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ARCHIV HUMBOLDT LAB DAHLEM   (2012-2015)

Discussing [Open] Secrets

von Gesa Steeger

Sechs internationale ForscherInnen und KuratorInnen waren im November 2014 nach Berlin-Dahlem geladen, um im Kontext des Projekts „[Offene] Geheimnisse“ mit Berliner KollegInnen den Umgang mit sakralen Objekten im Museum zu diskutieren.

Unter der Moderation von Anja Schwarz, Juniorprofessorin für Cultural Studies an der Universität Potsdam, kristallisierten sich im Verlauf des eintägigen Workshops folgende Themenschwerpunkte heraus: Formen der Aufbewahrung sakraler Objekte, sakrale Objekte im juristischen Kontext, Zugangsberechtigung und Museumsethik, Objekt-Kontext und -Dialog sowie das Museum als säkularer Ort oder Tempel.

Zugeschaltet über einen Videokanal eröffnete Philip Batty, Senior Kurator des Museum Victoria in Melbourne, die Diskussion mit einem Vortrag über die Bedeutung von Tjurunga, sakraler Objekte aus Zentralaustralien, als Rechtsobjekte. Im Zuge der Zunahme von gerichtlichen Fällen, in denen sakrale Objekte als Beweis für die Verbundenheit mit einem Ort und daraus resultierend zum Erhalt von Landrechten genutzt werden, sehen sich viele Museen einem gestiegenen Interesse an Rückgabeforderungen gegenüber. Das Museum Victoria bemühe sich, die Rückgaben problemlos abzuwickeln, oft komme es aber zu „sehr komplexen“ Schwierigkeiten. So wurden in einigen Fällen die sakralen Objekte nach der Rückgabe verkauft oder beschädigt. „Museen können diese Objekte nicht einfach zurückgeben und sich dann verabschieden“, bilanziert Batty: Museen hätten eine ethische Verantwortung gegenüber den früheren BesitzerInnen der Objekte und den Objekten selbst.

Um diese Verantwortung wahrzunehmen, müsse man im ständigen Dialog mit diesen Menschen und ihren Erben bleiben, so Batty. Deshalb pflege das Museum Victoria ein enges Verhältnis zu den jeweils relevanten Aborigine-Gemeinden. Diese würden an der Entscheidung beteiligt, wer welche sakralen Objekte im Museum sehen dürfe. Das gelte für die eigentliche Sammlung, aber auch für die Online-Datenbank. Da die traditionelle zentralaustralische Kultur Frauen aus vielen Bereichen des geheimen Wissens ausschließe, sei Frauen allerdings somit von vorneherein der Zugriff verboten. In der anschließenden Diskussion sprach sich Brigitta Hauser-Schäublin, Professorin für Ethnologie an der Georg-August-Universität Göttingen, für einen geschlechterneutralen Zugang aus. Sie verwies dabei auf das Museum als akademische Institution, die, ähnlich wie eine Bibliothek, niemanden ausschließen dürfe.

In ihrem Vortrag „Tjurunga in museum contexts, with special emphasis on the Grassi Museum Leipzig“ gab die Kustodin Australien/Ozeanien des Grassi Museums für Völkerkunde zu Leipzig, Birgit Scheps-Bretschneider, zu Bedenken, dass in einigen Aborigine-Gemeinschaften ein eigenes Verständnis von Geschlechterrollen vorherrsche, das man „nicht übereilt verurteilen dürfe“. Das Museum Leipzig stehe ebenfalls im regen Austausch mit Aborigine-Gemeinden, so Scheps-Bretschneider. Gemeinsam habe man über die Lagerung der sakralen Objekte beraten und ein Konservierungskonzept erarbeitet. Auf Wunsch dieser Gemeinden seien Sichtblenden vor die Vitrinen gesetzt worden, um die Objekte vor unbefugten Blicken zu schützen. Dem Wunsch, dass MitarbeiterInnen die Objekte generell nicht sehen dürften, sei man jedoch nicht nachgekommen.

Corinna Erckenbrecht, wissenschaftliche Mitarbeiterin eines Forschungsprojekts der Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen und der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, betonte in ihrem Vortrag über die Rolle des Sammlers die Bedeutung des Entstehungskontextes einer Sammlung für ihre Erforschung. Aber auch die Schwierigkeiten von Rückgaben kamen zur Sprache: „Wer sind die rechtmäßigen Besitzer und wie macht man sie ausfindig?“ Erckenbrecht kritisierte den restriktiven Umgang mit sakralen Objekten als Hindernis für die Erforschung und Einordnung dieser Objekte.

Indra Lopez Velasco, wissenschaftliche Assistentin im Fachbereich Südsee und Australien des Ethnologischen Museums Berlin, ergänzte, dass sich in Dahlem ähnliche Fragen wie in Leipzig in Bezug auf die Lagerung von sakralen Objekten stellen. Wer darf sie sehen? Wer mit ihnen arbeiten? Wer darf über ihre genaue Bedeutung Bescheid wissen? Es sei natürlich wichtig, die Wünsche der früheren BesitzerInnen zu respektieren. Doch die Frage sei, bis zu welchem Grad man sich darauf einlasse und wer am Ende über Zugang, Lagerung und Präsentation zu entscheiden habe: Das Museum oder die früheren BesitzerInnen?

Anita Herle, Senior Kuratorin des Museum of Archaeology and Anthropology in Cambridge, berichtete in diesem Zusammenhang von dem engen Kontakt zwischen dem englischen Museum und einigen Torres-Strait-InsulanerInnen. Die Kooperation mit früheren BesitzerInnen sakraler Objekte sei eine Chance auf Erkenntnisgewinn: „Sie erzählen ihre ganz eigene Objekt-Geschichte“. Sie verwies auch darauf, dass die Entscheidung der Ausstellung sakraler Objekte möglichst in Absprache mit den ursprünglichen BesitzerInnen zu treffen sei. „Jede Region ist anders. Was heilig ist und was nicht, was ausgestellt werden kann und was nicht, ist immer auch abhängig vom Kontext und kann nur in einem gemeinsamen Dialog entschieden werden.“

Zu einem ähnlichen Schluss kam Emmanuel Kasarhérou, Leiter der Überseeabteilung im Musée du Quai Branly Paris, in seinem Vortrag „Indigenous perspectives on sacred objects at museums in Vanuatu and New Caledonia“. Er berichtete von seinen Erfahrungen mit der Ausstellung sakraler Objekten in seiner Zeit als Direktor des Musée de  Nouvelle-Calédonie. „Der Glaube an heilige Objekte ist bei vielen Menschen dort immer noch tief verwurzelt.“ Viele Menschen hätten nach wie vor Angst vor der Kraft heiliger Objekte. In Fragen des Zugangs, aber auch in Fragen der Präsentation habe man daher sehr eng mit diesen Menschen zusammengearbeitet. So seien beispielsweise sakrale Objekte „entweiht“ worden, bevor sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Eine andere Möglichkeit sei es, „Tabu-Räume“ einzurichten, an denen Warnungen angebracht sind und die BesucherInnen selbst entscheiden können, ob sie die darin ausgestellten Objekte ansehen wollen oder nicht.

Auch Brigitta Hauser-Schäublin verwies in ihrem Vortrag „Ceremonial houses and open secrets in the Sepik area, Papua New Guinea“ darauf, dass sich „das Heilige immer nur in bestimmten Situationen und in einem bestimmten Umgang mit einem Objekt“ zeige, beispielsweise in Ritualen. Nicht das Objekt per se sei heilig, sondern das Wissen um seine Bedeutung und seinen Gebrauch. Dieses Wissen werde auch als Machtmittel benutzt, um bestimmte Mitglieder einer Gesellschaft aus- bzw. einzuschließen, sagte die Ethnologin. So seien in vielen traditionellen indigenen Gesellschaften nur die Männer in das Wissen um die Heiligkeit eines Objekts eingeweiht, während die Frauen und Kinder von diesem Wissen exkludiert bleiben.

Markus Schindlbeck, bis Dezember 2014 Leiter des Fachreferats „Südsee und Australien“ im Ethnologischen Museum Berlin, unterstrich dies im Vortrag „Personal experiences with sacred objects and human remains in the Sepik area, New Guinea“. Aus eigenen Erfahrungen mit traditionellen indigenen Stämmen beschrieb er Situationen, in denen heilige Objekte als Mittel der Exklusion bzw. Inklusion genutzt wurden. Nicht nur er als „Außenseiter“ sei aus heiligen Ritualen und dem Wissen um die Heiligkeit von Objekten ausgeschlossen gewesen, sondern auch Frauen und Kinder. Dabei sei es nicht nur um die Wahrung von Geheimnissen gegangen, so Schindlbeck, sondern vor allem um die Aufrechterhaltung der Gesellschaftshierarchie.

In der folgenden Abschlussdiskussion, zu der auch Prof. Dr. Klaas Ruitenbeek, Direktor des Museums für Asiatische Kunst Berlin, sowie seine Kollegen Alexander Hofmann, Leiter der Ostasiatischen Sammlung und Martina Stoye, Kuratorin für die Kunst Süd- und Südostasiens, geladen waren, ging es explizit um die Frage, welche Aufgabe Museen heutzutage haben. Sind sie Stätten der Wissenschaft, in denen es um Wissensvermittlung und Austausch geht, oder sind sie heilige Tempel, in den der Glaube bestimmter Kulturen gepflegt und konserviert wird?

„Museen sind Archive der menschlichen Kultur“, betonte Brigitta Hauser-Schäublin, Orte, an denen Wissen vermittelt werden soll und nicht versteckt werden darf. Ein Ort, an dem Tabus gezeigt werden müssten, um den BesucherInnen einen Eindruck von einer anderen sozialen Ordnung zu vermitteln. Markus Schindlbeck erinnerte nochmals daran, dass nicht Objekte per se heilig seien, sondern das Wissen um sie: Es sei vor allem dieses Wissen, mit dem ein Museum respektvoll umgehen müsse.


Gesa Steeger lebt als freie Journalistin in Berlin.


Link Programm Workshop „Discussing [Open] Secrets“ (PDF)

Der Workshop fand am 21. November 2014 im Ethnologischen Museum für das Projekt „[Offene] Geheimnisse“ statt.

TeilnehmerInnen:
Philip Batty (Museum Victoria, Melbourne, Australien)
Corinna Erckenbrecht (DFG-Forschungsprojekt zu indigenen Kulturen der westlichen Cape-York-Halbinsel, Australien)
Brigitta Hauser-Schäublin (Fachbereich Ethnologie, Universität Göttingen)
Anita Herle (Museum of Archaeology and Anthropology, Cambridge)
Alexander Hofmann (Museum für Asiatische Kunst, Berlin)
Emmanuel Kasharérou (Musée du Quai Branly, Paris)
Viola König (Ethnologisches Museum, Berlin)
Indra Lopez Velasco (Ethnologisches Museum, Berlin)
Klaas Ruitenbeek (Museum für Asiatische Kunst, Berlin)
Birgit Scheps-Bretschneider (Grassi Museum für Völkerkunde, Leipzig)
Markus Schindlbeck (Ethnologisches Museum, Berlin)
Martina Stoye (Museum für Asiatische Kunst, Berlin)
Agnes Wegner (Humboldt Lab Dahlem, Berlin)
Moderation:
Anja Schwarz (Universität Potsdam)

Konzept des Workshops: Indra Lopez Velasco, Markus Schindlbeck