei darüber eine Aushandlung des Verhältnisses von Sammlung und Museum möglich, die nicht in den Kategorien Stamm oder Ethnizität verbleibe. Unterschiedlich waren jedoch die Vorstellungen, was dabei im Vordergrund stehen solle. Für Friedrich von Bose war die Installation selbst ein Aufruf, anders mit den Sammlungen eines ethnologischen Museums umzugehen als bisher, ja das Museum als Institution selbst zu befragen. Ciraj Rassool hatte zuvor schon begründet, warum Objektbiografien eine solche Identitätsbefragung des ethnologischen Museums leisten können. Denn sie fragen nach Geschichte – eine Kategorie, die für ethnologische Museen lange Zeit eine untergeordnete Rolle spielte, schließlich galten die ausgestellten Kulturen definitionsgemäß als vormodern und damit häufig auch als geschichtslos. Paola Ivanov kritisierte hingegen, dass die im Projekt erzählten Objektbiografien erst in Europa beginnen würden, und meldete zudem Zweifel am Begriff „Biografie“ an, den Igor Kopytoff und Arjun Appadurai 1986 geprägt hatten. Sollte nicht stattdessen von Geschichte oder Reise der Objekte die Rede sein?

Unbestritten blieb die Forderung, dass im Berliner Ethnologischen Museum die Geschichte des deutschen Kolonialismus einen prominenten Platz bekommen müsse. Mit welchen Mitteln dies geschehen könne, sollte an dem von Ute Marxreiter kuratierten Versuchsaufbau für ein Kinder- und Jugendmuseum mit dem Titel „(K)ein Platz an der Sonne“ diskutiert werden. Angesichts der Ausrichtung auf Kinder und Jugendliche rückte jedoch eine generelle Frage in den Mittelpunkt: Inwieweit kommt denn ebendiese Geschichte kolonialer Gewalt in der sonstigen Ausstellung des Humboldt-Forums vor? Schließlich sei ja Kolonialismus nicht nur ein „Kinderthema“. Zugespitzt wurde diese Frage durch eine Leerstelle, die Ciraj Rassool, Larissa Förster und Frédéric Keck auch in „(K)ein Platz an der Sonne“ einhellig entdeckten: die Rassenkunde. Sie stellten fest, dass es eigentlich für ein Museum, das sich als Kunstmuseum präsentiere, unabdingbar sei offenzulegen, dass die Sammlung der ausgestellten Objekte ursprünglich nur durch die „wissenschaftliche“ Unterteilung der Menschen in verschiedene Rassen zustande gekommen ist. Umso drängender ist diese Frage für das Humboldt-Forum. Schließlich steht am Beginn der Geschichte der Berliner Sammlung jener Felix von Luschan, der den ersten Lehrstuhl für physische Anthropologie an der Charité innehatte.

Beim Nachdenken darüber, wie das ethnologische Museum des 21. Jahrhunderts aussehen könne, ist neben der Institutionenkritik immer auch ein Blick auf die Institutionszwänge geboten. Das machte vor allem Sharon Macdonald in ihrem Einführungsvortrag deutlich, der zudem nochmals in aller Deutlichkeit den Begriff des „Außereuropäischen“ kritisierte. Sie gab zu bedenken, dass die höchste Hürde für einen ständigen Zustand der Revolution am Museum – so das Ziel, das Verena Rodatus, eine der Organisatorinnen des Symposiums, zu dessen Beginn nannte – vielleicht der Anspruch an die Museen und ihre Mitarbeitenden selbst sei. Von diesen werde „schrecklich viel“ erwartet: „postrepräsentationale“ Ausstellungen sollen sie machen, weshalb sie sich von Grund auf ändern müssen, dabei aber für BesucherInnen attraktiv bleiben und Communities involvieren sollen, und das alles auch noch bei mangelnden Ressourcen.

Beispielhaft ließen sich die konkreten Schwierigkeiten eines fundamentalen institutionellen Wandels an den Diskussionen zur Installation „Wissen teilen“ erkennen, einer interaktiven Webplattform, die die wissenschaftliche Mitarbeiterin Andrea Scholz zusammen mit Mitgliedern der Universidad Nacional Experimental Indígena del Tauca (Venezuela) entwickelt hat. Diese beruhe auf der Kooperation von Menschen, hob Larissa Förster am ersten Tag hervor. An den Erfahrungen, die die Beteiligten aus Berlin und aus Tauca machen, während sie sich beim Kuratieren und Pflegen der Plattform mit den Objekten auseinandersetzen, können jedoch Dritte, etwa die MuseumsbesucherInnen, nur bedingt teilhaben. Letztlich, so fügte die Kuratorin Andrea Scholz hinzu, gehe es den beteiligten Studierenden aus Tauca nicht um die Institution Museum. Für sie sei zentral, dass die in Berlin gelagerten Objekte ein wichtiger Teil ihrer materiellen Erinnerungskultur sind. Das Projekt endet folglich nicht an der Tür zum Museum. Welche Folgen aber hat eine solche Ausgangslage für die Umsetzbarkeit im Humboldt-Forum? Die Antworten ließen wenig Hoffnung: Andrea Scholz stellte etwas lakonisch fest, dass ihr Vertrag jedenfalls mit Ende des Humboldt Lab vorerst auslaufe. Und Viola König, Leiterin des Ethnologischen Museums, konstatierte, wie schwierig es generell sei, ein solches Projekt langfristig in eine Institution wie das Ethnologische Museum zu integrieren und in einem funktionalen Kontext mit seinen Sammlungen zu etablieren.

Die inhaltlichen Diskussionen zur Möglichkeit eines postrepräsentationalen Museums fanden auf diese Weise immer wieder konkreten Anschluss an die Grundfrage aller Veranstaltungen und Interventionen, nämlich nach der Art der Umsetzung der Ergebnisse und Erfahrungen aus dem Humboldt Lab im Humboldt-Forum im Berliner Schloss. So einig man sich generell im Lob für das Format des Humboldt Lab war, so weit auseinander lagen die Positionen zur Beziehung zwischen Humboldt Lab und Humboldt-Forum im Detail. Die Bandbreite reichte von der Haltung Ciraj Rassools, der wiederholt unterstrich, dass das Lab letztlich das Museum sein müsse, bis zu Viola König, die mehrfach ausführte, dass das Forum auf jeden Fall ein Lab brauche, aber das eine das andere nicht ersetzen könne. Der Beifall für das Humboldt Lab überdeckte dabei nicht die kritische Frage, welchen Einfluss seine experimentellen Impulse in der jetzigen Phase überhaupt noch zeitigen könnten. Angesichts der Tatsache, dass die Ausstellungsplanungen für das Humboldt-Forum weit vorangeschritten sind, stellt sich auch und gerade zum Ende des Humboldt Lab die Frage: Wie viel Irritation lässt die bisherige Konzeption des Humboldt-Forums eigentlich noch zu?


Mario Schulze ist Kulturwissenschaftler und gegenwärtig als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“ der Humboldt-Universität zu Berlin tätig.


Link Programmheft Symposium „Für immer Krise“ (PDF)

Das Symposium „Für immer Krise? Fragen der Repräsentation in Museen für nichteuropäische Künste und Kulturen“ fand am 18. und 19. September 2015 in den Museen Dahlem statt.

ReferentInnen:
Robin Boast (University of Amsterdam)
Larissa Förster (Internationales Kolleg Morphomata, Universität zu Köln)
Paola Ivanov (Ethnologisches Museum, Berlin)
Frédéric Keck (Musée du Quai Branly, Paris)
Viola König (Ethnologisches Museum, Berlin)
Sharon Macdonald (Humboldt-Universität zu Berlin)
Ute Marxreiter (Ethnologisches Museum, Berlin)
Margareta von Oswald (École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris)
Ciraj Rassool (University of the Western Cape, Kapstadt)
Verena Rodatus (Freie Universität Berlin)
Andrea Scholz (Humboldt Lab Dahlem, Berlin)
Romuald Tchibozo (Université d'Abomey-Calavi, Cotonou)
Moderation:
Irene Albers (Freie Universität Berlin)
Friedrich von Bose (Stadtmuseum Stuttgart)

Konzept des Symposiums:
Jonathan Fine, Paola Ivanov, Ute Marxreiter, Margareta von Oswald, Verena Rodatus, Andrea Scholz